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Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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und Grauenvolle eben auch nur wie andere Waaren auf dem Lager hatte und seine Erzeugnisse, ohne an ihrer Art und ihrem Gehalte teilzunehmen, gleich so manchem seiner Nachahmer mit wohlgenährter lachender Behaglichkeit losschlug: sondern seine Poesie war wirklich ein Theil seiner selbst, eine trübe Perle aus einem kranken Herzen, und was er schilderte, jener bizarre Krespel, jener verrückte Kreisler, waren Figuren, die er in der Tragikomödie seines Lebens jeden Augenblick selbst zu spielen fähig war.

Dieses Leben fiel in eine Geniezeit, die uns heutzutage nicht mehr begreiflich, ja kaum noch glaublich ist. Ein Beispiel diene zur Erläuterung. Wenn es gilt, einen "widerwärtigen Menschen", einen "gemeinen verfluchten Kerl" aus der "hochgestimmten, so höchst gemüthlichen, genialen Gesellschaft" zu vertreiben, so steht Hoffmann halb auf, thut wie wenn er mit der Gabel auf den Teller schriebe, und murmelt dazu vernehmlich vor sich hin: "Liebwerthester, da unten am rechten Eck, ich verehre Sie überaus, obwohl Sie ein Esel sind; aber möchten Sie mir doch den Gefallen thun, sich zu entfernen." Abgesehen von der eigenthümlichen Art und Weise hat dieser Terrorismus des "Genie's" über den "Philister" für die Zeit nichts Auffallendes; die Gesellschaft fühlt höchstens einiges Mitleid mit dem Gemaßregelten; ja dieser selbst wird die Maßregel kaum anders als wie einen Schlag empfunden haben, den eine minder berechtigte Classe von der bestehenden Gesetzgebung erleiden kann und muß.

Nur aus einer solchen Zeit ist eine Erscheinung wie Hoffmann zu erklären. Das Privilegium zu Excentricitäten, das ihm dieselbe ertheilte, brachte den Keim der Krankheit, der sonst vielleicht ruhen geblieben wäre, erst recht zur Blüthe; aus dem Leben ging diese Krankheit in die Schriften über, und aus den Schriften wirkte sie wieder auf das Leben zurück. Wo man diese

und Grauenvolle eben auch nur wie andere Waaren auf dem Lager hatte und seine Erzeugnisse, ohne an ihrer Art und ihrem Gehalte teilzunehmen, gleich so manchem seiner Nachahmer mit wohlgenährter lachender Behaglichkeit losschlug: sondern seine Poesie war wirklich ein Theil seiner selbst, eine trübe Perle aus einem kranken Herzen, und was er schilderte, jener bizarre Krespel, jener verrückte Kreisler, waren Figuren, die er in der Tragikomödie seines Lebens jeden Augenblick selbst zu spielen fähig war.

Dieses Leben fiel in eine Geniezeit, die uns heutzutage nicht mehr begreiflich, ja kaum noch glaublich ist. Ein Beispiel diene zur Erläuterung. Wenn es gilt, einen „widerwärtigen Menschen“, einen „gemeinen verfluchten Kerl“ aus der „hochgestimmten, so höchst gemüthlichen, genialen Gesellschaft“ zu vertreiben, so steht Hoffmann halb auf, thut wie wenn er mit der Gabel auf den Teller schriebe, und murmelt dazu vernehmlich vor sich hin: „Liebwerthester, da unten am rechten Eck, ich verehre Sie überaus, obwohl Sie ein Esel sind; aber möchten Sie mir doch den Gefallen thun, sich zu entfernen.“ Abgesehen von der eigenthümlichen Art und Weise hat dieser Terrorismus des „Genie's“ über den „Philister“ für die Zeit nichts Auffallendes; die Gesellschaft fühlt höchstens einiges Mitleid mit dem Gemaßregelten; ja dieser selbst wird die Maßregel kaum anders als wie einen Schlag empfunden haben, den eine minder berechtigte Classe von der bestehenden Gesetzgebung erleiden kann und muß.

Nur aus einer solchen Zeit ist eine Erscheinung wie Hoffmann zu erklären. Das Privilegium zu Excentricitäten, das ihm dieselbe ertheilte, brachte den Keim der Krankheit, der sonst vielleicht ruhen geblieben wäre, erst recht zur Blüthe; aus dem Leben ging diese Krankheit in die Schriften über, und aus den Schriften wirkte sie wieder auf das Leben zurück. Wo man diese

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:42:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/8>, abgerufen am 29.03.2024.