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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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Menschen sind, und auch keine werden können
oder die man nachzuahmen nicht Lust hat, da kann
auch jenes Vergnügen nicht statt finden, son-
dern vielmehr ein großes Mißvergnügen.

Das Auffinden der Wahrheit ist das höch,
sie Vergnügen, aber wo ich sie finden soll da
muß sie auch zu finden seyn. Es ist nicht nö-
thig, daß dies immer ein scientifisches Buch sey,
diese sind selten für die Frauenzimmer, sondern
irgend ein Buch worin treue Gemählde des
Menschen und menschlicher Handlungen stehen,
wo wir um und neben uns die Oriainale zu den
Kopien suchen und finden können, und wo wir
geleitet werden durch Selbstprüfung zu seben,
ob wir auch so sind und so werden können, und
ob die Mittel in der Anwendung auch für uns
passen. Die Modebücher und besonders die Rit-
termährchen, die jetzt vorzüglich gelesen werden,
können wahrlich hier nicht zum Muster dienen.

Die Vorstellung des Nutzens einer Lektüre
erweckt so wol die Begierde darnach, als sie das
Vergnügen während derselben erhöhet; das dar-
aus gesammelte Nüzliche erhält in der Erinnerung
und Anwendung den vorzüglichsten Werth, und
ist die Quelle eines immerwährenden reinen Ver-
gnügens.

Menſchen ſind, und auch keine werden koͤnnen
oder die man nachzuahmen nicht Luſt hat, da kann
auch jenes Vergnuͤgen nicht ſtatt finden, ſon-
dern vielmehr ein großes Mißvergnuͤgen.

Das Auffinden der Wahrheit iſt das hoͤch,
ſie Vergnuͤgen, aber wo ich ſie finden ſoll da
muß ſie auch zu finden ſeyn. Es iſt nicht noͤ-
thig, daß dies immer ein ſcientifiſches Buch ſey,
dieſe ſind ſelten fuͤr die Frauenzimmer, ſondern
irgend ein Buch worin treue Gemaͤhlde des
Menſchen und menſchlicher Handlungen ſtehen,
wo wir um und neben uns die Oriainale zu den
Kopien ſuchen und finden koͤnnen, und wo wir
geleitet werden durch Selbſtpruͤfung zu ſeben,
ob wir auch ſo ſind und ſo werden koͤnnen, und
ob die Mittel in der Anwendung auch fuͤr uns
paſſen. Die Modebuͤcher und beſonders die Rit-
termaͤhrchen, die jetzt vorzuͤglich geleſen werden,
koͤnnen wahrlich hier nicht zum Muſter dienen.

Die Vorſtellung des Nutzens einer Lektuͤre
erweckt ſo wol die Begierde darnach, als ſie das
Vergnuͤgen waͤhrend derſelben erhoͤhet; das dar-
aus geſammelte Nuͤzliche erhaͤlt in der Erinnerung
und Anwendung den vorzuͤglichſten Werth, und
iſt die Quelle eines immerwaͤhrenden reinen Ver-
gnuͤgens.

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[71/0071] Menſchen ſind, und auch keine werden koͤnnen oder die man nachzuahmen nicht Luſt hat, da kann auch jenes Vergnuͤgen nicht ſtatt finden, ſon- dern vielmehr ein großes Mißvergnuͤgen. Das Auffinden der Wahrheit iſt das hoͤch, ſie Vergnuͤgen, aber wo ich ſie finden ſoll da muß ſie auch zu finden ſeyn. Es iſt nicht noͤ- thig, daß dies immer ein ſcientifiſches Buch ſey, dieſe ſind ſelten fuͤr die Frauenzimmer, ſondern irgend ein Buch worin treue Gemaͤhlde des Menſchen und menſchlicher Handlungen ſtehen, wo wir um und neben uns die Oriainale zu den Kopien ſuchen und finden koͤnnen, und wo wir geleitet werden durch Selbſtpruͤfung zu ſeben, ob wir auch ſo ſind und ſo werden koͤnnen, und ob die Mittel in der Anwendung auch fuͤr uns paſſen. Die Modebuͤcher und beſonders die Rit- termaͤhrchen, die jetzt vorzuͤglich geleſen werden, koͤnnen wahrlich hier nicht zum Muſter dienen. Die Vorſtellung des Nutzens einer Lektuͤre erweckt ſo wol die Begierde darnach, als ſie das Vergnuͤgen waͤhrend derſelben erhoͤhet; das dar- aus geſammelte Nuͤzliche erhaͤlt in der Erinnerung und Anwendung den vorzuͤglichſten Werth, und iſt die Quelle eines immerwaͤhrenden reinen Ver- gnuͤgens.

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/71>, abgerufen am 26.11.2024.