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Hölty, Ludwig Christoph Heinrich: Gedichte. Hamburg, 1783.

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etwas zahlreich war, musste das Gespräch sehr anzie¬
hend, oder gradezu an ihn gerichtet sein, eh er sich
darein mischte. Dann sprach er oft lebhaft, schnell und
mit erhöhter Stimme, und sein Gesicht ward weniger
blass. Manchmal, wenn er lange wie mit abwesender
Seele gesessen hatte, unterbrach er das Gespräch durch
einen drollichten Einfall, der desto mehr Lachen erregte,
da er ihn mit ganz trockener Stimme und ehrbarem Ge¬
sicht vorbrachte. Es geschah häufig, wenn er mit sei¬
nen Freunden auf der Gasse ging, dass ihn jemand an¬
hielt, und zum Kaffe nöthigte. Hölty fragte nach der
Wohnung, und war plözlich verschwunden. Aber
bald kam er wieder daher gewankt, ohne sich merken
zu lassen, dass er weggewesen war. Er ging nur hin,
machte dem Wirt einen Bückling, trank, ohne ein
Wort zu sprechen, was ihm eingeschenkt wurde, und
ging wieder weg. So hatte er selbst Leisewiz schon
oft besucht, bis sie endlich zu einer Unterredung
kamen.

Mit diesem Scheine von Gleichgültigkeit verband er
eine brennende Neugier. Man konnte ihn, wie Sokra¬
tes scherzend von sich sagte, mit einer versprochenen
Neuigkeit, wie ein Kalb mit vorgehaltenem Grase,
locken wohin man wollte. Er wusste zuerst, was die
Messe gutes und böses gebracht hatte, und durchblätterte
hohe Stapel aus dem Buchladen; ihm entging keine Re¬

zension,

etwas zahlreich war, muſste das Geſpräch ſehr anzie¬
hend, oder gradezu an ihn gerichtet ſein, eh er ſich
darein miſchte. Dann ſprach er oft lebhaft, ſchnell und
mit erhöhter Stimme, und ſein Geſicht ward weniger
blaſs. Manchmal, wenn er lange wie mit abweſender
Seele geſeſſen hatte, unterbrach er das Geſpräch durch
einen drollichten Einfall, der deſto mehr Lachen erregte,
da er ihn mit ganz trockener Stimme und ehrbarem Ge¬
ſicht vorbrachte. Es geſchah häufig, wenn er mit ſei¬
nen Freunden auf der Gaſſe ging, daſs ihn jemand an¬
hielt, und zum Kaffe nöthigte. Hölty fragte nach der
Wohnung, und war plözlich verſchwunden. Aber
bald kam er wieder daher gewankt, ohne ſich merken
zu laſſen, daſs er weggeweſen war. Er ging nur hin,
machte dem Wirt einen Bückling, trank, ohne ein
Wort zu ſprechen, was ihm eingeſchenkt wurde, und
ging wieder weg. So hatte er ſelbſt Leiſewiz ſchon
oft beſucht, bis ſie endlich zu einer Unterredung
kamen.

Mit dieſem Scheine von Gleichgültigkeit verband er
eine brennende Neugier. Man konnte ihn, wie Sokra¬
tes ſcherzend von ſich ſagte, mit einer verſprochenen
Neuigkeit, wie ein Kalb mit vorgehaltenem Graſe,
locken wohin man wollte. Er wuſste zuerſt, was die
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[XI/0019] etwas zahlreich war, muſste das Geſpräch ſehr anzie¬ hend, oder gradezu an ihn gerichtet ſein, eh er ſich darein miſchte. Dann ſprach er oft lebhaft, ſchnell und mit erhöhter Stimme, und ſein Geſicht ward weniger blaſs. Manchmal, wenn er lange wie mit abweſender Seele geſeſſen hatte, unterbrach er das Geſpräch durch einen drollichten Einfall, der deſto mehr Lachen erregte, da er ihn mit ganz trockener Stimme und ehrbarem Ge¬ ſicht vorbrachte. Es geſchah häufig, wenn er mit ſei¬ nen Freunden auf der Gaſſe ging, daſs ihn jemand an¬ hielt, und zum Kaffe nöthigte. Hölty fragte nach der Wohnung, und war plözlich verſchwunden. Aber bald kam er wieder daher gewankt, ohne ſich merken zu laſſen, daſs er weggeweſen war. Er ging nur hin, machte dem Wirt einen Bückling, trank, ohne ein Wort zu ſprechen, was ihm eingeſchenkt wurde, und ging wieder weg. So hatte er ſelbſt Leiſewiz ſchon oft beſucht, bis ſie endlich zu einer Unterredung kamen. Mit dieſem Scheine von Gleichgültigkeit verband er eine brennende Neugier. Man konnte ihn, wie Sokra¬ tes ſcherzend von ſich ſagte, mit einer verſprochenen Neuigkeit, wie ein Kalb mit vorgehaltenem Graſe, locken wohin man wollte. Er wuſste zuerſt, was die Meſſe gutes und böſes gebracht hatte, und durchblätterte hohe Stapel aus dem Buchladen; ihm entging keine Re¬ zenſion,

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Zitationshilfe: Hölty, Ludwig Christoph Heinrich: Gedichte. Hamburg, 1783, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelty_gedichte_1783/19>, abgerufen am 04.05.2024.