wunderherrliche Frau tritt lebhaft vor meines Gei¬ stes Augen. Sie mochte wohl damals kaum neun¬ zehn Jahre zählen, ihr Gesicht eben so zart, wie ihr Wuchs, trug den Ausdruck der höchsten Engels¬ güte, vorzüglich lag aber in dem Blick der dunklen Augen ein unbeschreiblicher Zauber, wie feuchter Mondesstrahl ging darin eine schwermüthige Sehn¬ sucht auf; so wie in ihrem holdseligen Lächeln ein ganzer Himmel voll Wonne und Entzücken. Oft schien sie ganz in sich selbst verloren, und dann gin¬ gen düstre Wolkenschatten über ihr holdes Antlitz. Man hätte glauben sollen, irgend ein verstörender Schmerz müsse sie befangen, mir schien es aber, daß wohl die düstere Ahnung einer trüben, Unglücks¬ schwangeren Zukunft es sey, von der sie in solchen Augenblicken erfaßt werde, und auch damit setzte ich auf seltsame Weise, die ich mir weiter gar nicht zu erklären wußte, den Spuk im Schlosse in Ver¬ bindung. -- Den andern Morgen, nachdem der Baron angekommen, versammelte sich die Gesell¬ schaft zum Frühstück, der Alte stellte mich der Ba¬
wunderherrliche Frau tritt lebhaft vor meines Gei¬ ſtes Augen. Sie mochte wohl damals kaum neun¬ zehn Jahre zaͤhlen, ihr Geſicht eben ſo zart, wie ihr Wuchs, trug den Ausdruck der hoͤchſten Engels¬ guͤte, vorzuͤglich lag aber in dem Blick der dunklen Augen ein unbeſchreiblicher Zauber, wie feuchter Mondesſtrahl ging darin eine ſchwermuͤthige Sehn¬ ſucht auf; ſo wie in ihrem holdſeligen Laͤcheln ein ganzer Himmel voll Wonne und Entzuͤcken. Oft ſchien ſie ganz in ſich ſelbſt verloren, und dann gin¬ gen duͤſtre Wolkenſchatten uͤber ihr holdes Antlitz. Man haͤtte glauben ſollen, irgend ein verſtoͤrender Schmerz muͤſſe ſie befangen, mir ſchien es aber, daß wohl die duͤſtere Ahnung einer truͤben, Ungluͤcks¬ ſchwangeren Zukunft es ſey, von der ſie in ſolchen Augenblicken erfaßt werde, und auch damit ſetzte ich auf ſeltſame Weiſe, die ich mir weiter gar nicht zu erklaͤren wußte, den Spuk im Schloſſe in Ver¬ bindung. — Den andern Morgen, nachdem der Baron angekommen, verſammelte ſich die Geſell¬ ſchaft zum Fruͤhſtuͤck, der Alte ſtellte mich der Ba¬
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[109/0117]
wunderherrliche Frau tritt lebhaft vor meines Gei¬
ſtes Augen. Sie mochte wohl damals kaum neun¬
zehn Jahre zaͤhlen, ihr Geſicht eben ſo zart, wie
ihr Wuchs, trug den Ausdruck der hoͤchſten Engels¬
guͤte, vorzuͤglich lag aber in dem Blick der dunklen
Augen ein unbeſchreiblicher Zauber, wie feuchter
Mondesſtrahl ging darin eine ſchwermuͤthige Sehn¬
ſucht auf; ſo wie in ihrem holdſeligen Laͤcheln ein
ganzer Himmel voll Wonne und Entzuͤcken. Oft
ſchien ſie ganz in ſich ſelbſt verloren, und dann gin¬
gen duͤſtre Wolkenſchatten uͤber ihr holdes Antlitz.
Man haͤtte glauben ſollen, irgend ein verſtoͤrender
Schmerz muͤſſe ſie befangen, mir ſchien es aber,
daß wohl die duͤſtere Ahnung einer truͤben, Ungluͤcks¬
ſchwangeren Zukunft es ſey, von der ſie in ſolchen
Augenblicken erfaßt werde, und auch damit ſetzte
ich auf ſeltſame Weiſe, die ich mir weiter gar nicht
zu erklaͤren wußte, den Spuk im Schloſſe in Ver¬
bindung. — Den andern Morgen, nachdem der
Baron angekommen, verſammelte ſich die Geſell¬
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/117>, abgerufen am 05.10.2024.
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