Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

eingetreten, warf Madelon sich ihr zu Füßen. Die Himmelsaugen, ein Engel Gottes hat sie nicht treuer, zu ihr emporgerichtet, die Hände vor der wallenden Brust zusammengefaltet, jammerte und flehte sie laut um Hülfe und Trost. Die Scudery, sich mühsam zusammenfassend, sprach, indem sie dem Ton ihrer Stimme so viel Ernst und Ruhe zu geben suchte, als ihr möglich: Geh -- geh -- tröste dich nur über den Mörder, den die gerechte Strafe seiner Schandthaten erwartet. Die heilige Jungfrau möge verhüten, daß nicht auf dir selbst eine Blutschuld schwer laste. -- Ach! nun ist Alles verloren! mit diesem gellenden Ausrufe stürzte Madelon ohnmächtig zu Boden. Die Scudery überließ die Sorge um das Mädchen der Martiniere und entfernte sich in ein anderes Gemach.

Ganz zerrissen im Innern, entzweit mit allem Irdischen, wünschte die Scudery, nicht mehr in einer Welt voll höllischen Truges zu leben. Sie klagte das Verhängniß an, das in bitterm Hohn ihr so viele Jahre vergönnt, ihren Glauben an Tugend und Treue zu stärken, und nun in ihrem Alter das schöne Bild vernichte, welches ihr im Leben geleuchtet.

Sie vernahm, wie die Martiniere Madelon fortbrachte, die leise seufzte und jammerte: Ach! -- auch sie -- auch sie -- haben die Grausamen bethört! -- Ich Elende! -- armer unglücklicher Olivier! -- Die Töne drangen der Scudery ins Herz, und aufs Neue regte sich aus dem tiefsten Innern heraus die Ahnung eines

eingetreten, warf Madelon sich ihr zu Füßen. Die Himmelsaugen, ein Engel Gottes hat sie nicht treuer, zu ihr emporgerichtet, die Hände vor der wallenden Brust zusammengefaltet, jammerte und flehte sie laut um Hülfe und Trost. Die Scudery, sich mühsam zusammenfassend, sprach, indem sie dem Ton ihrer Stimme so viel Ernst und Ruhe zu geben suchte, als ihr möglich: Geh — geh — tröste dich nur über den Mörder, den die gerechte Strafe seiner Schandthaten erwartet. Die heilige Jungfrau möge verhüten, daß nicht auf dir selbst eine Blutschuld schwer laste. — Ach! nun ist Alles verloren! mit diesem gellenden Ausrufe stürzte Madelon ohnmächtig zu Boden. Die Scudery überließ die Sorge um das Mädchen der Martiniere und entfernte sich in ein anderes Gemach.

Ganz zerrissen im Innern, entzweit mit allem Irdischen, wünschte die Scudery, nicht mehr in einer Welt voll höllischen Truges zu leben. Sie klagte das Verhängniß an, das in bitterm Hohn ihr so viele Jahre vergönnt, ihren Glauben an Tugend und Treue zu stärken, und nun in ihrem Alter das schöne Bild vernichte, welches ihr im Leben geleuchtet.

Sie vernahm, wie die Martiniere Madelon fortbrachte, die leise seufzte und jammerte: Ach! — auch sie — auch sie — haben die Grausamen bethört! — Ich Elende! — armer unglücklicher Olivier! — Die Töne drangen der Scudery ins Herz, und aufs Neue regte sich aus dem tiefsten Innern heraus die Ahnung eines

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0065"/>
eingetreten, warf Madelon sich ihr zu Füßen. Die Himmelsaugen, ein Engel Gottes hat                sie nicht treuer, zu ihr emporgerichtet, die Hände vor der wallenden Brust                zusammengefaltet, jammerte und flehte sie laut um Hülfe und Trost. Die Scudery, sich                mühsam zusammenfassend, sprach, indem sie dem Ton ihrer Stimme so viel Ernst und Ruhe                zu geben suchte, als ihr möglich: Geh &#x2014; geh &#x2014; tröste dich nur über den Mörder, den                die gerechte Strafe seiner Schandthaten erwartet. Die heilige Jungfrau möge verhüten,                daß nicht auf dir selbst eine Blutschuld schwer laste. &#x2014; Ach! nun ist Alles verloren!                mit diesem gellenden Ausrufe stürzte Madelon ohnmächtig zu Boden. Die Scudery                überließ die Sorge um das Mädchen der Martiniere und entfernte sich in ein anderes                Gemach.</p><lb/>
        <p>Ganz zerrissen im Innern, entzweit mit allem Irdischen, wünschte die Scudery, nicht                mehr in einer Welt voll höllischen Truges zu leben. Sie klagte das Verhängniß an, das                in bitterm Hohn ihr so viele Jahre vergönnt, ihren Glauben an Tugend und Treue zu                stärken, und nun in ihrem Alter das schöne Bild vernichte, welches ihr im Leben                geleuchtet.</p><lb/>
        <p>Sie vernahm, wie die Martiniere Madelon fortbrachte, die leise seufzte und jammerte:                Ach! &#x2014; auch sie &#x2014; auch sie &#x2014; haben die Grausamen bethört! &#x2014; Ich Elende! &#x2014; armer                unglücklicher Olivier! &#x2014; Die Töne drangen der Scudery ins Herz, und aufs Neue regte                sich aus dem tiefsten Innern heraus die Ahnung eines<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0065] eingetreten, warf Madelon sich ihr zu Füßen. Die Himmelsaugen, ein Engel Gottes hat sie nicht treuer, zu ihr emporgerichtet, die Hände vor der wallenden Brust zusammengefaltet, jammerte und flehte sie laut um Hülfe und Trost. Die Scudery, sich mühsam zusammenfassend, sprach, indem sie dem Ton ihrer Stimme so viel Ernst und Ruhe zu geben suchte, als ihr möglich: Geh — geh — tröste dich nur über den Mörder, den die gerechte Strafe seiner Schandthaten erwartet. Die heilige Jungfrau möge verhüten, daß nicht auf dir selbst eine Blutschuld schwer laste. — Ach! nun ist Alles verloren! mit diesem gellenden Ausrufe stürzte Madelon ohnmächtig zu Boden. Die Scudery überließ die Sorge um das Mädchen der Martiniere und entfernte sich in ein anderes Gemach. Ganz zerrissen im Innern, entzweit mit allem Irdischen, wünschte die Scudery, nicht mehr in einer Welt voll höllischen Truges zu leben. Sie klagte das Verhängniß an, das in bitterm Hohn ihr so viele Jahre vergönnt, ihren Glauben an Tugend und Treue zu stärken, und nun in ihrem Alter das schöne Bild vernichte, welches ihr im Leben geleuchtet. Sie vernahm, wie die Martiniere Madelon fortbrachte, die leise seufzte und jammerte: Ach! — auch sie — auch sie — haben die Grausamen bethört! — Ich Elende! — armer unglücklicher Olivier! — Die Töne drangen der Scudery ins Herz, und aufs Neue regte sich aus dem tiefsten Innern heraus die Ahnung eines

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:42:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:42:57Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/65
Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/65>, abgerufen am 22.11.2024.