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Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 5. Leipzig, 1710.

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Leanders aus Schlesien
Nun witz und tugend mir der keuschdeit schatz gewehrt,
Den soll kein liebes-blitz mir aus dem hertzen reissen.
Denck' aber nicht zu viel, dein dencken ist ein wahn.
Dein hochmuth, den du liebst, läst dich es nicht erwegen;
Denn dieser sucht in dir der tugend beyzulegen,
Was doch des alters macht und nicht dein witz gethan.


* *
MAcht mir nicht so ein werck aus den verdorbnen Heyden,
So ihnen ohne furcht das leben abgekürtzt:
Sie hatten, da sie sich selbst in den tod gestürtzt,
Jn diesem leben noch viel ungemach zu leiden.
Das leben hatte dann nichts süßes mehr vor sie:
Ein tod war leidlicher als tausend auszustehen.
Jm ungelücke nicht aus ungeduld vergehen,
Jst schwerer, als der tod; der kostet schlechte müh.


* *
DJe pyramiden stehn offt mehr als tausend jahre:
Der arme mensch lebt nicht den zehnden theil davon,
Jndessen ist er doch, wie sie, ein erden-sohn.
Ein nichts legt seinen leib in kurtzem auf die bahre;
Und jene reißt kein streit der elementen ein.
Hat GOttes ebenbild so wenig krafft und stärcke?
Kommt, weisen! und erstaunt, dieweil des Höchsten wercke
Weit, weit gebrechlicher, als menschen wercke seyn.


* *
WAs suchest du, o mensch! mit der vernunfft zu prangen?
Jch weiß, man nennet sie das allerbeste guth.
Jch aber schaue nicht, was sie uns gutes thut.
Wenn wir, als kinder, noch an mutter-brüsten hangen,
So
Leanders aus Schleſien
Nun witz und tugend mir der keuſchdeit ſchatz gewehrt,
Den ſoll kein liebes-blitz mir aus dem hertzen reiſſen.
Denck’ aber nicht zu viel, dein dencken iſt ein wahn.
Dein hochmuth, den du liebſt, laͤſt dich es nicht erwegen;
Denn dieſer ſucht in dir der tugend beyzulegen,
Was doch des alters macht und nicht dein witz gethan.


* *
MAcht mir nicht ſo ein werck aus den verdorbnen Heyden,
So ihnen ohne furcht das leben abgekuͤrtzt:
Sie hatten, da ſie ſich ſelbſt in den tod geſtuͤrtzt,
Jn dieſem leben noch viel ungemach zu leiden.
Das leben hatte dann nichts ſuͤßes mehr vor ſie:
Ein tod war leidlicher als tauſend auszuſtehen.
Jm ungeluͤcke nicht aus ungeduld vergehen,
Jſt ſchwerer, als der tod; der koſtet ſchlechte muͤh.


* *
DJe pyramiden ſtehn offt mehr als tauſend jahre:
Der arme menſch lebt nicht den zehnden theil davon,
Jndeſſen iſt er doch, wie ſie, ein erden-ſohn.
Ein nichts legt ſeinen leib in kurtzem auf die bahre;
Und jene reißt kein ſtreit der elementen ein.
Hat GOttes ebenbild ſo wenig krafft und ſtaͤrcke?
Kommt, weiſen! und erſtaunt, dieweil des Hoͤchſten wercke
Weit, weit gebrechlicher, als menſchen wercke ſeyn.


* *
WAs ſucheſt du, o menſch! mit der vernunfft zu prangen?
Jch weiß, man nennet ſie das allerbeſte guth.
Jch aber ſchaue nicht, was ſie uns gutes thut.
Wenn wir, als kinder, noch an mutter-bruͤſten hangen,
So
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[300/0302] Leanders aus Schleſien Nun witz und tugend mir der keuſchdeit ſchatz gewehrt, Den ſoll kein liebes-blitz mir aus dem hertzen reiſſen. Denck’ aber nicht zu viel, dein dencken iſt ein wahn. Dein hochmuth, den du liebſt, laͤſt dich es nicht erwegen; Denn dieſer ſucht in dir der tugend beyzulegen, Was doch des alters macht und nicht dein witz gethan. * * MAcht mir nicht ſo ein werck aus den verdorbnen Heyden, So ihnen ohne furcht das leben abgekuͤrtzt: Sie hatten, da ſie ſich ſelbſt in den tod geſtuͤrtzt, Jn dieſem leben noch viel ungemach zu leiden. Das leben hatte dann nichts ſuͤßes mehr vor ſie: Ein tod war leidlicher als tauſend auszuſtehen. Jm ungeluͤcke nicht aus ungeduld vergehen, Jſt ſchwerer, als der tod; der koſtet ſchlechte muͤh. * * DJe pyramiden ſtehn offt mehr als tauſend jahre: Der arme menſch lebt nicht den zehnden theil davon, Jndeſſen iſt er doch, wie ſie, ein erden-ſohn. Ein nichts legt ſeinen leib in kurtzem auf die bahre; Und jene reißt kein ſtreit der elementen ein. Hat GOttes ebenbild ſo wenig krafft und ſtaͤrcke? Kommt, weiſen! und erſtaunt, dieweil des Hoͤchſten wercke Weit, weit gebrechlicher, als menſchen wercke ſeyn. * * WAs ſucheſt du, o menſch! mit der vernunfft zu prangen? Jch weiß, man nennet ſie das allerbeſte guth. Jch aber ſchaue nicht, was ſie uns gutes thut. Wenn wir, als kinder, noch an mutter-bruͤſten hangen, So

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Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 5. Leipzig, 1710, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte05_1710/302>, abgerufen am 27.04.2024.