Der alte Tambour war seit einigen Tagen nicht zu sehen gewesen, und es verlautete, er habe sich bei einem Zank auf der Wache so alterirt, daß er nun darob krank zu Hause liege. Der Freiwillige, dem die derbe, eigentümliche Figur wirkliche Theilnahme eingeflößt hatte, ging an einem einem sonnigen Morgen zu ihm, um sich nach ihm umzusehen, und traf ihn im Garten auf dem kleinen Altan, der unter dem weitschattenden Nußbaum auf der Stadtmauer angebracht war. Der Alte, in seinen Mantel gehüllt und die Feldmütze tief in die gefurchte Stirn gedrückt, plauderte mit einem früheren Kameraden, der jetzt als ehrsamer Handwerksmeister sein behagliches Auskommen fand. Die beiden Alten hießen den Heraufsteigenden freundlich willkommen, der Tambour reichte ihm die Hand und rückte eine Bank zum Sitz herbei und nachdem der Freiwillige eine mitgebrachte Weinflasche hervorgelangt und die schnell herbeigeschaffenen Gläser gefüllt hatte, kam man in ein munteres Gespräch. Der Morgen war still und schön, das Plätzchen voll Schatten und Anmuth; über die
rasirten und zu Anlagen benutzten alten Festungswerke sah man in die ruhigen, sommerlichen Felder und Wiesen, und zwischen der dichten hohen Baumreihe einer Kunststraße hier, dem vielgewundenen blinkenden Flusse dort und dem sogenannten Fichtenhügel im Vordergrunde lag ein einfaches, aber angenehmes Bild ausgebreitet.
Seht Euch die Gegend nur an, junger Herr, sagte der Tambour, zum hinausschauenden Freiwilligen gewendet; es ist hübsch hier, und das Plätzchen ist mir ganz absonderlich lieb. Seit wir dazumal nach dem Frieden aus Frankreich zurück und hieher in Garnison kamen — es werden nun fünf und zwanzig Jahre sein — hab' ich hier gewohnt, Bank und Tisch selbst zusammengeschlagen und Alles so eingerichtet. Mir fehlt etwas, wenn ich nicht täglich wenigstens einen Augenblick hier sein kann. — Ja ja, erwiderte der Freiwillige lächelnd, und wenn Ihr nicht hier seid, Rolow, so sucht Ihr Euch eine Stelle, von wo Ihr hieher schauen könnt. Ich mein' auf dem Fichtenhügel dort den alten knorrigen Stamm unterscheiden zu können, wo ich Euch neulich fand und von Euch so kurz abgefertigt wurde. Der Alte sah ihn verwundert und schweigend an. Wart Ihr's? sagte er nach einer Weile und seine Stirn war finster geworden; nun, ich weiß nichts davon. Ich erkannte Euch wohl nicht, da ich nicht recht bei mir war, vielmehr fernab von aller Gegenwart, wie mir das bisweilen passirt. — Aber,
Vater, was habt Ihr, daß es Euch also quälen kann? fragte der junge Mann. Wenn Ihr krank seid, müßt Ihr was brauchen und nicht wild und einsam umherstreifen und bösen Gedanken nachhängen. Das taugt nicht, Ralow. Was fehlt Euch?
Was mir fehlt? erwiderte der Alte, und ein düsteres Lächeln zog sich über das runzelvolle, scharfgeschnittene Gesicht und verlor sich in den Winkeln der plötzlich aufblickenden Augen. Im Gegentheil hab' ich vierzig Jahre zu viel, wie ich merke, und hier im Kopf ist auch zu viel. Da ist die alte satanische Geschichte, die sie mir neulich auf der Wache zwischen die Beine warfen; Ihr habt wohl davon gehört. Da schwatzten so ein Paar Gesellen von dem schwarzen Holländer und seinem Sohn, dem Rolof, was das für Blutsäufer gewesen, und ich sagte ihnen, sie sollten das Maul davon halten, denn sonst müßten die Säbel sprechen. Hab' ich kein Recht, so zu reden? Was gehen der Holländer und der Rolof die Bursche an? Was wissen sie von diesen? Die Racker lagen dazumal ja noch alle im Brunnen, und der Storch hatte noch nicht an sie gedacht. Nun, sie parirten auch, denn Respect haben sie, 's ist wahr. Allein nun schwatzt das fort wie die Waschweiber über Jene, über mich hinter meinem Rücken, und ich habe die Erinnerung wieder gekriegt, die der Satan holen möge! — Ihr liebt ja die Geschichten, Freiwilliger, fuhr er fort, und da dies nun eine ist und wir hier still für uns sitzen, mögt ihr sie haben.
Ralow, unterbrach der Angeredete den aufgeregten Alten, Alter, erzählt jetzt nicht. Ich bin, Gott weiß es, nicht aus Neugier zu Euch gekommen. — Nein, rief der Alte, die Geschichte will ich Euch erzählen! Ihr meintet vorhin, es thue nicht gut, wenn man einsam bleibe und bösen Gedanken nachlaufe. Gott straf' mich, das ist wahr! Ich bin einsam, und es ist ein trübseliger Zustand, den ich erst jetzt begreifen lerne. Nun hab' ich das alte Zeug da wieder im Kopf und kann es nicht los werden; es kriegt mich unter, es ist nicht für Einen allein, und darum sag' ich's Euch. Und eigentlich sollte ich bei Nacht erzählen, denn es ist teuflisch und nicht für den Tag. obgleich, da es sich begeben, die Sonne schien, klar wie jetzt, und der Himmel war, wie er da durch die Blätter schimmert. Das ist seltsam; wenn so was passirt, sollte sich der Himmel auch grau beziehen und Donner und Blitz ausgießen. Aber der kümmert sich nicht um der Erdenwürmer Leid und Glück. Nun, Kameraden, ich erzähl's euch jetzt bei Tag und Sonnenlicht, denn ich fürchte mich. Lacht nicht, ihr Herren, setzte er mit einem bösen Lächeln hinzu. Damals ward ich toll darob, und meine Seele lag in Finsterniß, und bei der wüsten Erinnerung ist mir jetzt oftmals so zu Muth, als könnte der Teufel noch einmal über mich regieren. Darum heraus damit!
Darauf zündete er eine Pfeife an, recht langsam und methodisch, als wolle er sich fassen, trank dann tief und bedächtig, strich mit der Spitze der Pfeife den
Schnurrbart links und rechts auseinander, und nachdem er auf seine beiden besorgten Zuhörer einen flüchtigen Blick gerichtet, warf er die Augen gedankenvoll in die Ferne und begann seine Erzählung.
Wie ihr wißt, bin ich nicht aus dieser verfluchten Sandbüchse, sondern von der See her, und mein Geburtsort ist ein Dorf am Strande, nicht über ein paar Meilen von S. Es ist von hier nur eine gute Tagereise entfernt, dennoch bin ich seit vierzig Jahren nicht mehr dort gewesen, und ich kann daher auch nicht sagen, wie das alte gute Nest sich jetzo anläßt. Damals aber war das Dorf reich und belebt. Es war voll von Schiffern und Matrosen, die so kühn und brav waren, wie irgend welche auf der Welt; denn die See dort ist eine heimtückische Creatur, jetzt wie Milch so glatt, und gleich darauf unter einem plötzlichen Windstoß aufbrausend und heulend, als säßen zehntausend Schock Teufel drin. Da sind Männer nöthig, wie es unsere Burschen waren. Viele fuhren mit den Schiffen der Kaufherren von S., Andere trieben Fischerei, Andere andere Geschäfte auf eigene Rechnung; denn es gab bei uns viel zu thun. Der Hafen des Dorfs war ausgesucht, bequemer als der zu S., wenn auch nicht so groß, und bei weitem nicht so leicht dem Versanden ausgesetzt. Deßhalb richteten denn auch manche Kaufleute bei uns Nebencomptoirs ein, andere brachten sogar ihr ganzes Geschäft herüber, denn die schweren Schiffe, die nach den Indien, nach Brasilienland und da herum fahren,
legten alle bei uns an. Es wohnten zwei oder drei Consuln bei ans, Häuser wurden gebaut, Speicher errichtet, Fabriken gegründet, und es gab viel Treiben und Verkehr. Allein es kam noch Anderes dazu, was eben so sehr zog als der gute Hafen und eigentlich auch eben so offenkundig war.
Wir hatten dazumal die Accise im Lande, und, da bei uns fast so viel Geschäfte gemacht wurden, wie sonst nur in Seestädten, begreiflicherweise auch im Ort. Und das war eine verdammte Einrichtung, streng und hart über alle Maßen; sie vertheuerte die doch nothwendigen Waaren ins Unerschwingliche und brachte uns in ihren Officianten eine Menschenklasse ins Land, die von vornherein wenig beliebt war und sich überdies noch mit aller Mühe verhaßt zu machen suchte. Die Folge dieser neumodischen Einrichtungen war ein unerhörter Schmuggel, denn entbehren konnte und wollte man die Waaren durchaus nicht, und die Zölle bezahlen wollte man noch viel weniger. So florirte der Schmuggel, und dazu war unser Ort der bequemste von der Welt, weil er ringsum offen war und, was sich einmal darin befand, dann ziemlich ungestört in alle Lande gehen konnte. Der Hafen war, wie gesagt, gut und tief, die Küste meilenweit schier unbewohnt und mit vielen guten Landungsplätzen versehen. So hatten denn die Beamten bei uns einen kaum erschwinglichen Dienst, Tag für Tag und Nacht für Nacht, und fast immer vergebens, denn schmuggeln that bei uns mit Ausnahme ihrer selbst
— und oft auch das nicht einmal — Alles, was so zu sagen Nase und Ohren hatte. Indessen ging das Alles noch gut, so lange unsere zwar derben, aber doch gutmüthigen Leute allein dabei beschäftigt waren, und mit Ausnahme einer gelegentlichen Balgerei, wobei es kaum mehr als schmerzende Köpfe und Rücken gab, hatten die Officianten wenig mehr zu dulden, als Worte und Geberden. Allein das änderte sich, als zur Zeit meiner Geburt etwa, vom steigenden Rufe unseres Orts gelockt, auch Kaufleute und Händler aus fremden Ländern sich bei uns ansiedelten und mit ihnen fremde Schiffer herzogen, die den Schmuggel von auswärts kannten und ihn auch hier bald in ihre Hände nahmen. Der ungeheure Gewinn zog mehr und mehr Leute herbei, wackere Schiffer, aber wilde Gesellen, die den Teufel nach einem Menschenleben fragten. Und ein solcher war Jan van der Kerken, wegen seiner schwarzen Haare und seiner dunkeln Gesichtsfarbe gemeiniglich der schwarze Holländer genannt.
Zuerst kam er mit einer Ladung verbotener Waaren, die er ans Land schaffte; dann blieb er, baute ein Haus, legte einen Lugger auf den Stapel und figurirte in den Büchern der Behörde als Führer eines Leichters, in der That als der erste und beste Schmuggler des Orts. Es ging bei ihm wie bei den andern Fremden, nur daß sich der Mann einen größern Ruf machte, als irgend Einer, und den Zollbeamten einen teufelmäßigen Haß, aber auch nicht weniger Furcht einflößte.
Es wird viel gelogen in der Welt, und was einer bat oder ist, dazu macht ihn das Geschwätz der Leute noch tausendmal mehr. So ist auch der Schwarze sicher nicht überall dabei gewesen, wo man es vermeint hat; es gab bei uns auch sonst Gesellen genug, die Tag und Nacht im Geschäft waren und artig mit Messer und Flinte zu spielen wußten. Allein der Jan sollte nun einmal die Hauptperson sein; denn die propersten Fanghunde mühten sich umsonst auf seiner Spur, und — das ist sicher — seit seiner Ankunft besonders verschwanden die Officianten wie die Fliegen im Herbst. Die Einzel- oder Doppelposten waren oft nach einer regnichten oder stürmischen Nacht fort; von den Detachements, die man darauf ausstellte und schickte, holte auch noch Manchen der Teufel. Und man brachte die Leute nicht mehr wie sonst nach Hause mit einem Loch im Kopf, worauf sie erst hübsch den Thäter nannten und starben, oder man fand sie nicht am nebligen Morgen auf ihrem Posten am Strande starr und kalt; nein, jetzt waren sie fort, spurlos, und Niemand wußte, wie ihr Ende gewesen, noch wo ihr Grab gegraben worden. Gott wolle den armen Seelen gnädig sein.
So ging es fort manches Jahr. Beweisen konnte man dem Jan nie etwas, denn er ließ sich nicht ein einzigmal ertappen und hatte keine Gehülfen; seinen Lugger führte er allein oder nur mit gelegentlicher Hülfe der Matrosen von fremden Schiffen, welche die Waaren für den Schmuggel brachten. Die Grünlinge
— so nannte man die Officianten ihrer Uniform wegen — haßten ihn ärger als die Pest, die Behörden waren ihm nicht grün, und lieben that ihn Keiner, wenn nicht die Weibsleute, die er schier alle mit einander im Sack hatte. Schon da er zu uns gekommen, war er kein Knabe mehr, und jetzt hatte er der Jahre und Mühseligkeiten noch manche dazu auf dem Rücken. Er war ein starker, knochiger Mann und nicht schön, von den Pocken zerrissen, vom Wetter gebräunt und zerschlagen; seine Augen schauten immer wild und finster, seine Sprache war hart und rauh; von seinem frühern Leben sagte man, daß er entweder mit Menschenfleisch gehandelt oder Seeräuberei getrieben in den fernen Gewässern; sein jetziges Treiben zog ihm den Ruf eines Hexenmeisters zu — und dennoch hatte er die Wahl unter den Dirnen — und seine Wahl traf meine Schwester.
Meine Alten mochten den Holländer nicht und verweigerten ihm die Tochter rundweg; da ging die Marie in das Haus desselben und erklärte, sie bleibe bei ihm so wie so. Um nun von so einem wilden Leben keine Schande für ihre ehrlichen grauen Haare zu haben, gaben die Eltern nach. Allein sie gingen nicht zur Schwester, und sie und ihr Mann kamen nicht zu uns, bis nach Jahr und Tag die Marie ihr erstes und emsiges Kind gebar. Am Tage der Taufe sah man meinen Alten zum erstenmal im Hause des Schwiegersohns, glücklich und erfreut über den derben Enkel; Marie war glückselig und flügg wie ein Bootswimpel; Jan,
da er den Jungen auf seinen Armen hielt, machte seinen ersten und letzten Versuch zu lachen und schnitt dabei eine Grimasse, als ob er Galle verschluckt hätte.
Zwei Jahre drauf schnürte ich mein Bündel und ging zum Regiment. Ich war nie ein sonderlicher Seefahrer gewesen, und seit wir mit dem Holländer so nah verbunden waren, fühlte ich beinah ein Grausen vor dem Leben. So machte ich mich fort, und als ich am nächsten Morgen im Quartier den letzten Staub der Heimath aus meiner Friesjacke klopfte, meinte ich damit nun auch all des wilden Zeugs los und ledig zu sein. Aber in der Höh' wird nicht nach Menschengedanken über uns beschlossen.
Mittlerweile verging manch liebes Jahr, bevor ich wieder einmal nach Hause kam, und dort machte mir nichts Lust, lange zu verweilen, so daß ich schneller in die Garnison zurückkehrte, als ich eigentlich im Sinn gehabt, und bevor noch mein Urlaub abgelaufen war. Dann dachte ich so wenig als möglich an meinen nächsten Besuch, bis mich endlich nach geraumer Zeit wieder einmal die Sehnsucht nach der See, nach Mutter und Schwester überkam und mich schier gegen meinen Willen hintrieb. Erfreuliches aber fand ich wenig oder gar nichts; der Ruf meines Schwagers verschlimmerte sich von Jahr zu Jahr, und in eben dem Maß stieg seine Grämlichkeit, sein rauhes, wildes, unleidliches Wesen. Meine Alte kreuzigte und segnete sich bei jedem Wort über ihn; meine Schwester war trübselig und fast eine
alte Frau geworden, seit Kummer und Sorge statt des Jubels der ersten Zeit bei ihr eingekehrt war, und das einzige frische Gesicht, das einzige leichte Herz hatte das Kind, der Knabe Rolof, ein Geschöpf so recht nach dem Herzen Gottes, wie ein Junge sein muß, frei und fröhlich, muthig und keck, kräftig und unermüdlich. Er war der einzige von Allen, der einigermaßen mit dem Vater umgehen und reden konnte; von ihm ließ sich dieser mehr gefallen als von irgend einem andern Menschenkinde, und ich habe es mehr als einmal gesehen, wie er mit einem gewissen Wohlgefallen auf den Jungen sah und von ihm sprach. Und dennoch, trotz dieser Liebe, wollte er ihn, der cantonpflichtig war, nicht freisprechen und als Matrosen ausschreiben lassen. Vergeblich rieth ich ihm bei jedem Besuch dazu, denn die See war des Jungen Wiege, Heimath und Leben. Thorheit! sagte der Jan in seiner breiten fremdländischen Sprachweise, es ist noch lange hin, bis seine Zeit kommt, und dann werden sie sich grausam irren, wenn sie ihn zu fassen denken. Ich thue den Bestien den Gefallen nicht, um etwas zu bitten, was sie mir abschlagen können und werden.
Indessen war die Zeit nicht mehr so fern, und als ich Anno Zwei wieder einmal daheim mich umsah, zählte Rolof bereits achtzehn Jahr und war ganz nahe bei der Aushebung. Und damals geschah's, daß der Junge mir das Herz stahl, rein weg, und sich selbst dafür in dieser Brust und in diesem Kopf festsetzte. Ich
habe alle Tage meines Lebens keine andere Liebschaft mehr gehabt, als allein ihn, einzig ihn auf der Welt, so weit mich auch mein Fuß getragen und meine Hand den Schlägel gerührt.
Aber es war auch ein prächtiger Bursche, und nie und nirgends hat Gottes Sonne einen bessern beschienen. Das sagte der ganze Ort, Haus bei Haus; das war immer das gleiche Wort, die ganze Küste entlang. Es war ein Junge, wie es deren nicht viel gegeben hat in der Welt, und wie unser Herrgott einen ähnlichen nur zur besondern Stunde zu schaffen pflegt. Ich habe nie einen Menschen gekannt, der ihm gleich kam, weder an Tüchtigkeit in seinem Geschäft, noch an Fröhlichkeit und Kühnheit des Herzens, noch an Freundlichkeit des Gemüths. Es war eine gesegnete Natur; was er angriff, das hatte Fug und Schick, was er unternahm, das gelang, was er that, das that er ganz, bis auf's Aeußerste, und Niemand wußte daran zu tadeln Und das kam, mein' ich, weil er zu all seinem Thun und Reden sein volles, wackeres Herz mitbrachte, die reine sichere Ueberzeugung, daß er im Recht sei und gut handle. Wo das der Fall ist, da mag der Mensch immerhin einmal irren, in des Allmächtigen Auge wird seine Schuld immer noch Gnade finden.
Ja, ihr hattet ihn sehen sollen, die feste und so schlanke Gestalt mit dem kleinen Kopf auf dem kräftigen Halse, wenn er geschmeidig und flink an den Tauen zu Mast ging; keine Eichkatze kann es schneller; oder
wenn er wie spielend das schwere Segel aufhißte, oder wenn er am Steuerbaum stand, kalt und besonnen, abermunter und leichtherzig, indeß die Brise ihn umheulte und die Wellen ihn mit Schaum übersprühten. Ihr hättet ihn sehen sollen, wie er bei Spiel und Tanz, bei Scherz und Tollheit der Erste war, wie er in jeder Gefahr voranging, immer mit gleichem Muth und gleicher Lustigkeit.
Ihr müßtet ihn einmal gehört haben, wenn er einen tollen Streich erzählte, von seinen Fahrten berichtete, ein Gespinnst abwickelte; denn auch seine Sprache, sein Erzählen war ganz besonders und anders, als ich bei andern Leuten unserer Gegend und unseres Standes jemals gefunden. Es war darin etwas so Wundersames und Fremdes, es war so einfach, und packte euch doch wieder bis ans Herz; es kam so prächtig einher, und machte doch euer Auge feucht. Woher er's hatte, ob aus sich selbst, oder aus der Tiefe der See, oder aus der Höhe des Himmels, wohin er stundenlang schauen konnte, wenn sein Lugger über das Meer glitt — das mag Gott wissen. Benennen und bezeichnen kann ich's euch nicht, aber es hat mich oft an die alten Reimereien und Lieder gemahnt, die man in meiner Jugendzeit noch vom jungen Volk Abends am Strande zuweilen singen hörte.
Ein Seemann war er mit Leib und Seele; das war mir schon willkommen, denn die Gaben der Menschheit sind verschieden. Allein er war auch natürlicherweise ein Schmuggler, und das wollte mir nimmermehr
gefallen. Er war ein lieber, lieber Bursch geworden, schloss sich an mich, den Oheim, herzinniglich an und that Alles, von dem er ahnte, dass es mir lieb und genehm sei. So sprach ich denn mit ihm von der Thorheit seines Geschäfts; ich suchte ihn zu bewegen, in die Ferne zu gehen, sein hiesiges Treiben aufzugeben und ein rechter, tüchtiger, ehrlicher Seemann zu werden. Aber da kam ich schön an. Ohm, sagte Rolof, ich thu's nicht, ich kann's nicht; ich geh' nicht von der Heimath und diesem Leben. Ich bin wie der Seeadler: wenn der nicht alle Tage sein Bad in der Flut und seinen Kamps hat, verkümmert er. Ich stürbe, wenn ich diese schläfrigen Fahrten am Bord eines Kauffahrers aushalten, Tag für Tag meine Erbsen mit Pöckelfleisch oder mein Pöckelfleisch mit Erbsen essen, Tag für Tag dasselbe erleben, thun, denken sollte. Es ist da ein Feuer in mir, das brennt und lodert, und wenn ich ihm keine Nahrung gebe, wird es mich selbst verbrennen. — So geh nach Holland, nach England, mahnte ich; überall ist Krieg, dein Vater kennt Leute genug, und es kann dir nicht fehlen, auf einem Orlogsschiff festzuwerden und zu avanciren; denn ich weiß, du toller Bursch, daß du vom rechten Holz bist, und ich habe dich lieb, du Knabe, und dir trau' ich Alles zu.
Er fiel mir um den Hals, und seine schwarzen Augen funkelten wie der Irrwisch so blank und lockend. Ohm, rief er, was sollt' ich da? Wißt Ihr nicht, daß der Adler ein stolzer Cumpan ist, dem's nur in freier
Lust behagt? Der läßt sich nicht einsperren und dressiren wie ein Jagdhund, er stößt sich lieber den Kopf am Gitter entzwei. Nein, wenn ich was gelten und schaffen soll, muß ich auf eigenen Füßen stehen, für mich und die Meinen frei wirken können. Selbst ist der Mann! das ist mein Spruch. — Und der taugt nichts, entgegnete ich, denn er ist eine Lüge, da du doch nie ohne andere Leute was zu Ende bringen kannst. — Gleichviel, versetzte er, ich gehe eben nicht, ich hänge an meinem Geschäft, ich mag nicht fern sein von den drei Alten und nicht — Er brach ab. — Aha! fiel ich lachend ein, liegt da der Hund? Ist also auch schon was Liebes da, Junge? — Warum berg' ich's Euch? gab er munter zur Antwort. Ja, es ist die Marie dort vom Landesend'. Wir sollen noch zwei Jahre warten; dann will mir der Alte sein Boot abtreten, daß ich mir selbst mein Brod verdienen kann.
Der Junge hatte keinen Übeln Geschmack, denn es war das properste und sauberste Weibsbild weit und breit, ein Geschöpf, dem man auch den ausländischen, französischen Vater ansah: ein schlanker Körper, ein geschmeidiger Wuchs, feine, aber nervige Glieder, bräunliche Farbe und schwarze Augen und Haare am kleinen Kopf. Nachher in Frankreich, da bei den Wallonen, hab' ich viele ihres Gleichen gefunden. Sie Paßte zum Rolof wie Fett zum Feuer, aber es
war ein herziges tolles Kind und Niemand wußte anders als Gutes von ihr.
Schon recht, sagte ich also, das mag so sein; 's sollte mich auch gewundert haben, wenn ihr Beide euch nicht getroffen. Also das Alles wollt ihr, und dennoch willst du dir den verdammten Freibrief nicht verschaffen? Du bist nun achtzehn Jahr, wie lange wird's währen und sie holen dich? Denn vergessen thun sie dich gewiß nicht, verlaß dich darauf! — Sie finden mich nicht, Ohm, versetzte er lachend, und wenn auch, sie kriegen mich nicht, dazu bin ich ihnen viel zu fix. Also, sprach ich ärgerlich, aus bloßem Hochmuth willst du kein gutes Wort geben und lieber dein Leben lang in Angst und Sorgen leben? — Bah, rief er, ich scheere mich um sie nicht so viel! Und ich bitte nimmer, wo ich weiß, daß es umsonst ist.
So plauderten und zankten wir eines schönen Nachmittags, da wir am Hafen auf einigen Ballen saßen. Es war vergeblich, was ich auch sagen mochte, und als gar nachher der Jan dazu kam und mit seiner gewöhnlichen Grobheit dazwischen fuhr, da war's ganz aus; die Galle stieg mir in den Kopf, und fuchswild rief ich endlich aus: So möge euch denn Beide der Teufel holen! Allein denkt an mich: übers Jahr marschirt der Bursch da nach meiner Trommel, so gewiß wir Drei hier beisammen sind. Aber dann werd' ich auch kein Erbarmen haben, sag' ich euch; denn solch ein Hochmuth ist mehr als sündlich, er ist
dumm, er muß böse Folgen haben, und was passirt, Jan, es komme über Euern Tollkopf. — Verdamm' Eure Augen! ja, über meinen Kopf! versetzte der Schwarze finster und drohend. Trag's schon und will sehen, wer mir entgegen ist. Damit schob er die Hände in die Hosen und ging an Bord. Rolof suchte mich zu begütigen, Mutter und Schwester baten, allein am folgenden Morgen brach ich auf. Ich war toll vor Wuth über die Dummheit dieser Bestie von Holländer und vor Angst über die Zukunft. Denn ich sah ja offenbar, daß es nicht gut werden konnte. Und ich liebte den Rolof, — ich liebte ihn!
Es verging ein Jahr und wieder eins, der Rolof kam nicht; aber ich vergaß jenes Abends nicht und auch nicht unserer Reden, obgleich mir die damaligen Begebnisse wenig Zeit zum Erinnern übrig ließen. Wenn ihr in den Zeitläuften bewandert seid, müßt ihr wissen, daß Anno fünf die Franzosen gegen Oesterreich und Rußland schlugen, und daß auch unsere Armee mobil gemacht wurde. Indessen kamen wir M—schen Musketiere nicht zum Heer, vielmehr wurden wir schon gegen Ansang Sommers von —g fort und nach und nach immer tiefer ins Land hinein verlegt, bis wir zum September in die hiesige Gegend rückten, wo sich ein kleines Observationscorps formiren sollte. Wir bekamen unsere Quartiere in dieser Stadt; der Major vom zweiten Bataillon hatte seine Wohnung im Hause da, und ich, als Stabstambour, wohnte
auch hier, und zwar in der Dachkammer, die jetzt die beiden Musketiere inne haben. Mittlerweile wurden wir eifrigst completirt — die Ruhr kostete uns viele Leute — Rekruten über Rekruten wurden eingestellt, bekamen fleißig ihre Hiebe, um desto schneller adrett zu werden, und Alles ging sauber vorwärts. Der Major war einer von der alten Sorte, hochmüthig wie der Teufel und scharf wie eine neue Striegel. Der ließ uns exerciren und den Dienst üben Tag für Tag, spät und früh, ohne uns zu Athem und Nachdenken kommen zu lassen. Hart war es, ja, aber der Dienst ging auch an der Schnur, wie ich es nie wieder gesehen habe. Und das ist denn doch die Hauptsache.
Eines Morgens hatten wir auch den Dienst geübt, dann den Appell abgehalten, darauf sah ich unsern Major mit dem Obersten, dann mit dem Capitän der fünften — meiner — Compagnie reden, und gleich nachher ward ich zu ihm gerufen. Gegen mich war er selten unfreundlich, und diesmal so wenig, als es ihm überhaupt möglich sein mochte. Hör' Er, Bursch, sagte er und zupfte mich gutgelaunt an der linken Seitenlocke. Er ist kein Thier wie die andern, sondern ein verläßlicher adretter Mensch, und wird so den Befehl, den ich Ihm gebe, ausführen. Da sitzt seit gestern Abend ein Kerl im Loch, aus Seinem Ort und kürzlich eingefangen. Die Canaille hat sich dem Dienst entziehen wollen, sich wie ein Bär gewehrt, den Unteroffizier vom Commando beinahe todtgeschlagen, eine Muskete
zerbrochen und sonstigen Unfug gemacht. Nun liegt er da wie 'ne wilde Katze, thut das Maul nicht auf, rührt weder Speise noch Trank an. Eigentlich müßten wir über ihn, und das nach der Regel, aber der Oberst will ihm zuerst zugeredet wissen, denn es ist ein schmucker, strammer Kerl, wie wir deren nie zu viel haben können. So geh Er denn hin und red' Er mit ihm, wie Er meint, daß es anschlägt. Von meinetwegen aber sag' Er dem Geschöpf, daß ich, wenn er bis morgen nicht manierlich und menschlich sei, über ihn will und ihn striegeln lassen, bis er so weich und sanft wird wie mein Handschuh.
Sehr wohl, versetzte ich gleichgültig, denn ähnliche Vorfälle kamen öfter vor, und mir war am Morgen der Kopf etwas confus, so daß ich nicht über den Weg hin dachte. So ging ich, kam in die Wache, ins Hundeloch, und da — ja da saß der Bursch auf der Erde, mit Ketten an Armen und Beinen, die Kleider zerrissen, das Haar zerrauft, das Gesicht voll Blut, die Augen fest geschlossen und die Zähne in den Lippen so fest und scharf, daß das Blut hervorschimmerte.
Da kam's über mich, da stieg mir das Blut zu Kopf und mich faßte eine schier unmenschliche Wuth. Ha, Canaille! schrie ich und faßte mit der Faust seine Schulter und schüttelte ihn wie ein Kind; ist's nun doch gekommen, wie ich dir und dem Satansalten immer gesagt? Ist doch der Hochmuth zu Fall gekommen, und seid ihr nun gebändigt wie die prahl-
hansigen Buben? Ja, du — morden könnt' ich dich, morden! Erst so groß und nun so klein! Wozu hat dir unser Herrgott denn einen gesunden, rechtschaffenen Verstand gegeben, daß du ihn so nichtswürdig verhunzen mußtest?
Ich weiß nicht mehr, was ich noch weiter sagte, ich hab' es nie gewußt, ich war toll, und als ich meine fünf Sinne endlich wieder fand, als ich ihn nun da vor mir sitzen sah, die Augen jetzt geöffnet und auf mich gerichtet — fest, ernsthaft, drohend, bittend, müd bis zum Sterben — Alles, was ein paar Augen sagen können, wenn der Wahnsinn um den Kopf freist, und nun gar seine Augen, Rolof's, den ich trotz alledem lieber hatte als mein Herzblut — als ich sein wackeres Aeußere so nichtswürdig wüst und verstört sah — da brach ich in helle Thränen aus. Ja, schaut mich an, wie ihr wollt, ich sag's und schäme mich dessen nicht, ich, der Ralow, der starke, gesetzte, vernünftige Kerl, ich weinte wie ein Weib, schier trostlos, und rang meine Hände und wußte mir nicht zu rathen noch zu helfen. Rolof! rief ich und fiel ihm um den Hals und herzte und hielt ihn, wie seine Mutter ihn nie herziger an ihre Brust, in ihren Arm gedrückt, Rolof, teuflischer Nichtsnutz, kommst du so zu mir und bringst meinen Augen solch ein Elend!
Ja, schaut mich nur an, Ohm, sagte er finster, und er weinte nicht; ich bin's, ich, der Rolof van der Kerken, Eurer Schwester Kind, der freie Mann, der
da vor Euch sitzt wie ein Verbrecher, zerschlagen, zerrauft, in Ketten, ja in Eisen, wie ein Meuterer, wie ein Hund. Und ich habe doch nur mein Recht gewahrt, meine Freiheit, mein Recht! — So? entgegnete ich, indem ich ihm ernsthaft und fest in die brennenden Augen schaute, also nun ist dein Recht geworden, was doch nur deine baare Thorheit war! Bist du nicht Unterthan des Staates? nicht cantonpflichtig? Willst du was voraus haben vor uns Andern? willst du neue Gesetze haben nur für dich? Knabe, man hört dir des Vaters tolle Schule an.
Er hatte seine Augen vor meinem Blick eine Minute gesenkt; aber da ich schwieg, hob er sie wieder auf, und wild sprach er: Neue Gesetze will ich nicht, ich will nur, daß, die da sind, auch für mich gelten so gut wie für Andere. Was haben die hohen Herren, die Edelleute, die Bürger vor uns voraus, die wir im Dorf wohnen statt in der Stadt, und in der Hütte statt im Schloß? Ich bin ein freier Mann so gut wie sie, und Keinem Unterthan, ich bin das einzige Kind meiner Eltern und ein Seemann so gut wie einer von den Prahlhänsen, und besser, obgleich ich nicht Jahre lang in der Nordsee umherlungerte. Und nun in Eisen!
Ja, meinte ich, nach deiner Manier zu reden hätte der Staat gar keine Soldaten, oder nur das zusammengelaufene Gesindel, wie es vor Zeiten gewesen ist. Und dann, mein' ich, hast du vergessen, daß
die Schuld an all dem Ungemach nur dein ist, denn das Gesetz erlaubt dir ja, einen Freibrief zu nehmen und deinem Willen zu folgen. Gieb nach, Rolof, gieb nach! Dein Unverstand war's und des Alten Tollheit, das ist's.
Die scharfen Brauen über seinen Augen berührten sich fast, als er aufsprang, daß seine Ketten rasselten, und mir antwortete: Und wenn dies das Gesetz ist, Ohm, so laßt es auch anwenden auf Alle, ohne Gunst, ohne Vorzug, ohne Falschheit. Was hilft mir das Gesetz, wenn ich weiß, daß es bei mir, für mich nicht gilt? Sie mir einen Freibrief geben! Sie dem Sohn meines Vaters! Oh! Schwefel und Feuer! Laßt mich lachen, Ohm! Sie, die sich lieber selbst verschlängen, als daß sie uns einen Gefallen thun, uns unser Recht geben sollten! Und Ihr sprecht von den Soldaten? Wenn der König, wenn der Staat Soldaten haben muß, so laßt ihn sie meinetwegen von den Hörigen nehmen, von den Leibeigenen, die es nirgends schlechter haben, als bei sich in ihren Löchern, und Gott danken, wenn sie davon können; oder er mag einstellen, die sich freiwillig melden, deren es immer noch genug geben wird; oder er soll uns nehmen, wie wir da sind, Edelmann, Bürger und Bauer, Hoch und Gering, Alle die fähig sind. Aber das geschieht nicht so. Es geht nach Rang und Stand, nach Glück, Gunst und Geld. Und nun, Ohm, was soll ich ihm? was geht mich der Staat an? was hat er mir ge-
geben, daß ich ihm zwanzig Jahre dienen und knechten, wie ein Hund mich dressiren und hudeln lassen soll, meine Jugend vergeuden, meine Kraft zu Grunde richten, all mein Glück und Leben verlieren dafür, daß er mich das Fleckchen Erde für mein gutes Geld erwerben läßt, wo ich mein Haus baue? Das ist bei Gott ein jüdischer Tausch! Und weil ich meine Freiheit wahrte, mein Recht — darum in Eisen!
So ging es immer fort. Ihr müßt nicht glauben, daß dies, was ich euch erzähle, Alles war; ich kann es euch nur nicht so wiedergeben, viel hab' ich auch vergessen. Vieles war darin, was falsch war und weit übertrieben und ganz lästerlich, aber eben so viel war auch gut und wahr, was auch mir schon durch den Kopf gegangen war, wenn ich einmal in müßigen Stunden an dies und das gedacht hatte, und was später oft gerade so gekommen ist, wie der arme Kerl es damals sagte. Und da stand er vor mir, so ganz hoch und stolz trotz Fesseln und Lumpen, daß mich darob eine ordentliche Ehrfurcht packte. Und es war doch nur ein junger, bartloser Bursch, meines Gleichen an Geburt und Rang, das heißt ein Nichts, ein tolles, wildes Geschöpf, das nie viel in die Bücher gesehen und kaum jemals die Schule besucht hatte. So war aber auch nur der Rolof.
Und es hilft dir Alles nichts, sagte ich endlich, und das Ende vom Liede ist, daß du nach meiner Trommel marschiren mußt. Das danke deinem Alten
und dir selbst! Eure Thorheit hat dich in die Suppe gebracht. — Da ward er plötzlich wieder starr und kalt wie zuerst; er trat zu mir, faßte meine Hände so fest, als wolle er sie zerdrücken, und sprach: Sei es drum, wir sind Schuld daran, es läßt sich nicht wegdisputiren. Aber, Ohm, was soll ich hier? was wollen sie mit mir? Es kann und kann nicht gut werden, denn ich kenne mich selbst. Dort auf der See bin ich so gut wie Einer und besser, hier auf dem Lande schlechter als der Schlechteste. Dort hätt' ich was nützen können, und hier kann ich nur schaden, mir selbst und Andern; dort war ich der Erste, und hier werd' ich der Letzte sein. Wer sein Leben lang Wind und Wasser geschluckt, der erstickt am Staube; wer auf den Planken gehen gelernt, der wird nie auf der harten Erde fortkommen. Und dann soll ich fort von der See, versteht Ihr das, Ohm? Versteht und fühlt Ihr denn auch, was das sagen will, wenn wir aus der Luft weg müssen in die Mauern, aus dem wilden, bunten Getreide und Gewoge der Flut in die lahme Alltäglichkeit des Landes, aus dem frischen und fröhlichen Geschäft des Seemanns, wo es immer zu wagen gilt, wo sich immer Gefahren finden, wo stets nur wenig zu gewinnen, aber Alles zu verlieren ist, von da weg, hieher in die Gleichförmigkeit und das Einerlei der Dressur und des Kamaschendienstes, kurz aus dem Leben in den Tod! Und daß ich fort muß aus der Freiheit in die Knechtschaft, nicht auf ein Jahr
oder auf zwei, auf drei — sondern auf fünfzehn, zwanzig, auf ein ganzes Menschenleben, fort von der See, von den Eltern, von dem Mädchen, von allem Glück, allen Aussichten und Hoffnungen, ohne Wiederkehr, auf immer und ewig! Denn das Ende von alle Dem erleb' ich nimmermehr. Und weil ich dagegen mich gewehrt, darum in Eisen! Ja, und ich selbst Schuld daran, ich, ich!
Da waren denn die Schleusen wieder gelöst, und es brach hervor wie ein Sturzbach, Jammer und Klagen, Flüche und Schmähungen, Drohen, Haß, Wuth und Erbitterung gegen sich selbst, Alles durcheinander, ohne Maß, ohne Ziel, unbeschreiblich und undenkbar. Und dann schüttelte er die Ketten mit einer mehr als menschlichen Gewalt, daß ich dachte, sie müßten wie Staub von ihm abfallen. Und dann stand er wieder da, trotz Fetzen, Blut und Schmutz noch immer der Rolof. Ich erbebe noch jetzt vor der Erinnerung, und damals saß ich wie zerbrochen, sinnlos, unfähig mich zu rühren oder zu fassen, mit dem einzigen Gedanken: das ist's, was ich fürchtete, was mich wüthend gemacht und zu Thränen gerührt hat. Ja, es war ein wilder Jammer, und der, und daß ich das Alles ja vorausgesehen, stieß mir schier das Herz ab.
Allmählich hatte Rolof sich denn doch ruhiger geredet, so daß auch ich wieder zu mir selbst und zu Gedanken kommen konnte. Von diesem Discurse mußte ich ihn abbringen, das sah ich wohl, und ich fragte
ihn daher, wie das Unglück sich begeben, wie er so tollköpfig jetzt in die Falle gegangen mit der See vor und seinem guten Schiff unter sich? Erst wollte oder konnte er noch nicht, da noch immer Anderes dazwischen kam; endlich aber gab er nach und sagte: Es ist weiter nichts Wunderbares dabei als meine Thorheit und mein Leichtsinn. Er erzählte darauf, wie er sich diese letzten Jahre hindurch wenig daheim aufgehalten, vielmehr meistentheils auswärts, in England und Holland gewesen sei, um eine Gelegenheit, eine Stelle zu suchen, wo er sein Brod verdienen könne. Was sich ihm jedoch dargeboten, habe ihm nicht recht gefallen, und er sei daher vor einigen Tagen unverrichteter Sache mit einem Schmuggler zurückgekehrt. Der Vater habe ihm von den inzwischen angestellten Nachforschungen gesagt; jetzt sei zwar Alles sicher, das Commando fort, allein er solle vorerst nur Abends ans Land kommen und zum Winter wieder abreisen. Zwei Tage lang sei es gut gegangen, am dritten Abend aber sei er bei des Obercontroleurs Hause angefallen worden, habe sich durchgeschlagen, sei jedoch verfolgt worden und im neuen Kampf unterlegen. Und da bin ich nun, Ohm, schloß er, in Eisen, in Eisen! Aber der Obercontroleur, der Hundsfott, wird es auch schmecken, was ein Eisen zu sagen hat. Das ist mein Trost.
Das ist unchristlich, Rolof, sagte ich, obgleich ich recht gut wußte, daß mein Reden doch vergebens und das Leben des Beamten keinen Dreier mehr werth war,
das ist unchristlich, Bursch. Vielleicht ist er an dem Streich unschuldig; denn Corporal Heinzel ist ein alter, geriebener, schlauer Vogel und ganz gut im Stande, dich ohne fremde Hülfe zu fangen. Dafür liegt er jetzt, erwiderte der Junge, und vergessen wird er mich nicht. Den Obercontroleur aber, den Hund, hab' ich erkannt trotz seiner Vermummung, und das hab' ich meinem Vater auch sagen lassen. Der soll ihn mir nun aufheben und bewahren wie sein Augenlicht, denn der Bursche ist mein, mein, und wehe dem, der Hand an ihn legt! Denn, Ohm, versteht mich, fuhr er fort und schüttelte seine Ketten wie rasend, wo die erst in ein Fleisch gehen, das ihrer nicht gewohnt und nicht für sie gewachsen ist, da hört Gott und Christlichkeit auf, und es regiert allein der Teufel. Ja — in Eisen, ich! Das vergess' ich nicht, und sollt' ich den jüngsten Tag erleben!
Ja, die Ketten! Die schnitten ihm nicht allein in Arm und Bein, sie waren ihm bis ans Leben, bis an die Seele gedrungen und hatten ihn, so zu sagen, ganz und gar umhüllt. Da konnte all mein Zureden nur vergeblich sein; das sah ich ein und schwieg daher still und ließ ihn reden. Aber da ich ihn nun allgemach ruhiger werden sah, begann ich jetzt von der nächsten Zeit zu sprechen, wie er sich drein ergeben und sein Schicksal tragen müsse wie ein Mann; ich stellte ihm das Soldatenleben, den Dienst, seine neuen Pflichten so gelind und gut vor, wie ich es nur immer konnte,
ohne offenbar zu lügen. Ich sagte ihm, an Freikommen sei zwar nicht zu denken, allein die Möglichkeit bleibe immer noch, daß der Oberst, der ihm augenscheinlich wohlwolle, in zwei oder drei Jahren ihn gehen lasse. Starrheit und Trotz helfe zu gar nichts, könne und müsse im Gegentheil sein Loos nur verschlimmern; wenn er sich dagegen ruhig und männlich in das einmal Geschehene finde, sich bereit erkläre, dem König als ein treuer und ehrlicher Soldat zu dienen, so verbürge ich mich, daß er, wo nicht heut Abend, doch am nächsten Morgen gewiß aus den Eisen und in kurzer Zeit auch aus dem Arrest komme. Nur sein ungeberdiges Betragen habe ihm das Alles zugezogen. Weiter sei nichts los, denn das Uebrige decke der Soldatenrock zu. Der Corporal sei nicht todt, und einen derben Schlag auf den Kopf kriege man bei dem Geschäft öfter. Der Corporal habe auch nichts zu sagen, denn Rolof komme zu meiner Compagnie, wo der Capitän mir wohlwolle, wo Feldwebel und Unteroffiziere mit mir alt geworden.
Die werden dir alle das Leben nicht sauer machen, schloß ich. Du wohnst bei mir, du hast meine Hülfe und Anleitung, und so müßt' es ja mit dem Teufel zugehen, wenn wir uns da nicht ein Leben herausdrechseln, daß selbst du darüber guten Muths wirst. Schlag ein, Rolof! ein bischen guten Willen und Vernunft und es wird besser als wir Beide dachten, und absonderlich kommst du aus den sakkermentischen Eisen
heraus. — Das ist es nicht, Ohm, sagte er und schüttelte den Kopf. Ob ich das Zeug da los werde oder noch trage, ist mir egal. Wo aber die einmal gesessen haben, und sei's nur so lange ein Ruder sich hebt, da thun die Knochen davon weh, bis sie verfault sind, und ich werd' es fühlen, so lange noch ein Gedanke in meinem Kopfe ist.
So sprachen wir hin und her, und als ich endlich aufbrach, war das Ende noch immer kein leidliches, geschweige denn ein gutes. Doch mußte ich wohl zufrieden sein, daß ich ihn zu einer gewissen Ruhe gebracht, daß er Speise und Trank nehmen wollte, daß der Unteroffizier der Wache für ihn zu sorgen, ihm für die Nacht ein menschliches Lager zu schaffen versprach. Ich hatte ihm wohl heiter und munter zugesprochen, allein mir selbst war bei Gott ganz anders zu Muth, und wenn ich an unsern Major und seine Rede dachte, war mir grausam bang. Geschehen mußte etwas, selbst von mir armen, geringen Kerl, und ich ging daher zum Capitän. Es war ein humaner Mann, nicht verheirathet, hübsch voll und breit, vor dem Feind ein Löwe, daheim ein guter Esser, noch besserer Trinker, und keiner Menschenseele Feind. Mir war er wohl gewogen, denn ich hatte ihm vor Zeiten einmal das Leben gerettet. Seine Fürsprache galt viel, und er war der Bruder unseres Obersten. Daher war von ihm das Beste zu hoffen.
Als ich zu ihm kam, wollte er gerade ausgehen,
ließ mich jedoch vor. Was giebt's? fragte er, hast du ein Gespenst gesehen, Ralow? Du siehst aus wie die Wand. Ich komme vom Arrestanten, Ew. Gnaden, versetzte ich. — So so, weiß schon, meinte er. Nun, was treibt der Tollkopf? Der scheint ja vom hellen Satan besessen. Giebt er sich? — Es ist mein Schwesterkind, Ew. Gnaden. — Was? rief er und warf den Hut ans den Tisch, dein Neffe! Armer Kerl! Komm her und erzähle mir das; die Gesellschaft kann warten. — Da ging mir das Herz auf, und ich schüttete ihm aus, was drin war. Er hörte mir schweigend zu, blieb zuweilen vor mir stehen, schüttelte den Kopf und ging wieder auf und ab. Bös! bös! murmelte er endlich, da ich schwieg. Wie kann der Kerl aber auch in seinem Verstände so von Gott und Menschen verlassen sein? Da giebt's nicht viel zu thun. An Freikommen ist nicht zu denken. Sprich mit dem Major und bitt' ihn, daß du auch mit dem Obersten reden darfst. Bei dem will ich heut Abend ein Wort für dich einlegen. Aus den Ketten soll er heraus, das versprech' ich dir, denn ich kann mir denken, daß solche Dinger einem reputirlichen Kerl wehe thun. Geh und thu wie ich gesagt, und ich will's auch thun. — Wollte Gott, er wäre weniger gutmüthig und wacker gewesen, nicht von oben bis unten die lebendige Ehre. Bei einem andern Capitän — und es gab deren damals mehr als einen — hätte ein gut Stück Geld die Sache nach unsern Wünschen zurecht gelegt. Hier war es damit nichts. Ich dankte und machte mich
fort. Beim Major fand ich noch weniger Trost; er blieb bei seiner Drohung vom Morgen, ohne sich auf etwas Weiteres einzulassen.
Am folgenden Morgen warf ich mich in meine beste Uniform, ging nach der Wache und besuchte den armen Jungen. Gestern Abend noch waren ihm auf des Obersten Befehl die Ketten abgenommen worden; er hatte sich gereinigt und seinen zerrissenen Anzug so gut wie möglich wieder hergestellt; die Nahrung, der Schlaf, die Ruhe, die auf das lange Gespräch mit mir, auf die Abnahme der Eisen gefolgt war, alles das hatte ihm gut gethan und ihn sichtbar zu einem ganz andern Menschen gemacht. Von Nachgeben jedoch, von freiwilligem Eintreten war noch immer keine Rede. Das kümmerte mich aber wenig, und als es mir Zeit schien, ging ich zum Obersten, um noch einmal zu versuchen, ob ich ihn nicht ganz herausbringen und zu seinem Geschäft zurückschicken könne. Dabei stand mir freilich im Wege, daß ich all mein Lebtag nicht recht zu bitten verstanden habe; wenn ich die Sache dargestellt hatte, war es aus, sei es daß Abschlag oder Bewilligung darauf erfolgte. Ich bin nicht anders erzogen.
Der Oberst war ein alter Mann, wohl an die zwanzig Jahre älter als sein Bruder, der Capitän, und so lange ich ihn gesehen, immer still und ernst; allein es ging das Gerücht von ihm, daß er vor Zeiten einer der wildesten Tollköpfe der Armee und ein ausnehmender Liebling des alten Seeblitz gewesen. In
Folge dessen mochte es nun geschehen, daß er an recht ausgesuchten Streichen, wenn sie nur nicht unmittelbar gegen den Dienst und seine Vorschriften waren, noch immer Vergnügen fand und einem Menschen, der so oder so, aber auf gute Manier, sich vor den andern gewöhnlichen auszeichnete, so viel wie möglich nachzusehen Pflegte. Darauf baute ich also, denn der Rolof war ja wie schier kein ander Menschenkind, und der Oberst wußte auch bereits von ihm.
Als ich eintrat, saß er auf dem Canapee und las in den Zeitungen; wie er mich aber sah, stand er auf, knöpfte seine Uniform zu und kam auf mich los, die lange hagere Figur nachlässig vornübergebeugt und den Hut auf dem Kopf, wie er gewöhnlich zu thun pflegte, so lange er gut aufgelegt war. Er ist der Tambour Ralow von der fünften Compagnie? fragte er mich. — Zu Befehl, sagte ich. — Wie lange hat Er gedient? — Bald zwanzig Jahr. — Er will mit mir wegen seines Neffen, des Burschen sprechen, der die heillosen Streiche gemacht hat? Sein Hauptmann hat mir von euch Beiden gesagt. Erzähl' Er mir davon, Tambour, fuhr er fort und blitzte mich dabei immer mit seinen großen braunen Augen an, daß es mir ganz heiß wurde; denn dazumal war so ein Commandeur kein Mensch wie unser einer, sondern hundertmal größer, und er flößte uns mehr Respect ein, als seine Majestät der König selber.
Allein das half nun einmal nicht, geredet mußte
sein, und so faßte ich mir ein Herz und erzählte Alles rundweg von des Rolof Leben und Treiben, von seinem Wesen und seiner Natur, von meiner Liebe zu ihm und meinem Rath, von seiner Tollheit, seinen ingrimmigen Reden. Ich verschwieg kein Sterbenswort von dem, was ich noch wußte, und das war eigentlich das Ganze, weil mein Gedächtniß von jeher gut und firm gewesen. Hier könnte das Lächerlichste nicht schaden, meinte ich, und beim Kampf, den er vor seiner Gefangennahme bestanden, ließ ich keinen Schlag aus, keinen Sprung, nichts.
Der Oberst ging immer ganz still im Zimmer auf und ab, die Hände auf den Rücken gelegt, blieb bald vor mir stehen, blitzte mich bald lächelnd an und fragte: Hat er das gesagt, gethan? bald nickte er nur mit dem Kopf, daß der lange Zopf wackelte, und sprach: Das ist entschieden ein Mensch von Seele! ein Mensch von Seele! — Das hat er wohl an die zehn oder zwölfmal gesagt, und daher erinnere ich mich daran, obgleich ich es nicht recht verstehe und nur für ein rechtes Lob genommen habe. Endlich, da ich fertig war und schwieg, kam er auf mich zu, klopfte mir auf die Schulter und sagte: Na, wer das so schmuck und fließend erzählt, der denkt wohl am Ende eben so? — Ich war bis zum Tode erschrocken und stammelte nur: Ew. Gnaden — — Na, laß Er's gut sein, Ralow, fuhr er lachend fort, es mißfällt mir nicht. Hör' Er einmal, Sein Neffe ist ein ganzer Kerl und ein charmanter Kopf;
wie kann der sich mit einem so schlechten, schmählichen Geschäft abgeben, wie das Schmuggeln ist! Das ist ja doch nur Diebstahl und Betrug. — Halten zu Gnaden, Herr Oberst, versetzte ich, dort zu Lande gilt es nicht dafür, und Schmuggler sind sie alle mehr oder minder. — — Aber der Bursch ist auch nicht wie sie Alle! rief er, au contraire, zeig' Er mir unter all den Bullenköpfen aus Seiner Heimath nur noch Einen wie den! Kurz, das muß der Kerl bleiben lassen, und daher ist es gewissermaßen gut, daß er in Dienst und in ein reguläres, gesetzliches Leben kommt. Ich thät' gern was für ihn, aber frei lassen kann und will ich ihn nicht; er kann Ehre bei uns einlegen, der Bursch, muß sich nur seine unsaubere Hantierung aus dem Köpf schlagen und auch die Hochzeitsmücken, und wird zuerst ein guter Soldat und nach einigen Jahren ein guter Mensch werden. Lange will ich ihn nicht festhalten; weder sein Leben, noch sein Beruf soll verloren gehen.
Halten zu Gnaden, Herr Oberst, sagte ich, allein ich muß bemerken, daß der Junge von Kindesbeinen an nicht an das Land gewöhnt war und Zeit seines Lebens nicht marschiren lernt. — Dummes Zeug, Tambour! gab er mir ernsthaft zur Antwort, was weiß Er davon? Wer in einem Beruf tüchtig und sonst kein Thor ist, der wird überall kein Nichtsnutz werden. — Aber, meinte ich wieder, denn in dem langen Gespräch war ich allmählich ganz frei und dreist geworden, der Bursch fürchtet sich am meisten,
weil der Dienst alle Tage derselbe und einerlei ist, weil es nicht bunt durch ebene See, durch Sturm und Gefahr geht, wie sein Boot. — Ja, erwiderte er lächelnd, meint Er's so? Das ist entschieden mein Mann! Aber er kann sich trösten, denn so Gott will, werden wir es bald wieder einmal bunt genug haben, bunter als er es vielleicht mag. Ich will ihn sehen, Ralow, schloß er, und ihn selbst sprechen. Nehm' Er die Ordonnanz mit und hol' er ihn von der Wache hieher.
Wir gingen und holten den Burschen, der kalt und gleichgültig gegen die Ehre blieb, die ihm widerfuhr, und meinen Rath in Betreff seines Redens und Benehmens schweigend hinnahm. Als wir eintraten, ließ ihn der Commandeur, der wieder saß, herantreten und betrachtete ihn, wie mir schien, nicht unzufrieden von oben bis unten. Rolof sah ihm auch wieder keck in die Augen und zuckte und zagte nicht. Das ist Sein Neffe, Ralow? fragte endlich der Oberst, und der hat den Corporal beinahe todtgeschlagen? Aber es ist ja ein Kind, ein reines Kind. Tambour, Er kann abtreten, ich will allein mit ihm reden.
So trollte ich mich und saß draußen auf dem Treppengeländer in Herzensangst. Was Die mit einander verhandelten, hab' ich nimmer erfahren, allein es dauerte beinahe zwei Stunden lang. Drauf kam der Junge heraus, zwar noch immer trübselig, aber doch nicht mehr so kalt und hart. Die Ordonnanz
brachte mir den Bescheid, es sei Alles in Ordnung und ich möge ihn jetzt nach der Wache zurückbringen. Unterwegs sagte er: Es ist vorbei, Ohm, ich trete also in Dienst. — Das waren seine einzigen Worte, und ich erfuhr weiter nichts, mochte ihn auch nicht fragen. Am Nachmittag kam er aus dem Arrest, ward meiner Compagnie zugetheilt, am andern Morgen eingekleidet, am Tage darauf mußte er schwören, und vom nächsten Montag an exercirte er mit den andern Rekruten. So war die Geschichte denn wie hundert andere, nur mit einem andern Anfang, der freilich nur Wenigen bekannt war; daher ward auch nicht viel davon geredet, und nur unser Major hatte den ersten Mittag auf der Parade gemeint, man mache so viel Umstände mit dem Racker, als ob's ein Junker und nicht eben nur ein Racker wäre. Nun, das war so seine Art, und ich nahm's ihm weiter nicht übel, durft' es auch nicht einmal.
Es begann nun eine Zeit, von der ich nur wenig zu sagen weiß. Sie verfloß, wie sie immer bei gewöhnlichem, wenn auch strengem Dienst vergeht, in den täglichen Uebungen, Sorgen und Unterhaltungen. Mit dem Rolof ging es ganz gut. Ich hatte, wie ihr euch denken könnt, mit seinen nähern Vorgesetzten, dem Feldwebel, den Unteroffizieren und Corporalen ein Wort gesprochen, und die Folge davon war, daß sie ihn zwar recht tüchtig, aber doch weniger rauh vornahmen, als es sonst zu der Zeit bei unsern Rekruten
der Fall zu sein pflegte. Und der Rolof war ja auch ein wundersames Menschenkind, bei dem es keines herben Wortes, geschweige denn einer handgreiflichen Erinnerung an seine Pflicht bedurfte. Schritt, Tritt und Wendung, Schließen und Richten schienen ihm angeboren und nur ein bischen vergessen; die Griffe mit dem Gewehr, Laden und Schießen nach militärischen Regeln lernte er spielend und war endlich in kürzerer Frist, als man jemals gehört, mit Allem fertig. Am Tage, da er ins Regiment eingestellt wurde, war er der schmuckste Kerl, den ich in meinem Leben gesehen, Donnerwetter! sauber und zierlich wie eine Puppe, wie aus dem Ei geschält. Alles saß wie gegossen, ohne daß er sich Mühe dabei gegeben, es flimmerte und blitzte, ohne daß er auch nur zur Hälfte so viel geputzt, wie ein Anderer. Dafür waren auch seine Vorgesetzten zufrieden mit ihm, vom Corporal an, der ganz behaglich lächelte, bis zum Capitän, der ihn den schmucksten Kerl im Regiment nannte. Der Major freilich sagte kein Wort bei seiner Inspection, der Oberst aber befahl, ihn, wenn er sich gut führe, zu Ostern als Ordonnanz bei ihm zu commandiren. Da ward der Rolof roth vor Vergnügen, und ich hätte bald einen Satz vor Freude gemacht, denn zu Ordonnanzen wurden nur die besten Leute, und zwar besonders die genommen, die bald beurlaubt oder entlassen werden sollten. Kurz, der Blitzjunge hatte auch hier Alle im Sack und das Glück dazu.
Der Tag ging eben so lustig zu Ende, wie er begonnen, denn ich hatte ihm an dem Abend einen Schmaus angerichtet, wo wir so ein Dutzend halb lustiger, halb doch respectabler Gesellen zusammen waren. Und der Rolof war, wie man sagt, unsere Seele. Denn auch seine Heiterkeit schien er in den zwei oder drei Monaten allmählich wieder gefunden zu haben und brachte nun Alle damit auf die Beine. Er war voller Einfälle und Streiche, doch waren weder böse noch dumme dabei, er lachte, er neckte, er trödelte und tollte, er that seinen Dienst wie einen Zeitvertreib und war der Liebling Aller, der Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten. Nur zuweilen, wenn wir in der Dämmerung einmal vor unserem kleinen Ofen saßen, einsam und schweigend, da man nicht immer Gesellschaft hat und nicht immer reden kann, wenn dann die kleinen Torfflammen bläulich durcheinander schlüpften und zuckten und von draußen die Sterne durch die gefrorenen Fenster flitterten, da kam's denn wohl einmal über ihn mit Trübsinn und Heimweh. Sobald das aber geschah — und ich merkte es gleich, da ich ihn selten aus den Augen und nie aus dem Kopfe verlor — fuhr ich mit diesem und dem schnell dazwischen und ließ nicht nach, bis ich den Erinnerungsteufel wohl oder übel ausgetrieben hatte. Schlimmer war es noch, als er einigemal Bekannte, vielleicht Schmuggelgenossen, aus unserer Heimat traf, die sich wie Kletten an ihn hingen. Allein er sagte mir
ehrlich selbst zuerst davon, und ich brachte ihn unschwer dazu, sie laufen zu lassen. Das Uebelste fürchtete ich erst vom Frühjahr, wenn das Wetter aufgeht und die Schifffahrt beginnt; denn so ein regulärer Seehund fern von der See ist wie ein Zugvogel in Gefangenschaft: sie merken beide ihre Zeit. Allein ich hoffte auch, daß wir dann aufbrechen, tiefer ins Land ziehen und ihm so seine Grillen vertrieben würden.
So verging die Zeit, und wir waren bereits in den letzten Januartagen des Jahres 1806. Der Winter war bis dahin scharf gewesen, der Schnee gehäuft, und der Frost hatte, ohne auszusetzen, seit Monaten die Erde gehärtet und den Fluß mit fester Decke belegt. Nun aber sprang das Wetter mit einemmal um, es gab ein Paar trübe Tage mit lauem Wind aus Südwest und warmem Regen, der Schnee ging weg wie geleckt, das Eis begann zu knacken, und das Wasser stand hoch darüber. Am nächsten Tag war es Frühlingswetter, es thaute mit Macht, dabei war der Himmel blau, die Sonne strahlend, und Baum und Gesträuch schauten so lustig drein, als ob sie jeden Augenblick die Knospen herausschicken möchten. Ihr seht mich an und wundert euch, weil ich das noch so genau weiß. Aber ich weiß auch noch das Datum, ihr Herren, und es hat nicht den Anschein, als ob ich's je vergessen werde. Es war am siebenundzwanzigsten Januar und, wo ich nicht irre, ein Montag.
Als wir, der Rolof und ich, am Morgen jenes
Tages aus unsern Betten stiegen, trat er ans Fenster, das ihr dort durch die Bäume sehet, und es aufmachend schaute er wie gewöhnlich hinaus. Das wird ein gesegneter Tag, sagte er; kommt und schaut hinaus, Ohm, es ist wie Frühling. Bei dem Wetter ist die See in acht Tagen auf, und es kann wieder los gehen. — Ja, ja, versetzte ich eifrig, und auch wir können marschiren; ich denke, es gibt so einen kleinen Krieg mit dem Bonapart auf den Sommer. — Gott geb's! entgegnete er, und so plauderten wir fort, bis es Zeit ward, uns für den Dienst anzuziehen. Als ich gerade die Uniform vom Nagel nehme, thut sich die Thüre auf, und der Unteroffizier vom Dienst, der mein guter Freund war, langt einen Brief aus unserer Heimat an Rolof herein, den ersten und letzten, den er je empfangen. Er war von seiner Braut, die ein fixes Ding war und von guten Schulkenntnissen. Geschriebene Schrift konnten wir Beide aber nicht lesen und eilten daher zu unserem Wirth, der uns das Schreiben nun vorlesen mußte. Ihr könnt euch denken, wie uns ward, da wir vernahmen, vor einigen Tagen habe man am Morgen auf dem Holzplatz, wo man den Rolof gefangen, eine Art Gerüst aus Stangen und Balken gesehen und daran habe die Leiche des Obercontroleurs gebaumelt. Man habe zwar an den Jan als Thäter gedacht, allein der sei damals gerade in S. gewesen und eben erst zurückgekehrt. Uebrigens
seien Alle traurig um den Rolof, möchten ihn sehen, und was sonst solch ein Brief zu sagen pflegt.
Als er den Tod des Elenden vernahm, der ihn verrathen, hörte ich seine Zähne knirschen, und das Blut stieg in seine Stirne wie im Sturm; aber er schwieg, ward immer stiller, und erst da ich, wieder droben bei uns, sagte: Das ist doch ein grausam Ding! meinte er: Nun, es ist wohl verdient, aber ich wollte, daß sie das Gewürm für mich aufgespart hätten. Dann legte er sich weit aus dem Fenster, als wollt' er Stirn und Brust kühlen. Nach einiger Zeit sagte er wieder, ohne sich umzuwenden: Was das arme Herz so wehmüthig schreibt! Man fühlt es den Worten ab, daß ihr Kopf schwer von Thränen ist. Ja, wann wir uns wohl wiedersehen werden! Und was sie so hübsch und accurat zu malen weiß! Ich sehe die „Seerose“ wirklich vor mir mit ihren schlanken Stängen und die Segel ausgeschüttet zum Abtrocknen. Weiß Gott, mein Schiff! du wirst dich auch nach mir umsehen, wenn es in acht Tagen davongeht. Aber der Rolof nimmt sein Gewehr, fuhr er fort, indem er das Gesagte auch that und dabei hell auflachte, und spaziert auf die Wache.
Mein Herz bebte bei seinen Worten, denn es schwante mir, der Junge möge einen unseligen Entschluß fassen. Rolof! sprach ich und packte ihn am Arm, da er fortgehen wollte, weißt du noch, daß du deinem König Treue geschworen hast und an die Fahne
gebunden bist? Er sah mich groß an und schüttelte lachend den Kopf. Was fällt Euch ein, Ohm? fragte er. Leider ist es so, und darum bleib' ich auch. Ohne meinen Schwur wär' ich lange fort. — So geh! sagte ich, und mich reuten nun die verdammten, voreiligen Worte; es ist Zeit, Bursch! — Und er ging; er that an dem Tage seine vierte Wache.
Nachher sah ich ihn in Reih' und Glied so schmuck wie immer; Nachmittags, da ich ihn einen Augenblick lang sprach, war er voll guter Laune. Da wünscht' ich ihm gute Wache und ging meiner Wege. Damals hatte die Stadt noch ihre Festungswerke, aber sie waren bereits in argem Verfall und wurden weiter nicht besetzt, als daß man in der sogenannten Sternbastion einen Posten aufstellte, weil die Zolldefraudanten gemeiniglich dort ihren Weg in die Stadt zu suchen pflegten. Schaut dorthin, wo jetzt die Boscage mit den drei Pappeln in der Mitte ist, da war die Sternschanze, und da stand der Rolof damals auf Posten.
Gegen Abend drehte sich der Wind mehr und mehr nach Osten, die Lust blieb gleich angenehm wie am Tage, aber der Himmel bezog sich, und da ich gegen neun Uhr nach Hause ging, war es eine Finsterniß, daß man sie greifen konnte. Ich schlief wenig, da mir der Rolof, Gott weiß weßhalb, fortwährend im Kopfe lag. Gegen vier Uhr hörte ich einen Alarmschuß. Da sprang ich steil aus dem Bett, in die Kleider, die Treppen hinab, nach der Wache. Was ist los? fragte
ich. Geht nach der Sternbastion, sagte mir der Unteroffizier. Ich lief. Dort fand ich den Offizier du Jour, die Runde, fluchend und wetternd vor dem Schilderhaus, in dem des Rolof's Muskete und Riemzeug, Montur und Hut lag. Und der Rolof, mein Schwesterkind? schrie ich heranstürzend und das Zeug auseinander reißend, als ob er noch darunter stecke. Nun, was wird's sein? murrte der Offizier, desertirt ist der Hund! Aber wir wollen's ihm anstreichen! Scheer' Er sich in sein Quartier, Tambour! Was hat Er hier zu suchen?
Herr Jesus! Herr Jesus! summte ich vor mich hin und taumelte davon wie ein Trunkener; mir war Hören und Sehen vergangen, und ich weiß nicht, was mit mir geschah. Am folgenden Morgen erst fand ich mich wieder, auf der Treppe zu meiner Stube sitzend. Da biß ich die Zähne zusammen und that, was ich zu thun hatte. Ich weiß noch Alles, was es gab, ich meine, daß ich fast Stunde für Stunde erzählen könnte, was ich dachte, was ich trieb, wo ich ging, stand und saß; denn eine solche Zeit und solch ein Elend fressen sich wie Aetzwasser in das Gedächtniß ein, daß es euch nicht einen einzigen Punkt schenkt. Doch davon erzählen mag ich nicht. Für mich war und ist, was ich damals fühlte, so ganz ungeheuer, und ihr würdet jetzt dabei vielleicht über den alten Kerl lachen, der so ein Wesen aus — Nichts macht. Denn was war es denn am Ende? Seit ich im Dienst war, hatten sich so viele
Kerle davongemacht, daß man aus ihnen ein neues Bataillon hätte formiren können. Aber was gingen mich Die an? Nichts! Und wenn wir sie wieder kriegten, rührte ich meine Trommel gleichgültig zum Gassenlaufen. Aber nun war es der Rolof — und Der durch die Gasse! Herr mein Gott! ich konnte davon nicht loskommen, nicht eine Minute, wenn ich wachte, nicht einen Augenblick, wenn ich einmal einnickte.
Am Abend des achten Tages nach seiner Desertion saß ich wie gewöhnlich in jenen Tagen auf meinem Posten am Seethor und wartete, diesmal nicht vergebens. Gegen Dunkelwerden kam ein offener Bauerwagen mit Stroh herangefahren; darin lag der Rolof, auch wieder in Ketten, voll Schmutz und Blut, Arm und Kopf in Binden. Vorn und hinten saßen ein Unteroffizier und drei Mann Füsiliere, die Gewehre zwischen den Knieen, den Hahn gespannt. Da der Thorposten ihnen sagte, wie es mit uns Beiden wäre, ließen sie mich herantreten, während der Wagen einen Augenblick anhielt. Als ich den Unglücklichen so vor mir sah, dachte ich wieder weinen zu müssen; die Thränen waren auch da, sie wollten aber nicht heraus, und unser Herrgott weiß es und ich auch, es sind nicht die beißendsten Zähren, die aus den Augen fließen.
Rolof — sagte ich, und weiter ging es nimmermehr. Er schlug die Augen auf, sah mich an, bewegte leise den Kopf und sprach: Wieder da, Ohm. Und das war auch das Ganze. Es rührte sich kein Muskel in
seinem eisenharten Gesicht, und zum erstenmal merkt' ich's, daß er seinem Vater ähnlich sah, freilich wie ein Laub im Frühjahr, wo's noch frisch und grün ist, dem alten, das der Herbst dürr und grau gemacht hat. — Indem fuhr der Wagen weiter zur Wache, ich ging stumpfsinnig hinterdrein, drückte ihm, da er heruntergehoben und hineingeführt wurde, noch die Hand, und dann durft' ich ihn nicht weiter sehen. Denn er war kein Deserteur allein, er war auch ein Verbrecher, und ich will euch gleich sagen, wie das gekommen, und wie ich es am Abend vom Unteroffizier seiner Begleitung und nachher von ihm selbst erfahren habe.
Einige Zeit vor diesem Elend hatte man, was man längst hätte thun sollen, eine Compagnie Füsiliere nach unserer Heimath gelegt, da die Steuerbedienten dem Schmuggel nicht mehr wehren konnten und sich auch kaum noch Leute finden mochten, die willig dorthin in ihren offenbaren Tod gingen. Dann war Alles eine Zeitlang still gewesen, sei es des Militärs, sei es des starken Eises wegen. Endlich aber fand man den Obercontroleur am Galgen; am Tage drauf kehrte der Jan zurück und am Abend erschien mit dem dort früher beginnenden Thauwetter ein Schiff, welches sich so weit wie möglich in das Eis hinein schob und sein Signal gab. Zu Boot konnten die Schmuggler nicht hinaus, aber sie nahmen Schlitten und kamen gegen zwei Uhr Nachts mit voller Ladung zurück, unter Anführung des Jan, der schon seit Rolof's Gefangennehmung seine alte
Vorsicht nicht mehr ganz anwendete. Sie wurden entdeckt, angegriffen und unterlagen endlich nach einem schweren Kampf, der die engen Straßen mit Todten und Verwundeten füllte. Unter den letzteren war auch der Jan, den man meiner Schwester beinah schon kalt ins Haus brachte, wo er denn keine Stunde darauf starb. So fand Der seinen Lohn. Er hat das Ende reichlich verdient, und wär's auch nur um seinen Sohn, den er ganz auf dem Gewissen hatte.
Da wissen die Weiber nicht was zu thun. Sie schicken einen Boten ab, um das Unglück uns anzuzeigen und uns zu Rath und Hülfe herbeizuholen. Der Bursch, den sie senden, ist Rolof's Kamerad und denkt, es sei besser, wenn er den Jungen allein mit uns später ganz davon bringen könne. Da er spät Abends hier anlangt und einen Soldaten nach Rolof van der Kerken fragt, muß Der zu allem Unglück antworten: Den sprecht Ihr heut nicht, er schildert in der Sternbastion. — Hei! denkt der Bursch, das trifft sich gut, macht sich hin und braucht nur ein Wort zu sagen, und der Rolof ist Feuer und Flamme, und sie gehn auf und davon.
Als er nun gegen die Nacht ins Haus sprang, fand er den Sarg des Alten mitten im Zimmer auf den Stühlen aufgestellt und die Weibsleute umher blaß und heulend. Allein zum Fragen und Reden war wenig Zeit; denn kaum hatte er der aufschreienden Mutter und Liebsten von seiner Desertion gesagt und daß er
sogleich wieder weiter müsse, so horten sie auch schon die Schläge an der Thür, die der Bursch zum Glück noch ins Schloß geworfen. Am Morgen schon war der Courier angelangt, den man ihm von hier nachgesendet. Das Haus war bewacht, den Hereinschleichenden hatten trotz des Dunkels zwanzig Augen gesehen. Da sind sie! schreit seine Mutter. Aufs Eis! aufs Eis! ruft die Marie und schleppt ihn fast zum Hinterfenster. Allein dort stehen Wachen. Sie stürzen nach der Seite, wo der kleine Hof zwischen diesem und dem Nachbarshause gegen Straße und Garten von hoher Bretterwand umschlossen ist; da steigen die Soldaten eben herüber. Sie eilen in den verborgenen Raum, wo der Jan die Schmugglerwaaren aufstellte; da bricht die Thür unter den Stößen, und ein ganzer Haufe quillt herein, voran der Capitän der Compagnie.
Ich fliehe nicht! schreit Rolof, stößt die aufkreischenden Weiber zurück und reißt des Jan doppelläufige Büchse von der Wand, an den Kopf. Zurück, oder ihr seid des Todes! — Herunter mit der Büchse! ruft der Capitän vorspringend; ich bin dein Vorgesetzter, du Hund, und befehle dir dich zu ergeben! — Nein! ruft ihm der Junge entgegen und drückt ab; der eine Schuß trifft den Offizier ins Herz, der andere wirft einen Soldaten nieder. Sie prallen zurück, sie lassen ihm Zeit die Büchse hinzuwerfen, den schweren Schiffssäbel und eine Pistole von den Nägeln zu reißen. Schießend und hauend fährt er auf sie, in sie hinein,
treibt sie zurück, dringt durch die Thür auf die Straße, wüthet wie der eingefleischte Teufel immer weiter, achtet nicht der Stiche, der Stöße und Schläge, die von allen Seiten auf ihn hageln, nicht des Bluts, des eigenen und fremden, das ihn dampfend umspritzt. Er, der eine junge Kerl, schlägt sich gegen zehn, zwanzig, dreißig, gegen die ganze Compagnie, was weiß ich! Er jagt sie beinah in die Flucht, denn rund herum drängen sie sich, wehren sie sich, verletzen sich selbst, und die Haare steigen ihnen zu Berge, denn er rast, er ist wahnsinnig, ja; aber er ist ein Held, ein Held! Er allein, er allein, je länger, desto kräftiger, immer weiter durch die Masse, über Leichen, durch das Blut — Jesus! mein Gott! schreit der Tambour und springt auf und wirft bei der Erzählung des rasenden Kampfes selbst wie rasend die geballten Fäuste gen Himmel — Jesus! mein Gott! so kämpft er, der Eine, er allein, Rolof, allein, er, mein Herzblatt! Und Alles schlägt auf ihn, und kein Satan steht ihm bei! Und ich alter, tauber, stumpfer Hund sitze zehn Meilen davon, denke mir das Alles, Alles! — und fliege nicht herbei, um mit ihm zu siegen, zu sterben!
Der Alte bricht plötzlich ab, als ob ihm jetzt die Besinnung wieder käme, er setzt sich langsam nieder, er stützt den Kopf auf den Tisch mit einer harten, eckigen Bewegung und schweigt eine lange Weile, ohne daß seine bewegten Zuhörer ihn zu stören wagen. Als er dann nach einiger Zeit das Gesicht wieder erhebt,
sind es die alten verwitterten Züge, ohne bedeutende Spuren der unmäßigen Erregung.
Ja, sagte er, ihr schaut mich verblüfft und ungläubig an, aber ich sage euch, die Leute bei mir zu Lande sind von sonderlichem Schlag; wenn Die erst in Gang kommen, aber auch so recht in Gang, da sind es schier keine Menschen mehr, da sind es die leibhaftigen Teufel und führen Dinge aus, bei deren Ahnung schon einem Andern die Haut zu schaudern anfängt. Der Unteroffizier, der es mir berichtete, meinte, er sei in einigen Schlachten gewesen und bei manchem Démélé, wo man kaum die Augen habe aufthun mögen vor Stichen und Hieben, allein ein solches Wüthen habe er nie erlebt. Die Kerle seien durch einander gestürzt wie die Halme vor der Sense, und keiner habe gewußt, wo aus noch ein. Zuletzt, nachdem der Kampf schon einige Minuten gedauert, wirft ihm ein Steuerbeamter den Carabiner zwischen die Beine, daß er auf dem blutigen Boden ausgleitet und stürzt. Da hatten sie ihn denn.
Als ich das nun vernahm, wußte ich alsbald, woher der Wind pfiff, und wunderte mich nicht länger, daß sie mir den Eintritt zu ihm untersagten. Seine Desertion, sein wahnsinniger Kampf — das war Alles nichts: aber daß er dem Offizier, der sich ihm zu erkennen gegeben, Trotz bot und ihn erschoß — das war der Teufel!
Am nächsten Morgen ging ich wieder nach der
Wache, da ich ihm doch nahe sein wollte. Vom Dienst hatte der Capitän mich dispensirt. An dem Tage saß das Krigsgericht bereits zum erstenmal in der Commandantur. Als sie den Rolof zum Verhör führten, drückten wir uns wieder die Hand. Er sah gefaßt, aber starr und finster aus, und nur als er mich anschaute, schienen seine Züge sich für einen Augenblick aufzuhellen. Immer noch da, Ohm? fragte er mich. Ich nickte nur, denn um die Welt hätt' ich nicht reden können. Während ich nun dort zurückblieb, auf seine Rückkehr zu harren, all das Geschwätz um mich her mit anhört: und, obgleich ich mich zwingen mußte, selber mitredete, ward ich plötzlich hinausgerufen, weil zwei Weibsleute, eine alte und eine junge, nach mir gefragt hätten. Es waren seine Mutter und die Marie. Erst hatten sie den Alten unter die Erde gebracht, und dann waren sie aufgebrochen, um nach Diesem hier zu sehen. Ich traf sie in meinem Quartier.
Ist er todt, Ohm? fragte die Marie und packte meinen Arm, als ob sie ihn wie ein Rohr zerdrücken wollte. Meine Schwester sprach nicht, aber sie sah mich an mit einem Blick, — mit einem Blick! Herr, mein Heiland, so können nur ein paar Mutteraugen blicken, wenn es um ihr Liebstes, ihr Alles geht! Kinder, sagt' ich endlich, Kinder, er lebt ja noch, er ist ja noch nicht todt. Ihr werdet ihn ja bald wiedersehen, mit ihm sprechen. Vielleicht giebt es noch Hoffnung!
Das Letzte log ich, denn ich wußte es nur allzu
gut, was kommen mußte. Die Marie aber ließ mich los, sah mich starr und kalt an und sprach: Ohm, das ist nicht wahr, was Ihr uns sagt, Hoffnung hat er keine, und sterben muß er, denn er ist desertirt und hat den Offizier erschossen. Und daß Ihr's nur wißt, daran bin ich Schuld, ich allein; mein Brief hat ihn gelockt, mein Bote ihn verführt. O Rolof, meine Herzensblume, was mußt du so jung verwelken! Und damit fiel sie uns wie todt in die Arme. Meine Schwester hörte das Alles still mit an, sie beschäftigte sich mit dem armen Kinde und suchte es ins Leben zurückzurufen, was ihr auch bald gelang. Aber sprechen that sie nichts, als vielleicht einmal: Bruder! Bruder! oder auch: Konrad! und sah mich dann immer mit dem traurigen, trockenen, brennenden Blick an.
Ja, das war ein Elend, wie es keinem Menschen beschieden sein sollte, denn ein menschlicher Kopf kann das nicht fassen und nicht ertragen, er muß dabei zu Grunde gehen.
Die Weiber wollten ihn durchaus sehen und sprechen, und sie scheuten zu dem Zweck selbst den Gang zu seinen Vorgesetzten nicht. Daher mußte ich am Mittag, nachdem sie sich einigermaßen erholt und beruhigt zu haben schienen, mit ihnen zum Obersten. Wir wurden gleich vorgelassen und trafen auch den General im Zimmer. Nun ging das Elend wieder los; die Alte sprach fast nur mit ihren Augen, die Marie dagegen redete mit der leidenschaftlichsten Ge-
walt. Ich kann weiter nichts davon sagen. Der General hatte Thränen im Auge, der Oberst auch. Ich kann's nicht, ich darf's nicht! sagte der General und biß die Zähne zusammen und zerdrückte seinen Hut zwischen den Händen. Kinder, brecht mir das Herz nicht! Und wär' es mein Sohn, mein leiblich Kind, es dürfte, könnte nicht sein!
Ich stand dabei in dumpfer Ruhe. Alles das hatt' ich ja voraus gewußt und gesagt; es gab weder Hülfe noch Trost. Endlich traten sie ab, ich aber blieb und bat zum ersten- und letztenmal in meinem Leben. Ich wünschte, daß uns das Urtheil so bald als möglich und vor der wirklichen Bekanntmachung mitgetheilt würde, damit wir dann sogleich zu ihm dürfen und ihn ein Paar Stunden länger sehen könnten. Das sagte mir der General sogleich zu; ich solle täglich in die Commandantur kommen und bis zum Schluß der Sitzungen dableiben, um immer bei der Hand zu sein. Wenn er sein Urtheil habe, könnten wir sogleich zu ihm; indessen möge es noch einige Tage anstehen; man wolle ihm wohl, denn es lasse sich viel zu seiner Entschuldigung sagen; es seien noch Zeugen zu verhören, und was dergleichen mehr ist. Ich dankte also tausendmal. Liebst du denn den Burschen so gar sehr? fragte mich der Oberst. — Was sollt' ich nicht, Ew. Gnaden! sagte ich und brach in Thränen aus; Ew. Gnaden wissen, er ist der Allerletzte von meiner ganzen Freundschaft, denn meine Schwester, haben Sie gesehen,
ist alt und grau und fährt nächster Tage in die Grube. Das ist so gewiß wie das Amen in der Kirche. — So geh denn, Tambour, sprach der General; wir wollen für euch thun, was möglich ist. Während ich durchs Vorzimmer ging, hörte ich den Obersten noch sagen: Es ist ein Jammer, Excellenz. Der Bursch ist ein prächtiger Kerl! Hätt' er Das vor dem Feinde gethan, man müßte ihn belohnen, und nun, da er sich für seine Freiheit schlug —
Da mußt' ich die Thüre schließen und hörte nichts weiter. So warteten wir denn, sahen den Rolof nur auf seinem Hin- und Hergange am Morgen und Mittag und waren sonst daheim. Meine Schwester saß in der Ecke, das Tuch über den Kopf geschlagen, ohne Schlaf, Thränen, Sprache, blaß und steinhart. Die Marie dagegen war wie im Fieber, wild und leidenschaftlich; das Gesicht geröthet, die Augen brennend, die Glieder in immerwährendem Zittern, ging sie rastlos umher, von der Thür zum Fenster, vom Fenster zur Thür und rang die Hände. So was hab' ich nie gesehen; es war, als ob ihre Arme und Hände ohne alle Knochen und nichts als Gelenk wären, daß man sie so und so drehen konnte. Ich selbst versah wieder meinen Dienst, denn ich wäre schon damals toll geworden, wenn ich immer und immer hätte dabei sein müssen.
Noch drei Tage ging das Gericht fort. Am zehnten Februar war's, gegen zehn Uhr Morgens, da
rief mich der Vorsitzende Offizier selbst ins Vorzimmer und theilte mir das Urtheil mit, und daß ich alsbald mit den Frauen zu ihm könne. — Als das Urtheil gesprochen wurde, hatte man ihm die Wahl gelassen zwischen Gassenlaufen auf Leben und Sterben oder der Kugel. Er hatte den Tod gewählt. Denn, hat er gemeint, am Andern stürb' ich doch auch, wenn nicht dabei, doch nachher; da ist es so leichter. Sie hatten ihm dann Begnadigung in Aussicht gestellt, er aber verbat jedes Gesuch. Wenn ihr mir mein Recht gegeben habt, sagte er, so ist es mein Recht, und dabei muß es bleiben. Und so blieb es auch; am folgenden Morgen sollte er erschossen werden.
Meine Weibsleute führte ich ins Gefängniß, ich selbst ging zum Appell. Nachdem der Spruch des Gerichts verlesen, und daß unsere Compagnie dabei zum Dienst commandirt sei, rief mich der Capitän abseits und sagte mir, ich sei natürlich dispensirt und könne diese Tage über thun und gehen wie ich wolle. Dagegen Protestirte ich, ich wollte nicht dispensirt sein. Er redete mir zu, vernünftig zu sein; es sei des Obersten Befehl, und er wolle mein Bestes. Nein, meinte ich, das könne ich nicht, und ich wünsche mit dem Obersten selbst zu reden. Das ward mir erlaubt, und auf den Abend ward ich zu ihm bestellt. Dann ging ich zum Arrestanten, bei dem ich die Weiber und den Prediger traf.
Er war reinlich und sauber gekleidet, auch ohne
Ketten. Ernst und doch heiter kam er auf mich zu, fiel mir um den Hals und sprach: Ohm, verzeiht Ihr mir all den Jammer, den Ihr nun davon habt? Es konnte aber nicht anders kommen; ich hab' es Euch damals schon voraus gesagt. — Da schob ich ihn von mir, legte die Hände auf seine Schultern und hielt ihn so, daß ich ihn lange ansehen konnte. Rolof, sagte ich dann, weßhalb bist du desertirt und hast dem König geschworen, und auch mir selbst noch am Morgen desselbigen Tages? — Ohm, versetzte er, als ich dort stand, so allein, und der Wind kam von Osten, da meinte ich die See zu hören, wie sie mich lockte: komm! komm! Dann hörte ich einen Vogelschrei — ich denke noch immer, daß es eine Möve war. Dann kam der Bote, der mir die Nachricht von Haus brachte. Da hielt ich mich nicht mehr, da vergaß ich den Posten und vergaß meinen Schwur, da warf ich von mir, was nicht mein, und stürzte fort, ohne Besinnung, ohne Rast, bis ich daheim war.
Da machten wir unsern vollen, guten Frieden. Ihr kommt doch mit, Ohm? fragte er noch. Ja, gewiß! antwortete ich. Am Nachmittag kamen General und Oberst und andere Offiziere, um von ihm Abschied zu nehmen. Dann blieben wir mit ihm bis zum Abend allein, wo es für mich Zeit ward, zum Obersten zu gehen.
Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen, wie ich aus der Wache herauskam, um die Ecke bog
und die lange Straße so einsam und düster vor mir liegen sah. Da übermannte mich das Elend, mir ward schwindlig und ich mußte den Kopf gegen die Wand lehnen. Das zu hören und das zu sehen! Solch ein junges, frisches, üppiges Leben, solche Lebenskraft, solch ein Fleisch und Blut, solch ein Gemüth! Und daneben die armen Geschöpfe, die all ihr Leben und Lieben von ihm und in ihm hatten! und die dennoch wußten, morgen ist alles zu Ende! Morgen wird er dahin gerufen, und muß dahin auf seinen eigenen Füßen gehen, wohin uns nur der Wagen führt oder die Bahre trägt! Es war zu viel für eine menschliche Fassung, und ich stand da wie gelähmt, wie todt, und wußte nichts weiter, als was ich vorhin selbst zu ihm gesagt und was ich noch immer sage: Rolof, mein Junge, mein Herz und mein Lieb, warum hast du mir das gethan!
Wie ich dort weg und zum Obersten gekommen, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß ich vor ihm stand, und daß er mich fragte: Was bringst du mir, mein armer Sohn? Bittet er um Begnadigung ? Wir schicken gleich den Courier ab, bis übermorgen ist Alles in Ordnung; das Gassenlaufen wird sich auch schon machen. — Begnadigung? erwiderte ich. Nein, Herr Oberst. Was er verdient, muß er leiden, es ist einmal nicht anders. Er hat sein Recht, und das muß ihm bleiben; da kann selbst der allergnädigste König nichts mehr daran ändern. Darum bitt' ich nicht.
Ihr seid Starrköpfe, sagte er; aber was willst
du denn? Doch dein Capitän hat mir schon von deiner Thorheit gesagt. Bleibe zurück, mein Sohn, du kannst das nicht aushalten; ich will ja, was dir gut thut. — Herr Oberst, sprach ich, halten zu Gnaden, aber ich muß mit, und sollt' ich den Tod davon haben. — So befehl ich dir als dein Commandeur, erwiderte er ernst, du sollst zurückbleiben. — Herr Oberst, gab ich zur Antwort, ich bin traurig, weiß Gott! und ich wollte, ich wäre todt und es wäre aus mit mir, aber ich bin gesund und bei Sinnen: ich will nicht dispensirt sein und bin lieber ungehorsam. Es ist ein Ehrendienst, Herr Oberst. Wenn einem sein Bruder stirbt oder sein Kind, so begleitet man seine Leiche, und es ist so gut wie mein Kind, Ew. Gnaden, ich habe kein anderes, eigenes. Aber das thut gar nichts, er ist auch mein eigen, und da wollt' ich den Herrn Obersten gehorsamst gebeten haben, mich nicht so zu betrüben, daß ich ihn auf seinem letzten Wege nicht begleiten dürfte. Der Herr Oberst sind mir immer ein gnädiger Commandeur gewesen.
Da trat er auf mich zu, legte die Hand auf meine Schulter und sagte: So geh denn, du alter, harter Bursch. Dann wandte er sich ab und ging ins Nebenzimmer. Ich aber machte mich ins Gefängniß, blieb bis zehn Uhr dort und nahm dann die schier sinnlosen Weiber mit mir ins Quartier. Dort haben wir die Nacht ohne Schlaf gesessen; ich hatte meine Trommel zu dämpfen.
Am andern Morgen um sieben Uhr sind wir hinausmarschiert zum Fichtenhügel; dazumal aber standen nur ein paar Bäume darauf mit einigem dichten Buschwerk, und vornean war der eine krumme Stamm, den ihr dort noch seht; die andern Bäume waren noch nicht gesäet. Dort traten die Bursche zu ihm, die zum Dienst commandirt waren, und nahmen Abschied von ihm; dann fiel er mir um den Hals und wir sagten uns Adieu. Darauf kniete er auf dem Hügel an der Grube nieder; die Augen wollt' er nicht verbunden haben.
Der Offizier commandirt: Schlagt an! Feu— Wie er das Wort halb ausgesprochen hat, ist es als ob das Gebüsch dicht hinter dem Rolof wie eine Thür aufspränge,' die Marie fällt draus hervor und auf den Jungen. Ich komm' mit! ruft sie. — Halt! setzt ab! schreit der Offizier und springt wie rasend vor und schlägt mit dem Degen auf die Gewehre. Aber es war ja schon zu spät! Wie sie auf ihn fiel, hatte sie auch schon ihre Kugel in der Brust,' gerade wie er. Wie das alles möglich gewesen, wie sie vor uns dahin gekommen, wie sie sich so verstecken konnte — ich weiß es nicht. Aber es ist einmal geschehen, und sie lagen Beide maustodt.
Da schrie es ringsum auf, als ginge die Welt unter. Die Leute weinten und heulten wie die Weiber, mein Capitän riß sich die Haare aus dem Kopfe und war wie wahnsinnig. Ich aber weiß von
da an nichts mehr; ich fühlte mich ganz närrisch im Kopf. Als ich dann nachher zu mir selbst kam, war es wieder Winter. Ich brach auf und kam zwei Tage vor Eylau zu meinem Regiment zurück.
Das ist's! sagte der Tambour und faßte mit den Händen an seine Schläfen. Und nun, Kinder, geht eurer Wege, denn mein Kopf ist wieder einmal wild. Ich sagt' es euch ja, schloß er mit fast unverständlicher Stimme und wildem, starrem Blick, ich sagt' es euch ja, es ist keine Geschichte für den Tag, denn sie ist teuflisch.