dem Fenster hin, dann kehrte sie um, und trat mit einem beinahe stolzen Anstande, der ihr sonst gar nicht eigen, auf mich zu. Mir fest ins Auge blickend, sprach sie: "Ihr Onkel ist der würdigste Greis, den ich kenne, er ist der Schutzengel un¬ serer Familie -- möge er mich einschließen in sein frommes Gebet!" -- Ich war keines Wortes mächtig, verderbliches Gift, das ich in jenem Kusse eingesogen, gährte und flammte in allen Pulsen, in allen Nerven! -- Fräulein Adelheid trat her¬ ein -- die Wuth des innern Kampfes strömte aus in heißen Thränen, die ich nicht zurück zu drängen vermochte! -- Adelheid blickte mich ver¬ wundert und zweifelhaft lächelnd an -- ich hätte sie ermorden können. Die Baronin reichte mir die Hand und sprach mit unbeschreiblicher Milde: "Leben Sie wohl, mein lieber Freund! -- Leben Sie recht wohl, denken Sie daran, daß vielleicht niemand besser, als ich, ihre Musik verstand. -- Ach! diese Töne werden lange -- lange in mei¬ nem Innern wiederklingen." -- Ich zwang mir
einige
dem Fenſter hin, dann kehrte ſie um, und trat mit einem beinahe ſtolzen Anſtande, der ihr ſonſt gar nicht eigen, auf mich zu. Mir feſt ins Auge blickend, ſprach ſie: „Ihr Onkel iſt der wuͤrdigſte Greis, den ich kenne, er iſt der Schutzengel un¬ ſerer Familie — moͤge er mich einſchließen in ſein frommes Gebet!“ — Ich war keines Wortes maͤchtig, verderbliches Gift, das ich in jenem Kuſſe eingeſogen, gaͤhrte und flammte in allen Pulſen, in allen Nerven! — Fraͤulein Adelheid trat her¬ ein — die Wuth des innern Kampfes ſtroͤmte aus in heißen Thraͤnen, die ich nicht zuruͤck zu draͤngen vermochte! — Adelheid blickte mich ver¬ wundert und zweifelhaft laͤchelnd an — ich haͤtte ſie ermorden koͤnnen. Die Baronin reichte mir die Hand und ſprach mit unbeſchreiblicher Milde: „Leben Sie wohl, mein lieber Freund! — Leben Sie recht wohl, denken Sie daran, daß vielleicht niemand beſſer, als ich, ihre Muſik verſtand. — Ach! dieſe Toͤne werden lange — lange in mei¬ nem Innern wiederklingen.“ — Ich zwang mir
einige
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dem Fenſter hin, dann kehrte ſie um, und trat
mit einem beinahe ſtolzen Anſtande, der ihr ſonſt
gar nicht eigen, auf mich zu. Mir feſt ins Auge
blickend, ſprach ſie: „Ihr Onkel iſt der wuͤrdigſte
Greis, den ich kenne, er iſt der Schutzengel un¬
ſerer Familie — moͤge er mich einſchließen in ſein
frommes Gebet!“ — Ich war keines Wortes
maͤchtig, verderbliches Gift, das ich in jenem Kuſſe
eingeſogen, gaͤhrte und flammte in allen Pulſen,
in allen Nerven! — Fraͤulein Adelheid trat her¬
ein — die Wuth des innern Kampfes ſtroͤmte
aus in heißen Thraͤnen, die ich nicht zuruͤck zu
draͤngen vermochte! — Adelheid blickte mich ver¬
wundert und zweifelhaft laͤchelnd an — ich haͤtte
ſie ermorden koͤnnen. Die Baronin reichte mir
die Hand und ſprach mit unbeſchreiblicher Milde:
„Leben Sie wohl, mein lieber Freund! — Leben
Sie recht wohl, denken Sie daran, daß vielleicht
niemand beſſer, als ich, ihre Muſik verſtand. —
Ach! dieſe Toͤne werden lange — lange in mei¬
nem Innern wiederklingen.“ — Ich zwang mir
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/152>, abgerufen am 25.11.2024.
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