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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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gen sich die untergeordneten Zwecke, die durch
jenen nur allein sicher erreicht werden können,
nämlich Nutzen und Vergnügen. Wahrheit bringt
in uns eine Vollkommenheit hervor, die ihre
Folgen haben muß, und diese sind eben der
Nutzen. Aus diesem gehet endlich das Vergnü-
gen hervor. Umkehren läßt sich, wie mich dünkt,
dieser Satz nicht gut. Wenn durch die Lektüre kei-
ne Wahrheit, keine Belehrung gewonnen wird; so
muß der Nutzen und das wahre Vergnügen weg-
fallen, und das Gegentheil trit ein. Der stren-
ge Philosoph wird Jhnen von diesem Satze nichts
nachlassen, was der Aesthetiker thut ist Jhnen
bekannt.

Wahrheit kann also nur allein das edelste
Vergnügen verschaffen durch die Erweiterung
unserer Erkenntnisse, durch Veredelung un-
serer Empfindungen. Wenn ein Buch lauter
Erdichtungen enthält, kann es nur den Schein
des Vergnügens geben womit kein vernünftiges
Wesen ganz zufrieden seyn kann. Wahrheit,
treue Darstellung des Menschen wie er ist, und
was er in der steigenden Veredlung seyn kann,
giebt ein Vergnügen welches das Herz erwärmt,
und diese Vergnügen des Herzens stehen gleich
nach den Vergnügen des Geistes, sie geben Kraft
und Leben und treiben zum Guten an. Wo
man aber Menschen geschildert findet, wie keine

gen ſich die untergeordneten Zwecke, die durch
jenen nur allein ſicher erreicht werden koͤnnen,
naͤmlich Nutzen und Vergnuͤgen. Wahrheit bringt
in uns eine Vollkommenheit hervor, die ihre
Folgen haben muß, und dieſe ſind eben der
Nutzen. Aus dieſem gehet endlich das Vergnuͤ-
gen hervor. Umkehren laͤßt ſich, wie mich duͤnkt,
dieſer Satz nicht gut. Wenn durch die Lektuͤre kei-
ne Wahrheit, keine Belehrung gewonnen wird; ſo
muß der Nutzen und das wahre Vergnuͤgen weg-
fallen, und das Gegentheil trit ein. Der ſtren-
ge Philoſoph wird Jhnen von dieſem Satze nichts
nachlaſſen, was der Aeſthetiker thut iſt Jhnen
bekannt.

Wahrheit kann alſo nur allein das edelſte
Vergnuͤgen verſchaffen durch die Erweiterung
unſerer Erkenntniſſe, durch Veredelung un-
ſerer Empfindungen. Wenn ein Buch lauter
Erdichtungen enthaͤlt, kann es nur den Schein
des Vergnuͤgens geben womit kein vernuͤnftiges
Weſen ganz zufrieden ſeyn kann. Wahrheit,
treue Darſtellung des Menſchen wie er iſt, und
was er in der ſteigenden Veredlung ſeyn kann,
giebt ein Vergnuͤgen welches das Herz erwaͤrmt,
und dieſe Vergnuͤgen des Herzens ſtehen gleich
nach den Vergnuͤgen des Geiſtes, ſie geben Kraft
und Leben und treiben zum Guten an. Wo
man aber Menſchen geſchildert findet, wie keine

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[70/0070] gen ſich die untergeordneten Zwecke, die durch jenen nur allein ſicher erreicht werden koͤnnen, naͤmlich Nutzen und Vergnuͤgen. Wahrheit bringt in uns eine Vollkommenheit hervor, die ihre Folgen haben muß, und dieſe ſind eben der Nutzen. Aus dieſem gehet endlich das Vergnuͤ- gen hervor. Umkehren laͤßt ſich, wie mich duͤnkt, dieſer Satz nicht gut. Wenn durch die Lektuͤre kei- ne Wahrheit, keine Belehrung gewonnen wird; ſo muß der Nutzen und das wahre Vergnuͤgen weg- fallen, und das Gegentheil trit ein. Der ſtren- ge Philoſoph wird Jhnen von dieſem Satze nichts nachlaſſen, was der Aeſthetiker thut iſt Jhnen bekannt. Wahrheit kann alſo nur allein das edelſte Vergnuͤgen verſchaffen durch die Erweiterung unſerer Erkenntniſſe, durch Veredelung un- ſerer Empfindungen. Wenn ein Buch lauter Erdichtungen enthaͤlt, kann es nur den Schein des Vergnuͤgens geben womit kein vernuͤnftiges Weſen ganz zufrieden ſeyn kann. Wahrheit, treue Darſtellung des Menſchen wie er iſt, und was er in der ſteigenden Veredlung ſeyn kann, giebt ein Vergnuͤgen welches das Herz erwaͤrmt, und dieſe Vergnuͤgen des Herzens ſtehen gleich nach den Vergnuͤgen des Geiſtes, ſie geben Kraft und Leben und treiben zum Guten an. Wo man aber Menſchen geſchildert findet, wie keine

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/70>, abgerufen am 30.04.2024.