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Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709.

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Vorrede.

7. Daß man sie eine urheberin der lügen und
thörichten fabeln, eine hebamme des aberglaubens, ei-
ne unsinnige schwärmerin, und tochter der raserey
nennet, und ihr alle die pasquille, so die poeten ge-
macht, und alle das in ihren getichten ausgekramte
gifft der geilheit und schmeicheley beymist, heist wahr-
hafftig sehr sophistisch gehandelt. Sintemahl nach
dieser philosophie auch die redekunst ausgebannt
werden müste, weil sie irgend ein Carneades zu ver-
theidigung der ungerechtigkeit gemißbrauchet. Ja
was würde endlich selbst aus dem allerheiligsten bu-
che, der so genannten bibel, werden? aus deren fal-
schen erklärung und schlimmen gebrauch so viel ke-
tzereyen entsprungen sind. Zu geschweigen, daß
man gelogen, abgötterey getrieben, geschwärmet,
und seinen nächsten verleumdet hat, ehe einmahl an
die poesie gedacht worden.

8. Jch bin indessen gar nicht in abrede, daß die fa-
beln die ächten kinder, und die sinnreichen erfindun-
gen die seele der poesie seyn. Aber erfindungen und
fabeln sind keine eigentlich so genannte lügen, wie
allen denen, so nur das A. B. C. in der morale stu-
dieret haben, bekannt ist. Die Schrifft selbst, der
brunnen der besten wahrheit, bedienet sich der fabeln
und gleichnisse zu beförderung der seeligkeit des
menschen, wovon die lügen allezeit abgeführt haben.
Des Homeri und Hesiodi getichte möchten tausend
fabeln in sich halten, wenn sie nur in den schrancken
der vernunfft geblieben, nicht wieder die ehrerbie-
tung gegen GOtt und die regeln der ehrbarkeit ange-

stos-
Vorrede.

7. Daß man ſie eine urheberin der luͤgen und
thoͤrichten fabeln, eine hebamme des aberglaubens, ei-
ne unſinnige ſchwaͤrmerin, und tochter der raſerey
nennet, und ihr alle die pasquille, ſo die poeten ge-
macht, und alle das in ihren getichten ausgekramte
gifft der geilheit und ſchmeicheley beymiſt, heiſt wahr-
hafftig ſehr ſophiſtiſch gehandelt. Sintemahl nach
dieſer philoſophie auch die redekunſt ausgebannt
werden muͤſte, weil ſie irgend ein Carneades zu ver-
theidigung der ungerechtigkeit gemißbrauchet. Ja
was wuͤrde endlich ſelbſt aus dem allerheiligſten bu-
che, der ſo genannten bibel, werden? aus deren fal-
ſchen erklaͤrung und ſchlimmen gebrauch ſo viel ke-
tzereyen entſprungen ſind. Zu geſchweigen, daß
man gelogen, abgoͤtterey getrieben, geſchwaͤrmet,
und ſeinen naͤchſten verleumdet hat, ehe einmahl an
die poeſie gedacht worden.

8. Jch bin indeſſen gar nicht in abrede, daß die fa-
beln die aͤchten kinder, und die ſinnreichen erfindun-
gen die ſeele der poeſie ſeyn. Aber erfindungen und
fabeln ſind keine eigentlich ſo genannte luͤgen, wie
allen denen, ſo nur das A. B. C. in der morale ſtu-
dieret haben, bekannt iſt. Die Schrifft ſelbſt, der
brunnen der beſten wahrheit, bedienet ſich der fabeln
und gleichniſſe zu befoͤrderung der ſeeligkeit des
menſchen, wovon die luͤgen allezeit abgefuͤhrt haben.
Des Homeri und Heſiodi getichte moͤchten tauſend
fabeln in ſich halten, wenn ſie nur in den ſchrancken
der vernunfft geblieben, nicht wieder die ehrerbie-
tung gegen GOtt und die regeln der ehrbarkeit ange-

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[0012] Vorrede. 7. Daß man ſie eine urheberin der luͤgen und thoͤrichten fabeln, eine hebamme des aberglaubens, ei- ne unſinnige ſchwaͤrmerin, und tochter der raſerey nennet, und ihr alle die pasquille, ſo die poeten ge- macht, und alle das in ihren getichten ausgekramte gifft der geilheit und ſchmeicheley beymiſt, heiſt wahr- hafftig ſehr ſophiſtiſch gehandelt. Sintemahl nach dieſer philoſophie auch die redekunſt ausgebannt werden muͤſte, weil ſie irgend ein Carneades zu ver- theidigung der ungerechtigkeit gemißbrauchet. Ja was wuͤrde endlich ſelbſt aus dem allerheiligſten bu- che, der ſo genannten bibel, werden? aus deren fal- ſchen erklaͤrung und ſchlimmen gebrauch ſo viel ke- tzereyen entſprungen ſind. Zu geſchweigen, daß man gelogen, abgoͤtterey getrieben, geſchwaͤrmet, und ſeinen naͤchſten verleumdet hat, ehe einmahl an die poeſie gedacht worden. 8. Jch bin indeſſen gar nicht in abrede, daß die fa- beln die aͤchten kinder, und die ſinnreichen erfindun- gen die ſeele der poeſie ſeyn. Aber erfindungen und fabeln ſind keine eigentlich ſo genannte luͤgen, wie allen denen, ſo nur das A. B. C. in der morale ſtu- dieret haben, bekannt iſt. Die Schrifft ſelbſt, der brunnen der beſten wahrheit, bedienet ſich der fabeln und gleichniſſe zu befoͤrderung der ſeeligkeit des menſchen, wovon die luͤgen allezeit abgefuͤhrt haben. Des Homeri und Heſiodi getichte moͤchten tauſend fabeln in ſich halten, wenn ſie nur in den ſchrancken der vernunfft geblieben, nicht wieder die ehrerbie- tung gegen GOtt und die regeln der ehrbarkeit ange- ſtoſ-

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Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/12>, abgerufen am 29.03.2024.