Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. [Bd. 1]. Leipzig, 1695.

Bild:
<< vorherige Seite
Begräbniß-Gedichte.
Die mit der himmlischen verwechselte
Welt-Music/

Bey beerdigung Frauen von Rehdi-

gern fürgestellet 1689.
NAchdem des glückes ball/ der liebe gauckel-spiel/
Princeßin Anna/ ward aus Engelland vertrieben/
Weil könig Heinrich nicht ihr wesen konte lieben/
Und seiner alten haut ihr marmol mißgefiel;
Riß das betrübte kind den wechsel ihres orden/
Der ihr vor sonnenschein nun drachen-blicke gab/
Vor grosser hertzens-angst in einer lauten ab/
Mit dieser überschrifft: Sie ist zu thränen worden.
Wer heute noch den thon der sterbligkeit erreicht/
Wird wie taranteln auch leicht in den adern fühlen/
Daß unser gantzes thun nur süssen saiten-spielen/
Und unser glücke sich mit schwachen lauten gleicht.
Denn wenn die saiten offt am allerhellsten klingen/
So wird das gantze spiel durch einen bruch verrückt;
So/ wenn den sterblichen der freuden anfang glückt/
Muß offt das ende nichts als schwere thränen bringen.
Wir fangen schon die lust in kinder-röcken an/
Und wissen weder maaß noch grentzen auszusetzen;
Wenn bald ein apffel uns/ bald zucker mehr ergetzen/
Als Affen honigseim im hunger trösten kan.
Die erste stimmung sind die lustigen geberden/
Daß lachen aber ist das wahre saiten-spiel;
Doch wenn die mutter uns das gringste nehmen will/
So sieht man spiel und lust zu saltz und thränen werden.
Mit zeit und alter wächst auch die ergetzligkeit/
Wie farben mit der frucht und schatten mit den zweigen/
Der läst sein hochmuths-lied biß an die wolcken steigen/
Ein ander wird durch gold- und silber-klang erfreut;
Doch/ weil man ohne tact daß beste lied verderben/
Mit vielem klange nur das ohre schwächen kan;
Was wunder ist es denn/ daß aberwitz und wahn/
Nach unterbrochner lust auch saure thränen erben?
Die
Begraͤbniß-Gedichte.
Die mit der himmliſchen verwechſelte
Welt-Muſic/

Bey beerdigung Frauen von Rehdi-

gern fuͤrgeſtellet 1689.
NAchdem des gluͤckes ball/ der liebe gauckel-ſpiel/
Princeßin Anna/ ward aus Engelland vertrieben/
Weil koͤnig Heinrich nicht ihr weſen konte lieben/
Und ſeiner alten haut ihr marmol mißgefiel;
Riß das betruͤbte kind den wechſel ihres orden/
Der ihr vor ſonnenſchein nun drachen-blicke gab/
Vor groſſer hertzens-angſt in einer lauten ab/
Mit dieſer uͤberſchrifft: Sie iſt zu thraͤnen worden.
Wer heute noch den thon der ſterbligkeit erreicht/
Wird wie taranteln auch leicht in den adern fuͤhlen/
Daß unſer gantzes thun nur ſuͤſſen ſaiten-ſpielen/
Und unſer gluͤcke ſich mit ſchwachen lauten gleicht.
Denn wenn die ſaiten offt am allerhellſten klingen/
So wird das gantze ſpiel durch einen bruch verruͤckt;
So/ wenn den ſterblichen der freuden anfang gluͤckt/
Muß offt das ende nichts als ſchwere thraͤnen bringen.
Wir fangen ſchon die luſt in kinder-roͤcken an/
Und wiſſen weder maaß noch grentzen auszuſetzen;
Wenn bald ein apffel uns/ bald zucker mehr ergetzen/
Als Affen honigſeim im hunger troͤſten kan.
Die erſte ſtimmung ſind die luſtigen geberden/
Daß lachen aber iſt das wahre ſaiten-ſpiel;
Doch wenn die mutter uns das gringſte nehmen will/
So ſieht man ſpiel und luſt zu ſaltz und thraͤnen werden.
Mit zeit und alter waͤchſt auch die ergetzligkeit/
Wie farben mit der frucht und ſchatten mit den zweigen/
Der laͤſt ſein hochmuths-lied biß an die wolcken ſteigen/
Ein ander wird durch gold- und ſilber-klang erfreut;
Doch/ weil man ohne tact daß beſte lied verderben/
Mit vielem klange nur das ohre ſchwaͤchen kan;
Was wunder iſt es denn/ daß aberwitz und wahn/
Nach unterbrochner luſt auch ſaure thraͤnen erben?
Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0203" n="159"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#fr">Begra&#x0364;bniß-Gedichte.</hi> </fw><lb/>
        <lg type="poem">
          <head><hi rendition="#b"><hi rendition="#fr">Die mit der himmli&#x017F;chen verwech&#x017F;elte<lb/>
Welt-Mu&#x017F;ic/</hi><lb/>
Bey beerdigung Frauen von Rehdi-</hi><lb/>
gern fu&#x0364;rge&#x017F;tellet 1689.</head><lb/>
          <byline> <hi rendition="#c">B. N.</hi> </byline><lb/>
          <lg n="1">
            <l><hi rendition="#in">N</hi>Achdem des glu&#x0364;ckes ball/ der liebe gauckel-&#x017F;piel/</l><lb/>
            <l>Princeßin Anna/ ward aus Engelland vertrieben/</l><lb/>
            <l>Weil ko&#x0364;nig Heinrich nicht ihr we&#x017F;en konte lieben/</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;einer alten haut ihr marmol mißgefiel;</l><lb/>
            <l>Riß das betru&#x0364;bte kind den wech&#x017F;el ihres orden/</l><lb/>
            <l>Der ihr vor &#x017F;onnen&#x017F;chein nun drachen-blicke gab/</l><lb/>
            <l>Vor gro&#x017F;&#x017F;er hertzens-ang&#x017F;t in einer lauten ab/</l><lb/>
            <l>Mit die&#x017F;er u&#x0364;ber&#x017F;chrifft: Sie i&#x017F;t zu thra&#x0364;nen worden.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="2">
            <l>Wer heute noch den thon der &#x017F;terbligkeit erreicht/</l><lb/>
            <l>Wird wie taranteln auch leicht in den adern fu&#x0364;hlen/</l><lb/>
            <l>Daß un&#x017F;er gantzes thun nur &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;aiten-&#x017F;pielen/</l><lb/>
            <l>Und un&#x017F;er glu&#x0364;cke &#x017F;ich mit &#x017F;chwachen lauten gleicht.</l><lb/>
            <l>Denn wenn die &#x017F;aiten offt am allerhell&#x017F;ten klingen/</l><lb/>
            <l>So wird das gantze &#x017F;piel durch einen bruch verru&#x0364;ckt;</l><lb/>
            <l>So/ wenn den &#x017F;terblichen der freuden anfang glu&#x0364;ckt/</l><lb/>
            <l>Muß offt das ende nichts als &#x017F;chwere thra&#x0364;nen bringen.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="3">
            <l>Wir fangen &#x017F;chon die lu&#x017F;t in kinder-ro&#x0364;cken an/</l><lb/>
            <l>Und wi&#x017F;&#x017F;en weder maaß noch grentzen auszu&#x017F;etzen;</l><lb/>
            <l>Wenn bald ein apffel uns/ bald zucker mehr ergetzen/</l><lb/>
            <l>Als Affen honig&#x017F;eim im hunger tro&#x0364;&#x017F;ten kan.</l><lb/>
            <l>Die er&#x017F;te &#x017F;timmung &#x017F;ind die lu&#x017F;tigen geberden/</l><lb/>
            <l>Daß lachen aber i&#x017F;t das wahre &#x017F;aiten-&#x017F;piel;</l><lb/>
            <l>Doch wenn die mutter uns das gring&#x017F;te nehmen will/</l><lb/>
            <l>So &#x017F;ieht man &#x017F;piel und lu&#x017F;t zu &#x017F;altz und thra&#x0364;nen werden.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="4">
            <l>Mit zeit und alter wa&#x0364;ch&#x017F;t auch die ergetzligkeit/</l><lb/>
            <l>Wie farben mit der frucht und &#x017F;chatten mit den zweigen/</l><lb/>
            <l>Der la&#x0364;&#x017F;t &#x017F;ein hochmuths-lied biß an die wolcken &#x017F;teigen/</l><lb/>
            <l>Ein ander wird durch gold- und &#x017F;ilber-klang erfreut;</l><lb/>
            <l>Doch/ weil man ohne tact daß be&#x017F;te lied verderben/</l><lb/>
            <l>Mit vielem klange nur das ohre &#x017F;chwa&#x0364;chen kan;</l><lb/>
            <l>Was wunder i&#x017F;t es denn/ daß aberwitz und wahn/</l><lb/>
            <l>Nach unterbrochner lu&#x017F;t auch &#x017F;aure thra&#x0364;nen erben?</l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0203] Begraͤbniß-Gedichte. Die mit der himmliſchen verwechſelte Welt-Muſic/ Bey beerdigung Frauen von Rehdi- gern fuͤrgeſtellet 1689. B. N. NAchdem des gluͤckes ball/ der liebe gauckel-ſpiel/ Princeßin Anna/ ward aus Engelland vertrieben/ Weil koͤnig Heinrich nicht ihr weſen konte lieben/ Und ſeiner alten haut ihr marmol mißgefiel; Riß das betruͤbte kind den wechſel ihres orden/ Der ihr vor ſonnenſchein nun drachen-blicke gab/ Vor groſſer hertzens-angſt in einer lauten ab/ Mit dieſer uͤberſchrifft: Sie iſt zu thraͤnen worden. Wer heute noch den thon der ſterbligkeit erreicht/ Wird wie taranteln auch leicht in den adern fuͤhlen/ Daß unſer gantzes thun nur ſuͤſſen ſaiten-ſpielen/ Und unſer gluͤcke ſich mit ſchwachen lauten gleicht. Denn wenn die ſaiten offt am allerhellſten klingen/ So wird das gantze ſpiel durch einen bruch verruͤckt; So/ wenn den ſterblichen der freuden anfang gluͤckt/ Muß offt das ende nichts als ſchwere thraͤnen bringen. Wir fangen ſchon die luſt in kinder-roͤcken an/ Und wiſſen weder maaß noch grentzen auszuſetzen; Wenn bald ein apffel uns/ bald zucker mehr ergetzen/ Als Affen honigſeim im hunger troͤſten kan. Die erſte ſtimmung ſind die luſtigen geberden/ Daß lachen aber iſt das wahre ſaiten-ſpiel; Doch wenn die mutter uns das gringſte nehmen will/ So ſieht man ſpiel und luſt zu ſaltz und thraͤnen werden. Mit zeit und alter waͤchſt auch die ergetzligkeit/ Wie farben mit der frucht und ſchatten mit den zweigen/ Der laͤſt ſein hochmuths-lied biß an die wolcken ſteigen/ Ein ander wird durch gold- und ſilber-klang erfreut; Doch/ weil man ohne tact daß beſte lied verderben/ Mit vielem klange nur das ohre ſchwaͤchen kan; Was wunder iſt es denn/ daß aberwitz und wahn/ Nach unterbrochner luſt auch ſaure thraͤnen erben? Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte01_1695
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte01_1695/203
Zitationshilfe: Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. [Bd. 1]. Leipzig, 1695, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte01_1695/203>, abgerufen am 03.05.2024.