Hoefer, Edmund: Rolof, der Rekrut. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ketten. Ernst und doch heiter kam er auf mich zu, fiel mir um den Hals und sprach: Ohm, verzeiht Ihr mir all den Jammer, den Ihr nun davon habt? Es konnte aber nicht anders kommen; ich hab' es Euch damals schon voraus gesagt. -- Da schob ich ihn von mir, legte die Hände auf seine Schultern und hielt ihn so, daß ich ihn lange ansehen konnte. Rolof, sagte ich dann, weßhalb bist du desertirt und hast dem König geschworen, und auch mir selbst noch am Morgen desselbigen Tages? -- Ohm, versetzte er, als ich dort stand, so allein, und der Wind kam von Osten, da meinte ich die See zu hören, wie sie mich lockte: komm! komm! Dann hörte ich einen Vogelschrei -- ich denke noch immer, daß es eine Möve war. Dann kam der Bote, der mir die Nachricht von Haus brachte. Da hielt ich mich nicht mehr, da vergaß ich den Posten und vergaß meinen Schwur, da warf ich von mir, was nicht mein, und stürzte fort, ohne Besinnung, ohne Rast, bis ich daheim war. Da machten wir unsern vollen, guten Frieden. Ihr kommt doch mit, Ohm? fragte er noch. Ja, gewiß! antwortete ich. Am Nachmittag kamen General und Oberst und andere Offiziere, um von ihm Abschied zu nehmen. Dann blieben wir mit ihm bis zum Abend allein, wo es für mich Zeit ward, zum Obersten zu gehen. Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen, wie ich aus der Wache herauskam, um die Ecke bog Ketten. Ernst und doch heiter kam er auf mich zu, fiel mir um den Hals und sprach: Ohm, verzeiht Ihr mir all den Jammer, den Ihr nun davon habt? Es konnte aber nicht anders kommen; ich hab' es Euch damals schon voraus gesagt. — Da schob ich ihn von mir, legte die Hände auf seine Schultern und hielt ihn so, daß ich ihn lange ansehen konnte. Rolof, sagte ich dann, weßhalb bist du desertirt und hast dem König geschworen, und auch mir selbst noch am Morgen desselbigen Tages? — Ohm, versetzte er, als ich dort stand, so allein, und der Wind kam von Osten, da meinte ich die See zu hören, wie sie mich lockte: komm! komm! Dann hörte ich einen Vogelschrei — ich denke noch immer, daß es eine Möve war. Dann kam der Bote, der mir die Nachricht von Haus brachte. Da hielt ich mich nicht mehr, da vergaß ich den Posten und vergaß meinen Schwur, da warf ich von mir, was nicht mein, und stürzte fort, ohne Besinnung, ohne Rast, bis ich daheim war. Da machten wir unsern vollen, guten Frieden. Ihr kommt doch mit, Ohm? fragte er noch. Ja, gewiß! antwortete ich. Am Nachmittag kamen General und Oberst und andere Offiziere, um von ihm Abschied zu nehmen. Dann blieben wir mit ihm bis zum Abend allein, wo es für mich Zeit ward, zum Obersten zu gehen. Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen, wie ich aus der Wache herauskam, um die Ecke bog <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0061"/> Ketten. Ernst und doch heiter kam er auf mich zu, fiel mir um den Hals und sprach: Ohm, verzeiht Ihr mir all den Jammer, den Ihr nun davon habt? Es konnte aber nicht anders kommen; ich hab' es Euch damals schon voraus gesagt. — Da schob ich ihn von mir, legte die Hände auf seine Schultern und hielt ihn so, daß ich ihn lange ansehen konnte. Rolof, sagte ich dann, weßhalb bist du desertirt und hast dem König geschworen, und auch mir selbst noch am Morgen desselbigen Tages? — Ohm, versetzte er, als ich dort stand, so allein, und der Wind kam von Osten, da meinte ich die See zu hören, wie sie mich lockte: komm! komm! Dann hörte ich einen Vogelschrei — ich denke noch immer, daß es eine Möve war. Dann kam der Bote, der mir die Nachricht von Haus brachte. Da hielt ich mich nicht mehr, da vergaß ich den Posten und vergaß meinen Schwur, da warf ich von mir, was nicht mein, und stürzte fort, ohne Besinnung, ohne Rast, bis ich daheim war.</p><lb/> <p>Da machten wir unsern vollen, guten Frieden. Ihr kommt doch mit, Ohm? fragte er noch. Ja, gewiß! antwortete ich. Am Nachmittag kamen General und Oberst und andere Offiziere, um von ihm Abschied zu nehmen. Dann blieben wir mit ihm bis zum Abend allein, wo es für mich Zeit ward, zum Obersten zu gehen.</p><lb/> <p>Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen, wie ich aus der Wache herauskam, um die Ecke bog<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0061]
Ketten. Ernst und doch heiter kam er auf mich zu, fiel mir um den Hals und sprach: Ohm, verzeiht Ihr mir all den Jammer, den Ihr nun davon habt? Es konnte aber nicht anders kommen; ich hab' es Euch damals schon voraus gesagt. — Da schob ich ihn von mir, legte die Hände auf seine Schultern und hielt ihn so, daß ich ihn lange ansehen konnte. Rolof, sagte ich dann, weßhalb bist du desertirt und hast dem König geschworen, und auch mir selbst noch am Morgen desselbigen Tages? — Ohm, versetzte er, als ich dort stand, so allein, und der Wind kam von Osten, da meinte ich die See zu hören, wie sie mich lockte: komm! komm! Dann hörte ich einen Vogelschrei — ich denke noch immer, daß es eine Möve war. Dann kam der Bote, der mir die Nachricht von Haus brachte. Da hielt ich mich nicht mehr, da vergaß ich den Posten und vergaß meinen Schwur, da warf ich von mir, was nicht mein, und stürzte fort, ohne Besinnung, ohne Rast, bis ich daheim war.
Da machten wir unsern vollen, guten Frieden. Ihr kommt doch mit, Ohm? fragte er noch. Ja, gewiß! antwortete ich. Am Nachmittag kamen General und Oberst und andere Offiziere, um von ihm Abschied zu nehmen. Dann blieben wir mit ihm bis zum Abend allein, wo es für mich Zeit ward, zum Obersten zu gehen.
Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen, wie ich aus der Wache herauskam, um die Ecke bog
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Zitationshilfe: | Hoefer, Edmund: Rolof, der Rekrut. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoefer_rekrut_1910/61>, abgerufen am 16.02.2025. |