Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 5. Leipzig, 1710.

Bild:
<< vorherige Seite
Vermischte Gedichte.
Jch schaue nichts hiervon. Doch schaut' ich nur Floretten,
Und dich, mein Seladsn! so schaut' ich schon genung.
Jch trüge voller lust die schweren unglücks-ketten,
Und spürte zweiffels-frey weit mehr beruhigung.
Jndessen tröstet mich doch euer angedencken.
Es hindert Seladon viel unmuth und verdruß.
Will das verhängniß mich mit gall und myrrhen träncken,
So geb ich in der angst Floretten einen kuß.
Wie sollt' ich armer sonst die bitterkeit versüßen?
Jch weiß, Florette selbst sieht meiner kühnheit nach.
Zum minsten heist kein recht vor die gedancken büssen.
Weil auch wohl Joseph sich nicht ihrer gantz entbrach.
So unterhalt ich mich mein Seladon im geiste.
Drum frage ja nicht mehr: Gedenckst du auch an mich?
Jch wüste keinen tag, da ich nicht zu dir reiste.
Wer liebt, und reiset nicht? ich aber liebe dich.
Jch liebe dich gewiß, und will dich ewig lieben,
Denn diese liebe soll mit mir zu grabe gehn.
Das glücke mag an mir die schärffsten waffen üben,
Kan ich nur allezeit in deiner freundschafft stehn.
Du schreibst: ich schaue nichts als blumen, gras und bäume.
Ach freund! ich schaue noch kein angenehmes feld.
Jndessen führet mich dein vers auf süße träume,
Ob das verhängniß mir gleich deinen wunsch vergällt.
Und also siehest du, was du vorlängst gelesen:
Leanders unstern will ein fix-gestirne seyn.
Doch wie die hoffnung noch niemals mein artzt gewesen,
So geht mir dieser satz nicht eben bitter ein.
Jch bin es schon gewohnt den wermuth-safft zu schmecken;
Vielleichte dient er mir mehr als der honigseim.
Die wohllust möchte zwar sehr gerne zucker lecken,
Doch fällt sie mit der zeit dem tod und grab anheim.
Das glücke läst ohndem sich nicht durch murren zwingen,
Drum trag ich mit geduld, was ich nicht ändern kan.
Und will mein dornenpusch mir keine rosen bringen,
So schau ich sie gleichwol bey meinen freunden an.
Jch will, wie Socrates, aus schmertzen wohllust saugen.
Ein andrer hoff' und schrey, biß er im grabe liegt.
Wenn
U 4
Vermiſchte Gedichte.
Jch ſchaue nichts hiervon. Doch ſchaut’ ich nur Floretten,
Und dich, mein Seladsn! ſo ſchaut’ ich ſchon genung.
Jch truͤge voller luſt die ſchweren ungluͤcks-ketten,
Und ſpuͤrte zweiffels-frey weit mehr beruhigung.
Jndeſſen troͤſtet mich doch euer angedencken.
Es hindert Seladon viel unmuth und verdruß.
Will das verhaͤngniß mich mit gall und myrrhen traͤncken,
So geb ich in der angſt Floretten einen kuß.
Wie ſollt’ ich armer ſonſt die bitterkeit verſuͤßen?
Jch weiß, Florette ſelbſt ſieht meiner kuͤhnheit nach.
Zum minſten heiſt kein recht vor die gedancken buͤſſen.
Weil auch wohl Joſeph ſich nicht ihrer gantz entbrach.
So unterhalt ich mich mein Seladon im geiſte.
Drum frage ja nicht mehr: Gedenckſt du auch an mich?
Jch wuͤſte keinen tag, da ich nicht zu dir reiſte.
Wer liebt, und reiſet nicht? ich aber liebe dich.
Jch liebe dich gewiß, und will dich ewig lieben,
Denn dieſe liebe ſoll mit mir zu grabe gehn.
Das gluͤcke mag an mir die ſchaͤrffſten waffen uͤben,
Kan ich nur allezeit in deiner freundſchafft ſtehn.
Du ſchreibſt: ich ſchaue nichts als blumen, gras und baͤume.
Ach freund! ich ſchaue noch kein angenehmes feld.
Jndeſſen fuͤhret mich dein vers auf ſuͤße traͤume,
Ob das verhaͤngniß mir gleich deinen wunſch vergaͤllt.
Und alſo ſieheſt du, was du vorlaͤngſt geleſen:
Leanders unſtern will ein fix-geſtirne ſeyn.
Doch wie die hoffnung noch niemals mein artzt geweſen,
So geht mir dieſer ſatz nicht eben bitter ein.
Jch bin es ſchon gewohnt den wermuth-ſafft zu ſchmecken;
Vielleichte dient er mir mehr als der honigſeim.
Die wohlluſt moͤchte zwar ſehr gerne zucker lecken,
Doch faͤllt ſie mit der zeit dem tod und grab anheim.
Das gluͤcke laͤſt ohndem ſich nicht durch murren zwingen,
Drum trag ich mit geduld, was ich nicht aͤndern kan.
Und will mein dornenpuſch mir keine roſen bringen,
So ſchau ich ſie gleichwol bey meinen freunden an.
Jch will, wie Socrates, aus ſchmertzen wohlluſt ſaugen.
Ein andrer hoff’ und ſchrey, biß er im grabe liegt.
Wenn
U 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0313" n="311"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#fr">Vermi&#x017F;chte Gedichte.</hi> </fw><lb/>
          <l>Jch &#x017F;chaue nichts hiervon. Doch &#x017F;chaut&#x2019; ich nur Floretten,</l><lb/>
          <l>Und dich, mein Seladsn! &#x017F;o &#x017F;chaut&#x2019; ich &#x017F;chon genung.</l><lb/>
          <l>Jch tru&#x0364;ge voller lu&#x017F;t die &#x017F;chweren unglu&#x0364;cks-ketten,</l><lb/>
          <l>Und &#x017F;pu&#x0364;rte zweiffels-frey weit mehr beruhigung.</l><lb/>
          <l>Jnde&#x017F;&#x017F;en tro&#x0364;&#x017F;tet mich doch euer angedencken.</l><lb/>
          <l>Es hindert Seladon viel unmuth und verdruß.</l><lb/>
          <l>Will das verha&#x0364;ngniß mich mit gall und myrrhen tra&#x0364;ncken,</l><lb/>
          <l>So geb ich in der ang&#x017F;t Floretten einen kuß.</l><lb/>
          <l>Wie &#x017F;ollt&#x2019; ich armer &#x017F;on&#x017F;t die bitterkeit ver&#x017F;u&#x0364;ßen?</l><lb/>
          <l>Jch weiß, Florette &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ieht meiner ku&#x0364;hnheit nach.</l><lb/>
          <l>Zum min&#x017F;ten hei&#x017F;t kein recht vor die gedancken bu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</l><lb/>
          <l>Weil auch wohl Jo&#x017F;eph &#x017F;ich nicht ihrer gantz entbrach.</l><lb/>
          <l>So unterhalt ich mich mein Seladon im gei&#x017F;te.</l><lb/>
          <l>Drum frage ja nicht mehr: Gedenck&#x017F;t du auch an mich?</l><lb/>
          <l>Jch wu&#x0364;&#x017F;te keinen tag, da ich nicht zu dir rei&#x017F;te.</l><lb/>
          <l>Wer liebt, und rei&#x017F;et nicht? ich aber liebe dich.</l><lb/>
          <l>Jch liebe dich gewiß, und will dich ewig lieben,</l><lb/>
          <l>Denn die&#x017F;e liebe &#x017F;oll mit mir zu grabe gehn.</l><lb/>
          <l>Das glu&#x0364;cke mag an mir die &#x017F;cha&#x0364;rff&#x017F;ten waffen u&#x0364;ben,</l><lb/>
          <l>Kan ich nur allezeit in deiner freund&#x017F;chafft &#x017F;tehn.</l><lb/>
          <l>Du &#x017F;chreib&#x017F;t: ich &#x017F;chaue nichts als blumen, gras und ba&#x0364;ume.</l><lb/>
          <l>Ach freund! ich &#x017F;chaue noch kein angenehmes feld.</l><lb/>
          <l>Jnde&#x017F;&#x017F;en fu&#x0364;hret mich dein vers auf &#x017F;u&#x0364;ße tra&#x0364;ume,</l><lb/>
          <l>Ob das verha&#x0364;ngniß mir gleich deinen wun&#x017F;ch verga&#x0364;llt.</l><lb/>
          <l>Und al&#x017F;o &#x017F;iehe&#x017F;t du, was du vorla&#x0364;ng&#x017F;t gele&#x017F;en:</l><lb/>
          <l>Leanders un&#x017F;tern will ein fix-ge&#x017F;tirne &#x017F;eyn.</l><lb/>
          <l>Doch wie die hoffnung noch niemals mein artzt gewe&#x017F;en,</l><lb/>
          <l>So geht mir die&#x017F;er &#x017F;atz nicht eben bitter ein.</l><lb/>
          <l>Jch bin es &#x017F;chon gewohnt den wermuth-&#x017F;afft zu &#x017F;chmecken;</l><lb/>
          <l>Vielleichte dient er mir mehr als der honig&#x017F;eim.</l><lb/>
          <l>Die wohllu&#x017F;t mo&#x0364;chte zwar &#x017F;ehr gerne zucker lecken,</l><lb/>
          <l>Doch fa&#x0364;llt &#x017F;ie mit der zeit dem tod und grab anheim.</l><lb/>
          <l>Das glu&#x0364;cke la&#x0364;&#x017F;t ohndem &#x017F;ich nicht durch murren zwingen,</l><lb/>
          <l>Drum trag ich mit geduld, was ich nicht a&#x0364;ndern kan.</l><lb/>
          <l>Und will mein dornenpu&#x017F;ch mir keine ro&#x017F;en bringen,</l><lb/>
          <l>So &#x017F;chau ich &#x017F;ie gleichwol bey meinen freunden an.</l><lb/>
          <l>Jch will, wie Socrates, aus &#x017F;chmertzen wohllu&#x017F;t &#x017F;augen.</l><lb/>
          <l>Ein andrer hoff&#x2019; und &#x017F;chrey, biß er im grabe liegt.</l><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">U 4</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Wenn</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[311/0313] Vermiſchte Gedichte. Jch ſchaue nichts hiervon. Doch ſchaut’ ich nur Floretten, Und dich, mein Seladsn! ſo ſchaut’ ich ſchon genung. Jch truͤge voller luſt die ſchweren ungluͤcks-ketten, Und ſpuͤrte zweiffels-frey weit mehr beruhigung. Jndeſſen troͤſtet mich doch euer angedencken. Es hindert Seladon viel unmuth und verdruß. Will das verhaͤngniß mich mit gall und myrrhen traͤncken, So geb ich in der angſt Floretten einen kuß. Wie ſollt’ ich armer ſonſt die bitterkeit verſuͤßen? Jch weiß, Florette ſelbſt ſieht meiner kuͤhnheit nach. Zum minſten heiſt kein recht vor die gedancken buͤſſen. Weil auch wohl Joſeph ſich nicht ihrer gantz entbrach. So unterhalt ich mich mein Seladon im geiſte. Drum frage ja nicht mehr: Gedenckſt du auch an mich? Jch wuͤſte keinen tag, da ich nicht zu dir reiſte. Wer liebt, und reiſet nicht? ich aber liebe dich. Jch liebe dich gewiß, und will dich ewig lieben, Denn dieſe liebe ſoll mit mir zu grabe gehn. Das gluͤcke mag an mir die ſchaͤrffſten waffen uͤben, Kan ich nur allezeit in deiner freundſchafft ſtehn. Du ſchreibſt: ich ſchaue nichts als blumen, gras und baͤume. Ach freund! ich ſchaue noch kein angenehmes feld. Jndeſſen fuͤhret mich dein vers auf ſuͤße traͤume, Ob das verhaͤngniß mir gleich deinen wunſch vergaͤllt. Und alſo ſieheſt du, was du vorlaͤngſt geleſen: Leanders unſtern will ein fix-geſtirne ſeyn. Doch wie die hoffnung noch niemals mein artzt geweſen, So geht mir dieſer ſatz nicht eben bitter ein. Jch bin es ſchon gewohnt den wermuth-ſafft zu ſchmecken; Vielleichte dient er mir mehr als der honigſeim. Die wohlluſt moͤchte zwar ſehr gerne zucker lecken, Doch faͤllt ſie mit der zeit dem tod und grab anheim. Das gluͤcke laͤſt ohndem ſich nicht durch murren zwingen, Drum trag ich mit geduld, was ich nicht aͤndern kan. Und will mein dornenpuſch mir keine roſen bringen, So ſchau ich ſie gleichwol bey meinen freunden an. Jch will, wie Socrates, aus ſchmertzen wohlluſt ſaugen. Ein andrer hoff’ und ſchrey, biß er im grabe liegt. Wenn U 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte05_1710
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte05_1710/313
Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 5. Leipzig, 1710, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte05_1710/313>, abgerufen am 24.11.2024.