Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 5. Leipzig, 1710.

Bild:
<< vorherige Seite
Leanders aus Schlesien
Als er sie sahe kirschen essen.
ES satzte Flavia sich in das grüne gras,
Als ihre hand viel kirschen abgepflücket:
Jndem sie nun dieselben as,
So stund Leander gantz entzücket.
Sein auge konnte nicht die lippen unterscheiden,
Und gleichwol war er ihr gantz nah,
Weil er nichts als rothe kirschen in blutrothen kirschen sah.


Als er sie vergebens suchte.
WO bist du denn, mein holdes Licht?
So frag' ich; aber ach! weßwegen frag' ich nicht,
Wo ich mich selbst befinde?
Leb ich in dir,
Und du in mir?
So bin ich ja bey meinem liebsten Kinde.
Jndessen such' ich, wo ich kan,
Und treffe dich doch nirgends an.
Ja was unglaublich scheint, mein angenehmstes Licht!
Jch weiß es, wo ich bin, und weiß es doch auch nicht.


Als er sie geküsset hatte.
DIe schlau' und eifersüchtge liebe
Bewachte Florabellens mund.
Jndem ich nun aus vorwitz-vollem triebe
Nach diesen frischen rosen stund,
(Worunter Amor sich versteckte)
Und endlich auch den safft der süßen blumen schmeckte,
So stach die liebe zu, wie eine biene thut;
Der stich durchlief das heisse blut,
Und drang, iedoch nicht ohne süße schmertzen,
Mir von dem munde zu dem hertzen.
Als
Leanders aus Schleſien
Als er ſie ſahe kirſchen eſſen.
ES ſatzte Flavia ſich in das gruͤne gras,
Als ihre hand viel kirſchen abgepfluͤcket:
Jndem ſie nun dieſelben as,
So ſtund Leander gantz entzuͤcket.
Sein auge konnte nicht die lippen unterſcheiden,
Und gleichwol war er ihr gantz nah,
Weil er nichts als rothe kirſchen in blutrothen kirſchen ſah.


Als er ſie vergebens ſuchte.
WO biſt du denn, mein holdes Licht?
So frag’ ich; aber ach! weßwegen frag’ ich nicht,
Wo ich mich ſelbſt befinde?
Leb ich in dir,
Und du in mir?
So bin ich ja bey meinem liebſten Kinde.
Jndeſſen ſuch’ ich, wo ich kan,
Und treffe dich doch nirgends an.
Ja was unglaublich ſcheint, mein angenehmſtes Licht!
Jch weiß es, wo ich bin, und weiß es doch auch nicht.


Als er ſie gekuͤſſet hatte.
DIe ſchlau’ und eiferſuͤchtge liebe
Bewachte Florabellens mund.
Jndem ich nun aus vorwitz-vollem triebe
Nach dieſen friſchen roſen ſtund,
(Worunter Amor ſich verſteckte)
Und endlich auch den ſafft der ſuͤßen blumen ſchmeckte,
So ſtach die liebe zu, wie eine biene thut;
Der ſtich durchlief das heiſſe blut,
Und drang, iedoch nicht ohne ſuͤße ſchmertzen,
Mir von dem munde zu dem hertzen.
Als
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0270" n="268"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Leanders aus Schle&#x017F;ien</hi> </fw><lb/>
          <lg type="poem">
            <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Als er &#x017F;ie &#x017F;ahe kir&#x017F;chen e&#x017F;&#x017F;en.</hi> </hi> </head><lb/>
            <l><hi rendition="#in">E</hi>S &#x017F;atzte Flavia &#x017F;ich in das gru&#x0364;ne gras,</l><lb/>
            <l>Als ihre hand viel kir&#x017F;chen abgepflu&#x0364;cket:</l><lb/>
            <l>Jndem &#x017F;ie nun die&#x017F;elben as,</l><lb/>
            <l>So &#x017F;tund Leander gantz entzu&#x0364;cket.</l><lb/>
            <l>Sein auge konnte nicht die lippen unter&#x017F;cheiden,</l><lb/>
            <l>Und gleichwol war er ihr gantz nah,</l><lb/>
            <l>Weil er nichts als rothe kir&#x017F;chen in blutrothen kir&#x017F;chen &#x017F;ah.</l>
          </lg><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <lg type="poem">
            <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Als er &#x017F;ie vergebens &#x017F;uchte.</hi> </hi> </head><lb/>
            <l><hi rendition="#in">W</hi>O bi&#x017F;t du denn, mein holdes Licht?</l><lb/>
            <l>So frag&#x2019; ich; aber ach! weßwegen frag&#x2019; ich nicht,</l><lb/>
            <l>Wo ich mich &#x017F;elb&#x017F;t befinde?</l><lb/>
            <l>Leb ich in dir,</l><lb/>
            <l>Und du in mir?</l><lb/>
            <l>So bin ich ja bey meinem lieb&#x017F;ten Kinde.</l><lb/>
            <l>Jnde&#x017F;&#x017F;en &#x017F;uch&#x2019; ich, wo ich kan,</l><lb/>
            <l>Und treffe dich doch nirgends an.</l><lb/>
            <l>Ja was unglaublich &#x017F;cheint, mein angenehm&#x017F;tes Licht!</l><lb/>
            <l>Jch weiß es, wo ich bin, und weiß es doch auch nicht.</l>
          </lg><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <lg type="poem">
            <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Als er &#x017F;ie geku&#x0364;&#x017F;&#x017F;et hatte.</hi> </hi> </head><lb/>
            <l><hi rendition="#in">D</hi>Ie &#x017F;chlau&#x2019; und eifer&#x017F;u&#x0364;chtge liebe</l><lb/>
            <l>Bewachte Florabellens mund.</l><lb/>
            <l>Jndem ich nun aus vorwitz-vollem triebe</l><lb/>
            <l>Nach die&#x017F;en fri&#x017F;chen ro&#x017F;en &#x017F;tund,</l><lb/>
            <l>(Worunter Amor &#x017F;ich ver&#x017F;teckte)</l><lb/>
            <l>Und endlich auch den &#x017F;afft der &#x017F;u&#x0364;ßen blumen &#x017F;chmeckte,</l><lb/>
            <l>So &#x017F;tach die liebe zu, wie eine biene thut;</l><lb/>
            <l>Der &#x017F;tich durchlief das hei&#x017F;&#x017F;e blut,</l><lb/>
            <l>Und drang, iedoch nicht ohne &#x017F;u&#x0364;ße &#x017F;chmertzen,</l><lb/>
            <l>Mir von dem munde zu dem hertzen.</l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Als</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0270] Leanders aus Schleſien Als er ſie ſahe kirſchen eſſen. ES ſatzte Flavia ſich in das gruͤne gras, Als ihre hand viel kirſchen abgepfluͤcket: Jndem ſie nun dieſelben as, So ſtund Leander gantz entzuͤcket. Sein auge konnte nicht die lippen unterſcheiden, Und gleichwol war er ihr gantz nah, Weil er nichts als rothe kirſchen in blutrothen kirſchen ſah. Als er ſie vergebens ſuchte. WO biſt du denn, mein holdes Licht? So frag’ ich; aber ach! weßwegen frag’ ich nicht, Wo ich mich ſelbſt befinde? Leb ich in dir, Und du in mir? So bin ich ja bey meinem liebſten Kinde. Jndeſſen ſuch’ ich, wo ich kan, Und treffe dich doch nirgends an. Ja was unglaublich ſcheint, mein angenehmſtes Licht! Jch weiß es, wo ich bin, und weiß es doch auch nicht. Als er ſie gekuͤſſet hatte. DIe ſchlau’ und eiferſuͤchtge liebe Bewachte Florabellens mund. Jndem ich nun aus vorwitz-vollem triebe Nach dieſen friſchen roſen ſtund, (Worunter Amor ſich verſteckte) Und endlich auch den ſafft der ſuͤßen blumen ſchmeckte, So ſtach die liebe zu, wie eine biene thut; Der ſtich durchlief das heiſſe blut, Und drang, iedoch nicht ohne ſuͤße ſchmertzen, Mir von dem munde zu dem hertzen. Als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte05_1710
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte05_1710/270
Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 5. Leipzig, 1710, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte05_1710/270>, abgerufen am 11.05.2024.