Hofmannsthal, Hugo von: Tod des Tizian. Berlin, 1902.
Das um sie webt die Unbefangenheit, Und einfach hab ich schon verlernt zu fühlen. Pause. Gianino ist seitwärts auf den Stufen, den Kopf auf den Arm geschmiegt, eingeschlummert. Paris: Wo nur Giocondo bleibt? Tizianello: Lang vor dem Morgen -- Ihr schlieft noch -- schlich er leise durch die Pforte, Auf blasser Stirn den Kuss der Liebessorgen Und auf den Lippen eifersüchtge Worte ... Pagen tragen zwei Bilder über die Bühne (die Venus mit den Blumen und das grosse Bacchanal). Die Schüler erheben sich und stehen, solange die Bilder vorübergetragen werden, mit ge- senktem Kopf, das Barett in der Hand. Nach einer Pause (Alle stehen): Desiderio: Wer lebt nach ihm, ein Künstler und Lebendiger, Im Geiste herrlich und der Dinge Bändiger Und in der Einfalt weise wie das Kind? Antonio: Wer ist, der seiner Weihe freudig traut? Batista: Wer ist, dem nicht vor seinem Wissen graut? Paris: Wer will uns sagen, ob wir Künstler sind? Tizianello: Er hat den regungslosen Wald belebt: Und wo die braunen Weiher murmelnd liegen Und Epheuranken sich an Buchen schmiegen, Da hat er Götter in das Nichts gewebt: Den Satyr, der die Syrinx tönend hebt,
Das um sie webt die Unbefangenheit, Und einfach hab ich schon verlernt zu fühlen. Pause. Gianino ist seitwärts auf den Stufen, den Kopf auf den Arm geschmiegt, eingeschlummert. Paris: Wo nur Giocondo bleibt? Tizianello: Lang vor dem Morgen — Ihr schlieft noch — schlich er leise durch die Pforte, Auf blasser Stirn den Kuss der Liebessorgen Und auf den Lippen eifersüchtge Worte … Pagen tragen zwei Bilder über die Bühne (die Venus mit den Blumen und das grosse Bacchanal). Die Schüler erheben sich und stehen, solange die Bilder vorübergetragen werden, mit ge- senktem Kopf, das Barett in der Hand. Nach einer Pause (Alle stehen): Desiderio: Wer lebt nach ihm, ein Künstler und Lebendiger, Im Geiste herrlich und der Dinge Bändiger Und in der Einfalt weise wie das Kind? Antonio: Wer ist, der seiner Weihe freudig traut? Batista: Wer ist, dem nicht vor seinem Wissen graut? Paris: Wer will uns sagen, ob wir Künstler sind? Tizianello: Er hat den regungslosen Wald belebt: Und wo die braunen Weiher murmelnd liegen Und Epheuranken sich an Buchen schmiegen, Da hat er Götter in das Nichts gewebt: Den Satyr, der die Syrinx tönend hebt, <TEI> <text> <body> <sp who="#TIZI"> <p><pb facs="#f0025" n="17"/> Das um sie webt die Unbefangenheit,<lb/> Und einfach hab ich schon verlernt zu fühlen.</p> </sp><lb/> <stage>Pause. Gianino ist seitwärts auf den Stufen, den Kopf auf den<lb/> Arm geschmiegt, eingeschlummert.</stage><lb/> <sp who="#PAR"> <speaker> <hi rendition="#g">Paris:</hi> </speaker> <p>Wo nur Giocondo bleibt?</p> </sp><lb/> <sp who="#TIZI"> <speaker> <hi rendition="#g">Tizianello:</hi> </speaker> <p>Lang vor dem Morgen<lb/> — Ihr schlieft noch — schlich er leise durch die<lb/> Pforte,<lb/> Auf blasser Stirn den Kuss der Liebessorgen<lb/> Und auf den Lippen eifersüchtge Worte …</p> </sp><lb/> <stage>Pagen tragen zwei Bilder über die Bühne (die Venus mit den<lb/> Blumen und das grosse Bacchanal). Die Schüler erheben sich<lb/> und stehen, solange die Bilder vorübergetragen werden, mit ge-<lb/> senktem Kopf, das Barett in der Hand.</stage><lb/> <stage>Nach einer Pause (Alle stehen):</stage><lb/> <sp who="#DES"> <speaker> <hi rendition="#g">Desiderio:</hi> </speaker> <p>Wer lebt nach ihm, ein Künstler und Lebendiger,<lb/> Im Geiste herrlich und der Dinge Bändiger<lb/> Und in der Einfalt weise wie das Kind?</p> </sp><lb/> <sp who="#ANT"> <speaker> <hi rendition="#g">Antonio:</hi> </speaker> <p>Wer ist, der seiner Weihe freudig traut?</p> </sp><lb/> <sp who="#BAT"> <speaker> <hi rendition="#g">Batista:</hi> </speaker> <p>Wer ist, dem nicht vor seinem Wissen graut?</p> </sp><lb/> <sp who="#PAR"> <speaker> <hi rendition="#g">Paris:</hi> </speaker> <p>Wer will uns sagen, ob wir Künstler sind?</p> </sp><lb/> <sp who="#TIZI"> <speaker> <hi rendition="#g">Tizianello:</hi> </speaker> <p>Er hat den regungslosen Wald belebt:<lb/> Und wo die braunen Weiher murmelnd liegen<lb/> Und Epheuranken sich an Buchen schmiegen,<lb/> Da hat er Götter in das Nichts gewebt:<lb/> Den Satyr, der die Syrinx tönend hebt,<lb/></p> </sp> </body> </text> </TEI> [17/0025]
Das um sie webt die Unbefangenheit,
Und einfach hab ich schon verlernt zu fühlen.
Pause. Gianino ist seitwärts auf den Stufen, den Kopf auf den
Arm geschmiegt, eingeschlummert.
Paris: Wo nur Giocondo bleibt?
Tizianello: Lang vor dem Morgen
— Ihr schlieft noch — schlich er leise durch die
Pforte,
Auf blasser Stirn den Kuss der Liebessorgen
Und auf den Lippen eifersüchtge Worte …
Pagen tragen zwei Bilder über die Bühne (die Venus mit den
Blumen und das grosse Bacchanal). Die Schüler erheben sich
und stehen, solange die Bilder vorübergetragen werden, mit ge-
senktem Kopf, das Barett in der Hand.
Nach einer Pause (Alle stehen):
Desiderio: Wer lebt nach ihm, ein Künstler und Lebendiger,
Im Geiste herrlich und der Dinge Bändiger
Und in der Einfalt weise wie das Kind?
Antonio: Wer ist, der seiner Weihe freudig traut?
Batista: Wer ist, dem nicht vor seinem Wissen graut?
Paris: Wer will uns sagen, ob wir Künstler sind?
Tizianello: Er hat den regungslosen Wald belebt:
Und wo die braunen Weiher murmelnd liegen
Und Epheuranken sich an Buchen schmiegen,
Da hat er Götter in das Nichts gewebt:
Den Satyr, der die Syrinx tönend hebt,
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Zitationshilfe: | Hofmannsthal, Hugo von: Tod des Tizian. Berlin, 1902, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannsthal_tizian_1901/25>, abgerufen am 08.07.2024. |