Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Wollten wir Hoffmann auch gänzlich aus der Reihe der Dichter streichen, so bliebe doch immer noch ein bedeutender Musiker und Componist übrig (als welcher er bekanntlich zu Ehren Mozart's seinen Namen Wilhelm in Amadeus umwandelte). Indessen hat er als Erzähler vor Arnim und Brentano, obgleich sie dichterisch weit höher stehen, doch etwas Wesentliches voraus: diese Beiden erzählen meist eigentlich nur für sich selbst, und besonders der Erstere trägt sich beständig mit allerlei verborgenem Absehen, das außer ihm selbst Niemand kennt und versteht; Hoffmann aber erzählt für Andere, und das ist doch die erste Bedingung des Wirkens. Auch besaß er als Zeichner (der er daneben war) zu sehr das Bedürfniß fester Linien eingeprägt, um so völlig formlose Gebilde oder vielmehr Nichtgebilde hervorbringen zu können, und was bei Arnim und Brentano zur bloßen Phantasmagorie wurde, bei Hoffmann blieb es doch immer noch wenigstens greifbare Caricatur. Dafür ist freilich der größte Theil des Inhalts seiner Erzählungen unter verschiedenen Gestalten immer nur er selbst. Hoffmann war weniger poetischer Conceptionen fähig, auf die ihm nicht gleich, um seinen eigenen Ausdruck zu brauchen, "der Teufel den Schwanz legte." Dieser Teufel aber ist nichts Anderes als die pathologische Stimmung, in welcher er sich stets befand. Denn obgleich er viel auf äußere Veranlassung schrieb, so war er doch nicht der Mann, der das Fratzenhafte Wollten wir Hoffmann auch gänzlich aus der Reihe der Dichter streichen, so bliebe doch immer noch ein bedeutender Musiker und Componist übrig (als welcher er bekanntlich zu Ehren Mozart's seinen Namen Wilhelm in Amadeus umwandelte). Indessen hat er als Erzähler vor Arnim und Brentano, obgleich sie dichterisch weit höher stehen, doch etwas Wesentliches voraus: diese Beiden erzählen meist eigentlich nur für sich selbst, und besonders der Erstere trägt sich beständig mit allerlei verborgenem Absehen, das außer ihm selbst Niemand kennt und versteht; Hoffmann aber erzählt für Andere, und das ist doch die erste Bedingung des Wirkens. Auch besaß er als Zeichner (der er daneben war) zu sehr das Bedürfniß fester Linien eingeprägt, um so völlig formlose Gebilde oder vielmehr Nichtgebilde hervorbringen zu können, und was bei Arnim und Brentano zur bloßen Phantasmagorie wurde, bei Hoffmann blieb es doch immer noch wenigstens greifbare Caricatur. Dafür ist freilich der größte Theil des Inhalts seiner Erzählungen unter verschiedenen Gestalten immer nur er selbst. Hoffmann war weniger poetischer Conceptionen fähig, auf die ihm nicht gleich, um seinen eigenen Ausdruck zu brauchen, „der Teufel den Schwanz legte.“ Dieser Teufel aber ist nichts Anderes als die pathologische Stimmung, in welcher er sich stets befand. Denn obgleich er viel auf äußere Veranlassung schrieb, so war er doch nicht der Mann, der das Fratzenhafte <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <pb facs="#f0007"/> <p>Wollten wir Hoffmann auch gänzlich aus der Reihe der Dichter streichen, so bliebe doch immer noch ein bedeutender Musiker und Componist übrig (als welcher er bekanntlich zu Ehren Mozart's seinen Namen Wilhelm in Amadeus umwandelte). Indessen hat er als Erzähler vor Arnim und Brentano, obgleich sie dichterisch weit höher stehen, doch etwas Wesentliches voraus: diese Beiden erzählen meist eigentlich nur für sich selbst, und besonders der Erstere trägt sich beständig mit allerlei verborgenem Absehen, das außer ihm selbst Niemand kennt und versteht; Hoffmann aber erzählt für Andere, und das ist doch die erste Bedingung des Wirkens. Auch besaß er als Zeichner (der er daneben war) zu sehr das Bedürfniß fester Linien eingeprägt, um so völlig formlose Gebilde oder vielmehr Nichtgebilde hervorbringen zu können, und was bei Arnim und Brentano zur bloßen Phantasmagorie wurde, bei Hoffmann blieb es doch immer noch wenigstens greifbare Caricatur.</p><lb/> <p>Dafür ist freilich der größte Theil des Inhalts seiner Erzählungen unter verschiedenen Gestalten immer nur er selbst. Hoffmann war weniger poetischer Conceptionen fähig, auf die ihm nicht gleich, um seinen eigenen Ausdruck zu brauchen, „der Teufel den Schwanz legte.“ Dieser Teufel aber ist nichts Anderes als die pathologische Stimmung, in welcher er sich stets befand. Denn obgleich er viel auf äußere Veranlassung schrieb, so war er doch nicht der Mann, der das Fratzenhafte<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0007]
Wollten wir Hoffmann auch gänzlich aus der Reihe der Dichter streichen, so bliebe doch immer noch ein bedeutender Musiker und Componist übrig (als welcher er bekanntlich zu Ehren Mozart's seinen Namen Wilhelm in Amadeus umwandelte). Indessen hat er als Erzähler vor Arnim und Brentano, obgleich sie dichterisch weit höher stehen, doch etwas Wesentliches voraus: diese Beiden erzählen meist eigentlich nur für sich selbst, und besonders der Erstere trägt sich beständig mit allerlei verborgenem Absehen, das außer ihm selbst Niemand kennt und versteht; Hoffmann aber erzählt für Andere, und das ist doch die erste Bedingung des Wirkens. Auch besaß er als Zeichner (der er daneben war) zu sehr das Bedürfniß fester Linien eingeprägt, um so völlig formlose Gebilde oder vielmehr Nichtgebilde hervorbringen zu können, und was bei Arnim und Brentano zur bloßen Phantasmagorie wurde, bei Hoffmann blieb es doch immer noch wenigstens greifbare Caricatur.
Dafür ist freilich der größte Theil des Inhalts seiner Erzählungen unter verschiedenen Gestalten immer nur er selbst. Hoffmann war weniger poetischer Conceptionen fähig, auf die ihm nicht gleich, um seinen eigenen Ausdruck zu brauchen, „der Teufel den Schwanz legte.“ Dieser Teufel aber ist nichts Anderes als die pathologische Stimmung, in welcher er sich stets befand. Denn obgleich er viel auf äußere Veranlassung schrieb, so war er doch nicht der Mann, der das Fratzenhafte
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/7 |
Zitationshilfe: | Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/7>, abgerufen am 06.07.2024. |