Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Herrn von Hofmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte anderer Theil. Leipzig, 1697.
Diß thut der himmel nur; was nicht die unter-welt? Die uns mehr wunder läßt als jener sterne schauen. Denn wenn die graue zeit den marmel fast verstellt/ Muß witz und kunst daraus erst grosse tempel bauen/ Und die erfahrung giebt: daß barben und der wein Jm alter köstlicher als in der jugend seyn. Ein crocodil der wächst/ so lang er sich beweget: Die ströme mehren sich durch ihren weiten lauff. Je mehr ein feigen-baum auf erden früchte träget/ Je mehr setzt die natur ihm wieder knospen auf. Ein adler kan ihm selbst die jugend wieder bringen/ Ein todter phönix sich aus staub und asche schwingen. Der arme mensch allein bricht wie der porcellan/ Und steckt voll ungemach/ wie dünste voller regen. Er weint/ so bald er nur die augen auffgethan/ Mit thränen muß er sich auch wieder niederlegen/ Und iedem kinde zeigt sein schreyend A und E/ Daß man mit Armuth auf/ mit Elend untergeh. Drum reißt die ungedult zuweilen aus den schrancken/ Und flößt den sterblichen die falsche lehren ein: Die götter wären nichts als schatten und gedancken; Sonst müste ja der mensch mehr wie die thiere seyn. Denn diese schlieffen offt auf rosen und jaßminen/ Wenn jenem tod und blitz an statt der sonne schienen. So denckt die blinde welt: doch sonder alles recht. Denn fleisch und blut sind nicht die nahrung unsrer seelen. Je mehr der matte leib sich an begierden schwächt/ Je weiter rückt der geist aus seinen mörder-hölen; Weil/ wenn die rosen uns am munde niedergehn/ Die seelen insgemein erst in der blüte stehn. Und
Diß thut der himmel nur; was nicht die unter-welt? Die uns mehr wunder laͤßt als jener ſterne ſchauen. Denn wenn die graue zeit den marmel faſt verſtellt/ Muß witz und kunſt daraus erſt groſſe tempel bauen/ Und die erfahrung giebt: daß barben und der wein Jm alter koͤſtlicher als in der jugend ſeyn. Ein crocodil der waͤchſt/ ſo lang er ſich beweget: Die ſtroͤme mehren ſich durch ihren weiten lauff. Je mehr ein feigen-baum auf erden fruͤchte traͤget/ Je mehr ſetzt die natur ihm wieder knoſpen auf. Ein adler kan ihm ſelbſt die jugend wieder bringen/ Ein todter phoͤnix ſich aus ſtaub und aſche ſchwingen. Der arme menſch allein bricht wie der porcellan/ Und ſteckt voll ungemach/ wie duͤnſte voller regen. Er weint/ ſo bald er nur die augen auffgethan/ Mit thraͤnen muß er ſich auch wieder niederlegen/ Und iedem kinde zeigt ſein ſchreyend A und E/ Daß man mit Armuth auf/ mit Elend untergeh. Drum reißt die ungedult zuweilen aus den ſchrancken/ Und floͤßt den ſterblichen die falſche lehren ein: Die goͤtter waͤren nichts als ſchatten und gedancken; Sonſt muͤſte ja der menſch mehr wie die thiere ſeyn. Denn dieſe ſchlieffen offt auf roſen und jaßminen/ Wenn jenem tod und blitz an ſtatt der ſonne ſchienen. So denckt die blinde welt: doch ſonder alles recht. Denn fleiſch und blut ſind nicht die nahrung unſrer ſeelen. Je mehr der matte leib ſich an begierden ſchwaͤcht/ Je weiter ruͤckt der geiſt aus ſeinen moͤrder-hoͤlen; Weil/ wenn die roſen uns am munde niedergehn/ Die ſeelen insgemein erſt in der bluͤte ſtehn. Und
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Vermiſchte Gedichte.
Die ſonnen-kugel ſucht in der bewegung ruh/
Und da wir alle gleich von ihrer flamme zehren/
Sieht man ſie taͤglich doch ein neues feur gebaͤhren:
Diß thut der himmel nur; was nicht die unter-welt?
Die uns mehr wunder laͤßt als jener ſterne ſchauen.
Denn wenn die graue zeit den marmel faſt verſtellt/
Muß witz und kunſt daraus erſt groſſe tempel bauen/
Und die erfahrung giebt: daß barben und der wein
Jm alter koͤſtlicher als in der jugend ſeyn.
Ein crocodil der waͤchſt/ ſo lang er ſich beweget:
Die ſtroͤme mehren ſich durch ihren weiten lauff.
Je mehr ein feigen-baum auf erden fruͤchte traͤget/
Je mehr ſetzt die natur ihm wieder knoſpen auf.
Ein adler kan ihm ſelbſt die jugend wieder bringen/
Ein todter phoͤnix ſich aus ſtaub und aſche ſchwingen.
Der arme menſch allein bricht wie der porcellan/
Und ſteckt voll ungemach/ wie duͤnſte voller regen.
Er weint/ ſo bald er nur die augen auffgethan/
Mit thraͤnen muß er ſich auch wieder niederlegen/
Und iedem kinde zeigt ſein ſchreyend A und E/
Daß man mit Armuth auf/ mit Elend untergeh.
Drum reißt die ungedult zuweilen aus den ſchrancken/
Und floͤßt den ſterblichen die falſche lehren ein:
Die goͤtter waͤren nichts als ſchatten und gedancken;
Sonſt muͤſte ja der menſch mehr wie die thiere ſeyn.
Denn dieſe ſchlieffen offt auf roſen und jaßminen/
Wenn jenem tod und blitz an ſtatt der ſonne ſchienen.
So denckt die blinde welt: doch ſonder alles recht.
Denn fleiſch und blut ſind nicht die nahrung unſrer ſeelen.
Je mehr der matte leib ſich an begierden ſchwaͤcht/
Je weiter ruͤckt der geiſt aus ſeinen moͤrder-hoͤlen;
Weil/ wenn die roſen uns am munde niedergehn/
Die ſeelen insgemein erſt in der bluͤte ſtehn.
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