Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 5. Leipzig, 1710.Vermischte Gedichte. Die selbst-erkenntniß ist weit über alle kunst.Wohl diesem, der von sich die masqve weggenommen, Und seine nichtigkeit in demuth zugesteht! Denn wahre demuth ist die rechte Jacobs-leiter. Ein pharisäer fällt, ie mehr er sich erhöht, Wer sich erniedriget, der kommt bey GOtt viel weiter. 9. Jch habe mit dem wahn der thoren nichts zu schaffen,Da alle wissenschafft und kunst verworffen heist. Was GOtt verworffen hat, verdammt kein guter geist, Doch wenn wir alle kunst und witz zusammen raffen, So sind sie dennoch nicht der tugend vorzuziehn: Ein gut gewissen ist weit besser, als viel wissen. Und die sich sonst um nichts, als um verstand bemühn, Die werden von dem strom des irrthums hingerissen. 10. Ach daß man sich so sehr der heiligung beflisse,Der wahren heiligung, die reine früchte trägt, Als man sich auf gezänck und leere fragen legt; So wären in der welt nicht so viel ärgernisse! Allein die frömmigkeit hat vor uns gute ruh, Dieweil sie mehrentheils nicht große titel bringet; Drum eilet man der welt, und ihren schulen zu, Wo Aristoteles von eitler ehre singet. 11. Doch, wird der Richter auch an jenem tage fragen,Wie viel du disputirt und durchgelesen hast? Nein! sondern ob du auch dem HErren seine last Jn creutzigung der welt geduldig nachgetragen. Wo ist die excellentz, die vor nicht langer zeit Auf der catheder stund und sich so hoch vermessen? Jm leben macht er sich mit vielem wissen breit; Jtzt aber, da er liegt, ist seiner schon vergessen. 12. Wie S 4
Vermiſchte Gedichte. Die ſelbſt-erkenntniß iſt weit uͤber alle kunſt.Wohl dieſem, der von ſich die maſqve weggenommen, Und ſeine nichtigkeit in demuth zugeſteht! Denn wahre demuth iſt die rechte Jacobs-leiter. Ein phariſaͤer faͤllt, ie mehr er ſich erhoͤht, Wer ſich erniedriget, der kommt bey GOtt viel weiter. 9. Jch habe mit dem wahn der thoren nichts zu ſchaffen,Da alle wiſſenſchafft und kunſt verworffen heiſt. Was GOtt verworffen hat, verdammt kein guter geiſt, Doch wenn wir alle kunſt und witz zuſammen raffen, So ſind ſie dennoch nicht der tugend vorzuziehn: Ein gut gewiſſen iſt weit beſſer, als viel wiſſen. Und die ſich ſonſt um nichts, als um verſtand bemuͤhn, Die werden von dem ſtrom des irrthums hingeriſſen. 10. Ach daß man ſich ſo ſehr der heiligung befliſſe,Der wahren heiligung, die reine fruͤchte traͤgt, Als man ſich auf gezaͤnck und leere fragen legt; So waͤren in der welt nicht ſo viel aͤrgerniſſe! Allein die froͤmmigkeit hat vor uns gute ruh, Dieweil ſie mehrentheils nicht große titel bringet; Drum eilet man der welt, und ihren ſchulen zu, Wo Ariſtoteles von eitler ehre ſinget. 11. Doch, wird der Richter auch an jenem tage fragen,Wie viel du diſputirt und durchgeleſen haſt? Nein! ſondern ob du auch dem HErren ſeine laſt Jn creutzigung der welt geduldig nachgetragen. Wo iſt die excellentz, die vor nicht langer zeit Auf der catheder ſtund und ſich ſo hoch vermeſſen? Jm leben macht er ſich mit vielem wiſſen breit; Jtzt aber, da er liegt, iſt ſeiner ſchon vergeſſen. 12. Wie S 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="8"> <pb facs="#f0281" n="279"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vermiſchte Gedichte.</hi> </fw><lb/> <l>Die ſelbſt-erkenntniß iſt weit uͤber alle kunſt.</l><lb/> <l>Wohl dieſem, der von ſich die maſqve weggenommen,</l><lb/> <l>Und ſeine nichtigkeit in demuth zugeſteht!</l><lb/> <l>Denn wahre demuth iſt die rechte Jacobs-leiter.</l><lb/> <l>Ein phariſaͤer faͤllt, ie mehr er ſich erhoͤht,</l><lb/> <l>Wer ſich erniedriget, der kommt bey GOtt viel weiter.</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <head> <hi rendition="#c">9.</hi> </head><lb/> <l>Jch habe mit dem wahn der thoren nichts zu ſchaffen,</l><lb/> <l>Da alle wiſſenſchafft und kunſt verworffen heiſt.</l><lb/> <l>Was GOtt verworffen hat, verdammt kein guter geiſt,</l><lb/> <l>Doch wenn wir alle kunſt und witz zuſammen raffen,</l><lb/> <l>So ſind ſie dennoch nicht der tugend vorzuziehn:</l><lb/> <l>Ein gut gewiſſen iſt weit beſſer, als viel wiſſen.</l><lb/> <l>Und die ſich ſonſt um nichts, als um verſtand bemuͤhn,</l><lb/> <l>Die werden von dem ſtrom des irrthums hingeriſſen.</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <head> <hi rendition="#c">10.</hi> </head><lb/> <l>Ach daß man ſich ſo ſehr der heiligung befliſſe,</l><lb/> <l>Der wahren heiligung, die reine fruͤchte traͤgt,</l><lb/> <l>Als man ſich auf gezaͤnck und leere fragen legt;</l><lb/> <l>So waͤren in der welt nicht ſo viel aͤrgerniſſe!</l><lb/> <l>Allein die froͤmmigkeit hat vor uns gute ruh,</l><lb/> <l>Dieweil ſie mehrentheils nicht große titel bringet;</l><lb/> <l>Drum eilet man der welt, und ihren ſchulen zu,</l><lb/> <l>Wo Ariſtoteles von eitler ehre ſinget.</l> </lg><lb/> <lg n="11"> <head> <hi rendition="#c">11.</hi> </head><lb/> <l>Doch, wird der Richter auch an jenem tage fragen,</l><lb/> <l>Wie viel du diſputirt und durchgeleſen haſt?</l><lb/> <l>Nein! ſondern ob du auch dem HErren ſeine laſt</l><lb/> <l>Jn creutzigung der welt geduldig nachgetragen.</l><lb/> <l>Wo iſt die excellentz, die vor nicht langer zeit</l><lb/> <l>Auf der catheder ſtund und ſich ſo hoch vermeſſen?</l><lb/> <l>Jm leben macht er ſich mit vielem wiſſen breit;</l><lb/> <l>Jtzt aber, da er liegt, iſt ſeiner ſchon vergeſſen.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="sig">S 4</fw> <fw place="bottom" type="catch">12. Wie</fw><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [279/0281]
Vermiſchte Gedichte.
Die ſelbſt-erkenntniß iſt weit uͤber alle kunſt.
Wohl dieſem, der von ſich die maſqve weggenommen,
Und ſeine nichtigkeit in demuth zugeſteht!
Denn wahre demuth iſt die rechte Jacobs-leiter.
Ein phariſaͤer faͤllt, ie mehr er ſich erhoͤht,
Wer ſich erniedriget, der kommt bey GOtt viel weiter.
9.
Jch habe mit dem wahn der thoren nichts zu ſchaffen,
Da alle wiſſenſchafft und kunſt verworffen heiſt.
Was GOtt verworffen hat, verdammt kein guter geiſt,
Doch wenn wir alle kunſt und witz zuſammen raffen,
So ſind ſie dennoch nicht der tugend vorzuziehn:
Ein gut gewiſſen iſt weit beſſer, als viel wiſſen.
Und die ſich ſonſt um nichts, als um verſtand bemuͤhn,
Die werden von dem ſtrom des irrthums hingeriſſen.
10.
Ach daß man ſich ſo ſehr der heiligung befliſſe,
Der wahren heiligung, die reine fruͤchte traͤgt,
Als man ſich auf gezaͤnck und leere fragen legt;
So waͤren in der welt nicht ſo viel aͤrgerniſſe!
Allein die froͤmmigkeit hat vor uns gute ruh,
Dieweil ſie mehrentheils nicht große titel bringet;
Drum eilet man der welt, und ihren ſchulen zu,
Wo Ariſtoteles von eitler ehre ſinget.
11.
Doch, wird der Richter auch an jenem tage fragen,
Wie viel du diſputirt und durchgeleſen haſt?
Nein! ſondern ob du auch dem HErren ſeine laſt
Jn creutzigung der welt geduldig nachgetragen.
Wo iſt die excellentz, die vor nicht langer zeit
Auf der catheder ſtund und ſich ſo hoch vermeſſen?
Jm leben macht er ſich mit vielem wiſſen breit;
Jtzt aber, da er liegt, iſt ſeiner ſchon vergeſſen.
12. Wie
S 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |