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Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. [Bd. 1]. Leipzig, 1695.

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Vermischte Gedichte.
Die Cloris hatte noch bey allen diesen klagen
Noch nicht/ vor scham und grimm/ die angen auffgeschlagen;
Doch sah sie endlich ihn von einer seiten an/
Wodurch er neuen muth zu ihrer huld gewann.
Er suchte sie darauff mit rechten weißheits-gründen/
Und selbst aus der natur/ zum beyfall zu verbinden:
Daß alles was nur lebt/ was nur die liebe zwingt/
Nothwendig zu der schooß/ als seiner ruhstatt dringt.
Es hat selbst die natur/ sprach er/ dafür gestritten/
Nachdem sie es gesetzt recht in des leibes-mitten;
Wo dieser mittelpunct der kleinen wunder-welt
Auch den geheimen zug des punctes in sich hält.
Gleichwie ein iedes ding zu seinem circkel eilet/
Der stein nicht in der lufft zu lange sich verweilet/
Das feuer rüstig fleucht/ erlassen/ in die höh'/
Und ieder fluß verläufft in seine mittel-see:
So wird vielmehr zur schooß/ dem mittel-punct im lieben/
Was geist und othem hat durchdringend angetrieben.
So grimmig ist kein bär/ hier hält er keinen stich/
Ihn reist der kleine punct/ so wild er ist/ zu sich.
Das schuppen-vieh im meer/ was hilfft sein schnelles schwimmen?
Es muß durch diesen zug doch an einander klimmen;
Der vogel in der lufft ist schichtern/ schlau und leicht/
Doch siehst du wie ihn stets das weibgen nach sich zeucht.
Vor allen aber hat der mensch den trieb empfangen/
Und unsere vernunfft vermehret das verlangen;
Die auch viel eyfriger nach dieser heymat strebt/
Und sich nicht eh vergnügt/ als biß man daran klebt.
Wie der magnet mit macht das eisen an sich ziehet/
Wie nach dem norden-pol die nadel schlägt und siehet/
So ist der liebsten schooß der nord und der magnet/
Wohin der gantze wunsch warhaffter menschen geht.
Man sagt: die Venus sey/ ihr wesen zuverstellen/
Nicht nach gemeiner art/ besondern aus den wellen
In einer muschel helm empfangen und gezeugt/
Wo sie des meeres schaum gewieget und gesäugt.
Wer glaubet solches nicht/ der Venus thun erweget?
Weil aber eine schooß der muschel bildniß träget/
Glaub ich/ daß Venus gar/ was sie ans licht gebracht/
Hernach zu einer schooß der gantzen welt gemacht.
Daß/ als die herrscherin ihr muschel-schiff verlassen/
Sie/ aller menschen hertz in diesen schrein zufassen/
Die muschel in die schooß der weiber eingeschrenckt/
Und sich nachgehends selbst/ zur wohnung/ nachgesenckt.

Wenn

Vermiſchte Gedichte.
Die Cloris hatte noch bey allen dieſen klagen
Noch nicht/ vor ſcham und grimm/ die angen auffgeſchlagen;
Doch ſah ſie endlich ihn von einer ſeiten an/
Wodurch er neuen muth zu ihrer huld gewann.
Er ſuchte ſie darauff mit rechten weißheits-gruͤnden/
Und ſelbſt aus der natur/ zum beyfall zu verbinden:
Daß alles was nur lebt/ was nur die liebe zwingt/
Nothwendig zu der ſchooß/ als ſeiner ruhſtatt dringt.
Es hat ſelbſt die natur/ ſprach er/ dafuͤr geſtritten/
Nachdem ſie es geſetzt recht in des leibes-mitten;
Wo dieſer mittelpunct der kleinen wunder-welt
Auch den geheimen zug des punctes in ſich haͤlt.
Gleichwie ein iedes ding zu ſeinem circkel eilet/
Der ſtein nicht in der lufft zu lange ſich verweilet/
Das feuer ruͤſtig fleucht/ erlaſſen/ in die hoͤh’/
Und ieder fluß verlaͤufft in ſeine mittel-ſee:
So wird vielmehr zur ſchooß/ dem mittel-punct im lieben/
Was geiſt und othem hat durchdringend angetrieben.
So grimmig iſt kein baͤr/ hier haͤlt er keinen ſtich/
Ihn reiſt der kleine punct/ ſo wild er iſt/ zu ſich.
Das ſchuppen-vieh im meer/ was hilfft ſein ſchnelles ſchwimmen?
Es muß durch dieſen zug doch an einander klimmen;
Der vogel in der lufft iſt ſchichtern/ ſchlau und leicht/
Doch ſiehſt du wie ihn ſtets das weibgen nach ſich zeucht.
Vor allen aber hat der menſch den trieb empfangen/
Und unſere vernunfft vermehret das verlangen;
Die auch viel eyfriger nach dieſer heymat ſtrebt/
Und ſich nicht eh vergnuͤgt/ als biß man daran klebt.
Wie der magnet mit macht das eiſen an ſich ziehet/
Wie nach dem norden-pol die nadel ſchlaͤgt und ſiehet/
So iſt der liebſten ſchooß der nord und der magnet/
Wohin der gantze wunſch warhaffter menſchen geht.
Man ſagt: die Venus ſey/ ihr weſen zuverſtellen/
Nicht nach gemeiner art/ beſondern aus den wellen
In einer muſchel helm empfangen und gezeugt/
Wo ſie des meeres ſchaum gewieget und geſaͤugt.
Wer glaubet ſolches nicht/ der Venus thun erweget?
Weil aber eine ſchooß der muſchel bildniß traͤget/
Glaub ich/ daß Venus gar/ was ſie ans licht gebracht/
Hernach zu einer ſchooß der gantzen welt gemacht.
Daß/ als die herrſcherin ihr muſchel-ſchiff verlaſſen/
Sie/ aller menſchen hertz in dieſen ſchrein zufaſſen/
Die muſchel in die ſchooß der weiber eingeſchrenckt/
Und ſich nachgehends ſelbſt/ zur wohnung/ nachgeſenckt.

Wenn
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[171/0215] Vermiſchte Gedichte. Die Cloris hatte noch bey allen dieſen klagen Noch nicht/ vor ſcham und grimm/ die angen auffgeſchlagen; Doch ſah ſie endlich ihn von einer ſeiten an/ Wodurch er neuen muth zu ihrer huld gewann. Er ſuchte ſie darauff mit rechten weißheits-gruͤnden/ Und ſelbſt aus der natur/ zum beyfall zu verbinden: Daß alles was nur lebt/ was nur die liebe zwingt/ Nothwendig zu der ſchooß/ als ſeiner ruhſtatt dringt. Es hat ſelbſt die natur/ ſprach er/ dafuͤr geſtritten/ Nachdem ſie es geſetzt recht in des leibes-mitten; Wo dieſer mittelpunct der kleinen wunder-welt Auch den geheimen zug des punctes in ſich haͤlt. Gleichwie ein iedes ding zu ſeinem circkel eilet/ Der ſtein nicht in der lufft zu lange ſich verweilet/ Das feuer ruͤſtig fleucht/ erlaſſen/ in die hoͤh’/ Und ieder fluß verlaͤufft in ſeine mittel-ſee: So wird vielmehr zur ſchooß/ dem mittel-punct im lieben/ Was geiſt und othem hat durchdringend angetrieben. So grimmig iſt kein baͤr/ hier haͤlt er keinen ſtich/ Ihn reiſt der kleine punct/ ſo wild er iſt/ zu ſich. Das ſchuppen-vieh im meer/ was hilfft ſein ſchnelles ſchwimmen? Es muß durch dieſen zug doch an einander klimmen; Der vogel in der lufft iſt ſchichtern/ ſchlau und leicht/ Doch ſiehſt du wie ihn ſtets das weibgen nach ſich zeucht. Vor allen aber hat der menſch den trieb empfangen/ Und unſere vernunfft vermehret das verlangen; Die auch viel eyfriger nach dieſer heymat ſtrebt/ Und ſich nicht eh vergnuͤgt/ als biß man daran klebt. Wie der magnet mit macht das eiſen an ſich ziehet/ Wie nach dem norden-pol die nadel ſchlaͤgt und ſiehet/ So iſt der liebſten ſchooß der nord und der magnet/ Wohin der gantze wunſch warhaffter menſchen geht. Man ſagt: die Venus ſey/ ihr weſen zuverſtellen/ Nicht nach gemeiner art/ beſondern aus den wellen In einer muſchel helm empfangen und gezeugt/ Wo ſie des meeres ſchaum gewieget und geſaͤugt. Wer glaubet ſolches nicht/ der Venus thun erweget? Weil aber eine ſchooß der muſchel bildniß traͤget/ Glaub ich/ daß Venus gar/ was ſie ans licht gebracht/ Hernach zu einer ſchooß der gantzen welt gemacht. Daß/ als die herrſcherin ihr muſchel-ſchiff verlaſſen/ Sie/ aller menſchen hertz in dieſen ſchrein zufaſſen/ Die muſchel in die ſchooß der weiber eingeſchrenckt/ Und ſich nachgehends ſelbſt/ zur wohnung/ nachgeſenckt. Wenn

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Zitationshilfe: Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. [Bd. 1]. Leipzig, 1695, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte01_1695/215>, abgerufen am 27.11.2024.