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Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

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Es will zu sterblichem Gespräche mir
Und eitlem Wort die Zunge nimmer dienen.
Sieh! Liebster! anders ist mir schon, und leichter
Und freier athm' ich auf, und wie der Schnee
Des hohen Aetna, der am Sonnenlichte
Erwarmt und schimmert und vom Gipfel wogt,
Und über den entstürzenden Gewässern
Sich blühend Iris stiller Bogen schwingt:
So rinnt und reißt vom Herzen mir sich los,
So rauscht es weg, was mir die Zeit gehäuft,
Und freier blüht das Leben mir darüber.
Nun! wandre muthig, Sohn! ich geb' und küsse
Verheissungen dir auf die reine Stirn:
Es dämmert dort Italiens Gebirg;
Das Römerland, das thatenreiche, winkt;
Dort wirst du wohl gedeihn, dort, wo sich froh
Die Männer in der Kämpferbahn begegnen.
O Heldenstädte dort, und du Tarent!
Ihr brüderlichen Hallen, wo ich oft
Frohsinnend einst mit meinem Plato ging,
Und immer neu uns Jünglingen das Jahr
Und jeder Tag erschien in heil'ger Schule.
Besuch' ihn auch, o Sohn! und grüss' ihn mir,
Den alten Freund, an seiner Heimat Strömen,
Am blumigen Ilissus, wo er wohnt;
Und will die Seele dir nicht ruhn, so geh'
Zum andern Strande, -- -- --
Es will zu ſterblichem Geſpraͤche mir
Und eitlem Wort die Zunge nimmer dienen.
Sieh! Liebſter! anders iſt mir ſchon, und leichter
Und freier athm' ich auf, und wie der Schnee
Des hohen Aetna, der am Sonnenlichte
Erwarmt und ſchimmert und vom Gipfel wogt,
Und uͤber den entſtuͤrzenden Gewaͤſſern
Sich bluͤhend Iris ſtiller Bogen ſchwingt:
So rinnt und reißt vom Herzen mir ſich los,
So rauſcht es weg, was mir die Zeit gehaͤuft,
Und freier bluͤht das Leben mir daruͤber.
Nun! wandre muthig, Sohn! ich geb' und kuͤſſe
Verheiſſungen dir auf die reine Stirn:
Es daͤmmert dort Italiens Gebirg;
Das Roͤmerland, das thatenreiche, winkt;
Dort wirſt du wohl gedeihn, dort, wo ſich froh
Die Maͤnner in der Kaͤmpferbahn begegnen.
O Heldenſtaͤdte dort, und du Tarent!
Ihr bruͤderlichen Hallen, wo ich oft
Frohſinnend einſt mit meinem Plato ging,
Und immer neu uns Juͤnglingen das Jahr
Und jeder Tag erſchien in heil'ger Schule.
Beſuch' ihn auch, o Sohn! und gruͤſſ' ihn mir,
Den alten Freund, an ſeiner Heimat Stroͤmen,
Am blumigen Iliſſus, wo er wohnt;
Und will die Seele dir nicht ruhn, ſo geh'
Zum andern Strande, — — —
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[218/0226] Es will zu ſterblichem Geſpraͤche mir Und eitlem Wort die Zunge nimmer dienen. Sieh! Liebſter! anders iſt mir ſchon, und leichter Und freier athm' ich auf, und wie der Schnee Des hohen Aetna, der am Sonnenlichte Erwarmt und ſchimmert und vom Gipfel wogt, Und uͤber den entſtuͤrzenden Gewaͤſſern Sich bluͤhend Iris ſtiller Bogen ſchwingt: So rinnt und reißt vom Herzen mir ſich los, So rauſcht es weg, was mir die Zeit gehaͤuft, Und freier bluͤht das Leben mir daruͤber. Nun! wandre muthig, Sohn! ich geb' und kuͤſſe Verheiſſungen dir auf die reine Stirn: Es daͤmmert dort Italiens Gebirg; Das Roͤmerland, das thatenreiche, winkt; Dort wirſt du wohl gedeihn, dort, wo ſich froh Die Maͤnner in der Kaͤmpferbahn begegnen. O Heldenſtaͤdte dort, und du Tarent! Ihr bruͤderlichen Hallen, wo ich oft Frohſinnend einſt mit meinem Plato ging, Und immer neu uns Juͤnglingen das Jahr Und jeder Tag erſchien in heil'ger Schule. Beſuch' ihn auch, o Sohn! und gruͤſſ' ihn mir, Den alten Freund, an ſeiner Heimat Stroͤmen, Am blumigen Iliſſus, wo er wohnt; Und will die Seele dir nicht ruhn, ſo geh' Zum andern Strande, — — —

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/226>, abgerufen am 03.05.2024.