Fräulein Adelheid, die in einer Ecke des Zimmers gesessen, herbei, kniete vor der Baronin hin, und bat, ihre beide Hände erfassend und an die Brust drückend: "O liebe Baronin -- Seraphinchen, nun mußt du auch singen!" -- Die Baronin erwiederte: "Wo denkst du aber auch hin, Adelheid! -- wie mag ich mich denn vor unserm Virtuosen da mit mei¬ ner elenden Singerei hören lassen!" -- Es war lieblich anzuschauen, wie sie, gleich einem fromm¬ verschämten Kinde, die Augen niederschlagend und hocherröthend mit der Lust und mit der Scheu kämpfte. -- Man kann denken, wie ich sie anfleh¬ te, und, als sie kleine kurländische Volkslieder er¬ wähnte, nicht nachließ, bis sie mit der linken Hand herüberlangend einige Töne auf dem Instrument versuchte, wie zur Einleitung. Ich wollte ihr Platz machen am Instrument, sie ließ es aber nicht zu, indem sie versicherte, daß sie nicht eines einzi¬ gen Akkordes mächtig sey, und daß eben deshalb ihr Gesang ohne Begleitung sehr mager und unsicher klingen werde. Nun fing sie mit zarter, glocken¬
Fraͤulein Adelheid, die in einer Ecke des Zimmers geſeſſen, herbei, kniete vor der Baronin hin, und bat, ihre beide Haͤnde erfaſſend und an die Bruſt druͤckend: „O liebe Baronin — Seraphinchen, nun mußt du auch ſingen!“ — Die Baronin erwiederte: „Wo denkſt du aber auch hin, Adelheid! — wie mag ich mich denn vor unſerm Virtuoſen da mit mei¬ ner elenden Singerei hoͤren laſſen!“ — Es war lieblich anzuſchauen, wie ſie, gleich einem fromm¬ verſchaͤmten Kinde, die Augen niederſchlagend und hocherroͤthend mit der Luſt und mit der Scheu kaͤmpfte. — Man kann denken, wie ich ſie anfleh¬ te, und, als ſie kleine kurlaͤndiſche Volkslieder er¬ waͤhnte, nicht nachließ, bis ſie mit der linken Hand heruͤberlangend einige Toͤne auf dem Inſtrument verſuchte, wie zur Einleitung. Ich wollte ihr Platz machen am Inſtrument, ſie ließ es aber nicht zu, indem ſie verſicherte, daß ſie nicht eines einzi¬ gen Akkordes maͤchtig ſey, und daß eben deshalb ihr Geſang ohne Begleitung ſehr mager und unſicher klingen werde. Nun fing ſie mit zarter, glocken¬
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Fraͤulein Adelheid, die in einer Ecke des Zimmers
geſeſſen, herbei, kniete vor der Baronin hin, und
bat, ihre beide Haͤnde erfaſſend und an die Bruſt
druͤckend: „O liebe Baronin — Seraphinchen, nun
mußt du auch ſingen!“ — Die Baronin erwiederte:
„Wo denkſt du aber auch hin, Adelheid! — wie mag
ich mich denn vor unſerm Virtuoſen da mit mei¬
ner elenden Singerei hoͤren laſſen!“ — Es war
lieblich anzuſchauen, wie ſie, gleich einem fromm¬
verſchaͤmten Kinde, die Augen niederſchlagend und
hocherroͤthend mit der Luſt und mit der Scheu
kaͤmpfte. — Man kann denken, wie ich ſie anfleh¬
te, und, als ſie kleine kurlaͤndiſche Volkslieder er¬
waͤhnte, nicht nachließ, bis ſie mit der linken Hand
heruͤberlangend einige Toͤne auf dem Inſtrument
verſuchte, wie zur Einleitung. Ich wollte ihr
Platz machen am Inſtrument, ſie ließ es aber nicht
zu, indem ſie verſicherte, daß ſie nicht eines einzi¬
gen Akkordes maͤchtig ſey, und daß eben deshalb
ihr Geſang ohne Begleitung ſehr mager und unſicher
klingen werde. Nun fing ſie mit zarter, glocken¬
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/133>, abgerufen am 13.10.2024.
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