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Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Zweiter Band. Tübingen, 1799.

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Ein tiefes Lebensgefühl durchdrang mich noch. Es war mir warm und wohl in allen Gliedern. Wie ein zärtlichscheidender, fühlte zum leztenmale sich in allen seinen Sinnen mein Geist. Und nun, voll heißen Unmuths, daß ich Besseres nicht wußte, denn mich schlachten zu lassen in einem Gedränge von Barbaren, mit zürnenden Thränen im Auge, stürmt' ich hin, wo mir der Tod gewiß war.

Ich traf die Feinde nahe genug und von den Russen, die an meiner Seite fochten, war in wenig Augenbliken auch nicht Einer übrig. Ich stand allein da, voll Stolzes, und warf mein Leben, wie einen Bettlerpfenning, vor die Barbaren, aber sie wollten mich nicht. Sie sahen mich an, wie einen, an dem man sich zu versündigen fürchtet, und das Schiksaal schien mich zu achten in meiner Verzweiflung.

Aus höchster Nothwehr hieb denn endlich einer auf mich ein, und traf mich, daß ich stürzte. Mir wurde von da an nichts mehr bewußt, bis ich auf Paros, wohin ich übergeschifft war, wieder erwachte.

Von dem Diener, der mich aus der Schlacht trug, hört' ich nachher, die beiden Schiffe, die den Kampf begonnen, seien in die Luft geflo-

Ein tiefes Lebensgefühl durchdrang mich noch. Es war mir warm und wohl in allen Gliedern. Wie ein zärtlichscheidender, fühlte zum leztenmale sich in allen seinen Sinnen mein Geist. Und nun, voll heißen Unmuths, daß ich Besseres nicht wußte, denn mich schlachten zu lassen in einem Gedränge von Barbaren, mit zürnenden Thränen im Auge, stürmt’ ich hin, wo mir der Tod gewiß war.

Ich traf die Feinde nahe genug und von den Russen, die an meiner Seite fochten, war in wenig Augenbliken auch nicht Einer übrig. Ich stand allein da, voll Stolzes, und warf mein Leben, wie einen Bettlerpfenning, vor die Barbaren, aber sie wollten mich nicht. Sie sahen mich an, wie einen, an dem man sich zu versündigen fürchtet, und das Schiksaal schien mich zu achten in meiner Verzweiflung.

Aus höchster Nothwehr hieb denn endlich einer auf mich ein, und traf mich, daß ich stürzte. Mir wurde von da an nichts mehr bewußt, bis ich auf Paros, wohin ich übergeschifft war, wieder erwachte.

Von dem Diener, der mich aus der Schlacht trug, hört’ ich nachher, die beiden Schiffe, die den Kampf begonnen, seien in die Luft geflo-

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[0060] Ein tiefes Lebensgefühl durchdrang mich noch. Es war mir warm und wohl in allen Gliedern. Wie ein zärtlichscheidender, fühlte zum leztenmale sich in allen seinen Sinnen mein Geist. Und nun, voll heißen Unmuths, daß ich Besseres nicht wußte, denn mich schlachten zu lassen in einem Gedränge von Barbaren, mit zürnenden Thränen im Auge, stürmt’ ich hin, wo mir der Tod gewiß war. Ich traf die Feinde nahe genug und von den Russen, die an meiner Seite fochten, war in wenig Augenbliken auch nicht Einer übrig. Ich stand allein da, voll Stolzes, und warf mein Leben, wie einen Bettlerpfenning, vor die Barbaren, aber sie wollten mich nicht. Sie sahen mich an, wie einen, an dem man sich zu versündigen fürchtet, und das Schiksaal schien mich zu achten in meiner Verzweiflung. Aus höchster Nothwehr hieb denn endlich einer auf mich ein, und traf mich, daß ich stürzte. Mir wurde von da an nichts mehr bewußt, bis ich auf Paros, wohin ich übergeschifft war, wieder erwachte. Von dem Diener, der mich aus der Schlacht trug, hört’ ich nachher, die beiden Schiffe, die den Kampf begonnen, seien in die Luft geflo-

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Zweiter Band. Tübingen, 1799, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion02_1799/60>, abgerufen am 02.05.2024.