Rheinweinliedes Ernst werden sollte. Aber dabei blieb es denn auch. Diese Anmerkung ist vielleicht nicht überflüssig, da ein rechtschaffener Geistlicher den Scherz jenes Liedes misverstanden hat, und der scherz¬ hafte Horaz fast von allen seinen Erklärern mehr oder weniger misverstanden wird. Wenn uns Fremde be¬ suchten, die er achtete, so liess er gern seine Gedichte vorlesen. Dann stellte er sich nahe vor den Gast, sah ihm freundlich ins Gesicht, und nahm sein Lob so hin, als wenns ihm gebührte. Nur zweimal habe ich ihn weinen gesehn. Er sagte mir einst, wie von ungefähr, dass er des Morgens Blut aushustete. Ich erschrak, und trieb ihn, einen Arzt zu befragen. Er liess das gut sein. Ich und die übrigen Freunde, die noch in Göttingen waren, wurden dringender; aber Hölty hatte seinen Scherz mit uns. Endlich führte ich ihn mit Gewalt zu Richter. Der Arzt erkundigte sich, und tröstete ihn zwar, aber so, dass ihn Hölty verstand. Als wir zurückgingen, weinte er bitterlich. Dass zweitemal war, als er den Tod seines Vaters erfuhr. Er kam mit ver¬ störtem Gesicht auf meine Stube; denn wir assen zu¬ sammen. Wie gehts, Hölty? Recht gut, antwortete er lächelnd; aber mein Vater ist todt. Und Thränen stürzten ihm von den bleichen Wangen.
Bei Unbekannten sprach er wenig oder nichts; und selbst unter seinen Freunden, wenn die Gesellschaft nur
etwas
Rheinweinliedes Ernſt werden ſollte. Aber dabei blieb es denn auch. Dieſe Anmerkung iſt vielleicht nicht überflüſſig, da ein rechtſchaffener Geiſtlicher den Scherz jenes Liedes misverſtanden hat, und der ſcherz¬ hafte Horaz faſt von allen ſeinen Erklärern mehr oder weniger misverſtanden wird. Wenn uns Fremde be¬ ſuchten, die er achtete, ſo lieſs er gern ſeine Gedichte vorleſen. Dann ſtellte er ſich nahe vor den Gaſt, ſah ihm freundlich ins Geſicht, und nahm ſein Lob ſo hin, als wenns ihm gebührte. Nur zweimal habe ich ihn weinen geſehn. Er ſagte mir einſt, wie von ungefähr, daſs er des Morgens Blut aushuſtete. Ich erſchrak, und trieb ihn, einen Arzt zu befragen. Er lieſs das gut ſein. Ich und die übrigen Freunde, die noch in Göttingen waren, wurden dringender; aber Hölty hatte ſeinen Scherz mit uns. Endlich führte ich ihn mit Gewalt zu Richter. Der Arzt erkundigte ſich, und tröſtete ihn zwar, aber ſo, daſs ihn Hölty verſtand. Als wir zurückgingen, weinte er bitterlich. Daſs zweitemal war, als er den Tod ſeines Vaters erfuhr. Er kam mit ver¬ ſtörtem Geſicht auf meine Stube; denn wir aſſen zu¬ ſammen. Wie gehts, Hölty? Recht gut, antwortete er lächelnd; aber mein Vater iſt todt. Und Thränen ſtürzten ihm von den bleichen Wangen.
Bei Unbekannten ſprach er wenig oder nichts; und ſelbſt unter ſeinen Freunden, wenn die Geſellſchaft nur
etwas
<TEI><text><front><divn="1"><p><pbfacs="#f0018"n="X"/>
Rheinweinliedes Ernſt werden ſollte. Aber dabei<lb/>
blieb es denn auch. Dieſe Anmerkung iſt vielleicht<lb/>
nicht überflüſſig, da ein rechtſchaffener Geiſtlicher den<lb/>
Scherz jenes Liedes misverſtanden hat, und der ſcherz¬<lb/>
hafte Horaz faſt von allen ſeinen Erklärern mehr oder<lb/>
weniger misverſtanden wird. Wenn uns Fremde be¬<lb/>ſuchten, die er achtete, ſo lieſs er gern ſeine Gedichte<lb/>
vorleſen. Dann ſtellte er ſich nahe vor den Gaſt, ſah<lb/>
ihm freundlich ins Geſicht, und nahm ſein Lob ſo hin,<lb/>
als wenns ihm gebührte. Nur zweimal habe ich ihn<lb/>
weinen geſehn. Er ſagte mir einſt, wie von ungefähr,<lb/>
daſs er des Morgens Blut aushuſtete. Ich erſchrak, und<lb/>
trieb ihn, einen Arzt zu befragen. Er lieſs das gut ſein.<lb/>
Ich und die übrigen Freunde, die noch in Göttingen<lb/>
waren, wurden dringender; aber Hölty hatte ſeinen<lb/>
Scherz mit uns. Endlich führte ich ihn mit Gewalt<lb/>
zu Richter. Der Arzt erkundigte ſich, und tröſtete<lb/>
ihn zwar, aber ſo, daſs ihn Hölty verſtand. Als wir<lb/>
zurückgingen, weinte er bitterlich. Daſs zweitemal war,<lb/>
als er den Tod ſeines Vaters erfuhr. Er kam mit ver¬<lb/>ſtörtem Geſicht auf meine Stube; denn wir aſſen zu¬<lb/>ſammen. Wie gehts, Hölty? Recht gut, antwortete<lb/>
er lächelnd; aber mein Vater iſt todt. Und Thränen<lb/>ſtürzten ihm von den bleichen Wangen.</p><lb/><p>Bei Unbekannten ſprach er wenig oder nichts; und<lb/>ſelbſt unter ſeinen Freunden, wenn die Geſellſchaft nur<lb/><fwplace="bottom"type="catch">etwas<lb/></fw></p></div></front></text></TEI>
[X/0018]
Rheinweinliedes Ernſt werden ſollte. Aber dabei
blieb es denn auch. Dieſe Anmerkung iſt vielleicht
nicht überflüſſig, da ein rechtſchaffener Geiſtlicher den
Scherz jenes Liedes misverſtanden hat, und der ſcherz¬
hafte Horaz faſt von allen ſeinen Erklärern mehr oder
weniger misverſtanden wird. Wenn uns Fremde be¬
ſuchten, die er achtete, ſo lieſs er gern ſeine Gedichte
vorleſen. Dann ſtellte er ſich nahe vor den Gaſt, ſah
ihm freundlich ins Geſicht, und nahm ſein Lob ſo hin,
als wenns ihm gebührte. Nur zweimal habe ich ihn
weinen geſehn. Er ſagte mir einſt, wie von ungefähr,
daſs er des Morgens Blut aushuſtete. Ich erſchrak, und
trieb ihn, einen Arzt zu befragen. Er lieſs das gut ſein.
Ich und die übrigen Freunde, die noch in Göttingen
waren, wurden dringender; aber Hölty hatte ſeinen
Scherz mit uns. Endlich führte ich ihn mit Gewalt
zu Richter. Der Arzt erkundigte ſich, und tröſtete
ihn zwar, aber ſo, daſs ihn Hölty verſtand. Als wir
zurückgingen, weinte er bitterlich. Daſs zweitemal war,
als er den Tod ſeines Vaters erfuhr. Er kam mit ver¬
ſtörtem Geſicht auf meine Stube; denn wir aſſen zu¬
ſammen. Wie gehts, Hölty? Recht gut, antwortete
er lächelnd; aber mein Vater iſt todt. Und Thränen
ſtürzten ihm von den bleichen Wangen.
Bei Unbekannten ſprach er wenig oder nichts; und
ſelbſt unter ſeinen Freunden, wenn die Geſellſchaft nur
etwas
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Hölty, Ludwig Christoph Heinrich: Gedichte. Hamburg, 1783, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelty_gedichte_1783/18>, abgerufen am 19.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.