Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. [Bd. 1]. Leipzig, 1695.Vorrede. schmeichelhafftig/ daß man mit ihrer schwachheitmuß mitleiden haben. Hingegen ist die deutsche Poesie viel zärtlicher/ und läst nicht allein im scan- diren denen syllben ihren natürlichen klang/ son- dern nimmt auch den accentum pronunciationis, das ist/ die emphasin eines ieden wortes sehr wohl in acht/ und verdoppelt gleichsam allemahl daselbst/ wo die krafft der rede stecket/ den thon/ welches weder die Lateiner noch Griechen gethan. Wir wollen zum exempel den berühmten/ und meines er- achtens den nachdrücklichsten verß des Virgilius nehmen: Flectere si nequeo Superos, Acheronta movebo. Da stecket in denen beyden wörtern Superos und Si Superos nequeo flectere, Acheronta movebo. Inzwischen hat es der Poet kurtz gesetzt/ und unge- nicht
Vorrede. ſchmeichelhafftig/ daß man mit ihrer ſchwachheitmuß mitleiden haben. Hingegen iſt die deutſche Poeſie viel zaͤrtlicher/ und laͤſt nicht allein im ſcan- diren denen ſyllben ihren natuͤrlichen klang/ ſon- dern nimmt auch den accentum pronunciationis, das iſt/ die emphaſin eines ieden wortes ſehr wohl in acht/ und verdoppelt gleichſam allemahl daſelbſt/ wo die krafft der rede ſtecket/ den thon/ welches weder die Lateiner noch Griechen gethan. Wir wollen zum exempel den beruͤhmten/ und meines er- achtens den nachdruͤcklichſten verß des Virgilius nehmen: Flectere ſi nequeo Sŭperos, Acheronta movebo. Da ſtecket in denen beyden woͤrtern Superos und Si Sūperos nequeo flectere, Acheronta movebo. Inzwiſchen hat es der Poet kurtz geſetzt/ und unge- nicht
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Vorrede.
ſchmeichelhafftig/ daß man mit ihrer ſchwachheit
muß mitleiden haben. Hingegen iſt die deutſche
Poeſie viel zaͤrtlicher/ und laͤſt nicht allein im ſcan-
diren denen ſyllben ihren natuͤrlichen klang/ ſon-
dern nimmt auch den accentum pronunciationis,
das iſt/ die emphaſin eines ieden wortes ſehr wohl
in acht/ und verdoppelt gleichſam allemahl daſelbſt/
wo die krafft der rede ſtecket/ den thon/ welches
weder die Lateiner noch Griechen gethan. Wir
wollen zum exempel den beruͤhmten/ und meines er-
achtens den nachdruͤcklichſten verß des Virgilius
nehmen:
Flectere ſi nequeo Sŭperos, Acheronta movebo.
Da ſtecket in denen beyden woͤrtern Superos und
Acheronta die emphaſis, und wuͤrde ohne zwei-
fel einer/ der es in prosa ſagte/ das wort Superos
lang und alſo ausſprechen:
Si Sūperos nequeo flectere, Acheronta movebo.
Inzwiſchen hat es der Poet kurtz geſetzt/ und unge-
achtet man im leſen dem thone helffen kan/ ſo klin-
get es doch nicht ſo natuͤrlich und ungezwungen/
als im deutſchen/ da ich ihn nicht allererſt ſuchen
darff/ und beyde der tonus ſcanſionis und pro-
nunciationis genau zuſammen treffen. Z. e. Wenn
ein Deutſcher des Virgilii verß in proſa uͤberſetzen
ſolte/ wuͤrde er ſagen: Wenn mich der himmel
nicht
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