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Hofmannsthal, Hugo von: Tod des Tizian. Berlin, 1902.

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Bis alle Dinge in Verlangen schwellen
Und Hirten sich den Hirtinnen gesellen ...
Batista: Er hat den Wolken, die vorüberschweben,
Den wesenlosen, einen Sinn gegeben:
Der blassen weissen schleierhaftes Dehnen
Gedeutet in ein blasses, süsses Sehnen;
Der mächt'gen goldumrundet schwarzes Wallen
Und runde, graue, die sich lachend ballen,
Und rosig silberne, die abends ziehn:
Sie haben Seele, haben Sinn durch ihn.
Er hat aus Klippen, nackten, fahlen, bleichen,
Aus grüner Wogen brandend weissem Schäumen,
Aus schwarzer Haine regungslosen Träumen
Und aus der Trauer blitzgetroffner Eichen
Ein Menschliches gemacht, das wir verstehen,
Und uns gelehrt, den Geist der Nacht zu sehen.
Paris: Er hat uns aufgeweckt aus halber Nacht
Und unsre Seelen licht und reich gemacht:
Und uns gewiesen, jedes Tages Fliessen
Und Fluten als ein Schauspiel zu geniessen,
Die Schönheit aller Formen zu verstehen
Und unsrem eignen Leben zuzusehen.
Die Frauen und die Blumen und die Wellen
Und Seide, Gold und bunter Steine Strahl
Und hohe Brücken und das Frühlingsthal
Mit blonden Nymphen an krystallnen Quellen,
Und was ein Jeder nur zu träumen liebt,
Und was uns wachend Herrliches umgiebt:
Bis alle Dinge in Verlangen schwellen
Und Hirten sich den Hirtinnen gesellen …
Batista: Er hat den Wolken, die vorüberschweben,
Den wesenlosen, einen Sinn gegeben:
Der blassen weissen schleierhaftes Dehnen
Gedeutet in ein blasses, süsses Sehnen;
Der mächt’gen goldumrundet schwarzes Wallen
Und runde, graue, die sich lachend ballen,
Und rosig silberne, die abends ziehn:
Sie haben Seele, haben Sinn durch ihn.
Er hat aus Klippen, nackten, fahlen, bleichen,
Aus grüner Wogen brandend weissem Schäumen,
Aus schwarzer Haine regungslosen Träumen
Und aus der Trauer blitzgetroffner Eichen
Ein Menschliches gemacht, das wir verstehen,
Und uns gelehrt, den Geist der Nacht zu sehen.
Paris: Er hat uns aufgeweckt aus halber Nacht
Und unsre Seelen licht und reich gemacht:
Und uns gewiesen, jedes Tages Fliessen
Und Fluten als ein Schauspiel zu geniessen,
Die Schönheit aller Formen zu verstehen
Und unsrem eignen Leben zuzusehen.
Die Frauen und die Blumen und die Wellen
Und Seide, Gold und bunter Steine Strahl
Und hohe Brücken und das Frühlingsthal
Mit blonden Nymphen an krystallnen Quellen,
Und was ein Jeder nur zu träumen liebt,
Und was uns wachend Herrliches umgiebt:
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[18/0026] Bis alle Dinge in Verlangen schwellen Und Hirten sich den Hirtinnen gesellen … Batista: Er hat den Wolken, die vorüberschweben, Den wesenlosen, einen Sinn gegeben: Der blassen weissen schleierhaftes Dehnen Gedeutet in ein blasses, süsses Sehnen; Der mächt’gen goldumrundet schwarzes Wallen Und runde, graue, die sich lachend ballen, Und rosig silberne, die abends ziehn: Sie haben Seele, haben Sinn durch ihn. Er hat aus Klippen, nackten, fahlen, bleichen, Aus grüner Wogen brandend weissem Schäumen, Aus schwarzer Haine regungslosen Träumen Und aus der Trauer blitzgetroffner Eichen Ein Menschliches gemacht, das wir verstehen, Und uns gelehrt, den Geist der Nacht zu sehen. Paris: Er hat uns aufgeweckt aus halber Nacht Und unsre Seelen licht und reich gemacht: Und uns gewiesen, jedes Tages Fliessen Und Fluten als ein Schauspiel zu geniessen, Die Schönheit aller Formen zu verstehen Und unsrem eignen Leben zuzusehen. Die Frauen und die Blumen und die Wellen Und Seide, Gold und bunter Steine Strahl Und hohe Brücken und das Frühlingsthal Mit blonden Nymphen an krystallnen Quellen, Und was ein Jeder nur zu träumen liebt, Und was uns wachend Herrliches umgiebt:

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Zitationshilfe: Hofmannsthal, Hugo von: Tod des Tizian. Berlin, 1902, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannsthal_tizian_1901/26>, abgerufen am 28.03.2024.