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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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denke mir Sie isolirt auf einem höhern Stand-
punkte als Zuschauerin, oder vielmehr als Rich-
terin des Kampfes; Sie forderten mich auf; ob
ich den Dank verdienen werde? wir wollen sehen:

Jch werde Jhnen zuerst eine Charakteristik
der einzelnen Zweige der jetzigen Modelektüre
entwerfen, und dann in einigen Briefen ein
Räsonnement über die abentheuerliche Lesesucht,
und über den Einfluß derselben auf häusliches und
öffentliches Glück liefern.



Jn der letzten Hälfte dieses Jahrhunderts
hat unsere Litteratur einen ganz eigenen Gang
genommen, wozu man das Gegenstück in der
Litterärgeschichte aller vorigen Jahrhunderte
vergebens sucht. Nie blüheten Wissenschaften
und Künste so sehr, und nie waren die Drucker-
pressen so sehr beschäftigt als jetzt. Die Vor-
theile davon sind augenscheinlich, und man muß
die Bemühungen, unserer wahren Gelehrten um
die Verbesserung, Veredlung und Aufklärung
der Menschen dankbar erkennen. -- Wo eine
mediceische Venus ausgehauen wird, da fallen
auch Späne ab, die der Stümper zu Spiel-
sachen für die Kinder zugebrauchen sucht. Die-
se Spielsachen finden oft mehr Beifall als das
Meisterstück, denn hierzu gehört Beurtheilungs-
kraft und ein reiner Geschmack.

denke mir Sie iſolirt auf einem hoͤhern Stand-
punkte als Zuſchauerin, oder vielmehr als Rich-
terin des Kampfes; Sie forderten mich auf; ob
ich den Dank verdienen werde? wir wollen ſehen:

Jch werde Jhnen zuerſt eine Charakteriſtik
der einzelnen Zweige der jetzigen Modelektuͤre
entwerfen, und dann in einigen Briefen ein
Raͤſonnement uͤber die abentheuerliche Leſeſucht,
und uͤber den Einfluß derſelben auf haͤusliches und
oͤffentliches Gluͤck liefern.



Jn der letzten Haͤlfte dieſes Jahrhunderts
hat unſere Litteratur einen ganz eigenen Gang
genommen, wozu man das Gegenſtuͤck in der
Litteraͤrgeſchichte aller vorigen Jahrhunderte
vergebens ſucht. Nie bluͤheten Wiſſenſchaften
und Kuͤnſte ſo ſehr, und nie waren die Drucker-
preſſen ſo ſehr beſchaͤftigt als jetzt. Die Vor-
theile davon ſind augenſcheinlich, und man muß
die Bemuͤhungen, unſerer wahren Gelehrten um
die Verbeſſerung, Veredlung und Aufklaͤrung
der Menſchen dankbar erkennen. — Wo eine
mediceiſche Venus ausgehauen wird, da fallen
auch Spaͤne ab, die der Stuͤmper zu Spiel-
ſachen fuͤr die Kinder zugebrauchen ſucht. Die-
ſe Spielſachen finden oft mehr Beifall als das
Meiſterſtuͤck, denn hierzu gehoͤrt Beurtheilungs-
kraft und ein reiner Geſchmack.

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[13/0013] denke mir Sie iſolirt auf einem hoͤhern Stand- punkte als Zuſchauerin, oder vielmehr als Rich- terin des Kampfes; Sie forderten mich auf; ob ich den Dank verdienen werde? wir wollen ſehen: Jch werde Jhnen zuerſt eine Charakteriſtik der einzelnen Zweige der jetzigen Modelektuͤre entwerfen, und dann in einigen Briefen ein Raͤſonnement uͤber die abentheuerliche Leſeſucht, und uͤber den Einfluß derſelben auf haͤusliches und oͤffentliches Gluͤck liefern. Jn der letzten Haͤlfte dieſes Jahrhunderts hat unſere Litteratur einen ganz eigenen Gang genommen, wozu man das Gegenſtuͤck in der Litteraͤrgeſchichte aller vorigen Jahrhunderte vergebens ſucht. Nie bluͤheten Wiſſenſchaften und Kuͤnſte ſo ſehr, und nie waren die Drucker- preſſen ſo ſehr beſchaͤftigt als jetzt. Die Vor- theile davon ſind augenſcheinlich, und man muß die Bemuͤhungen, unſerer wahren Gelehrten um die Verbeſſerung, Veredlung und Aufklaͤrung der Menſchen dankbar erkennen. — Wo eine mediceiſche Venus ausgehauen wird, da fallen auch Spaͤne ab, die der Stuͤmper zu Spiel- ſachen fuͤr die Kinder zugebrauchen ſucht. Die- ſe Spielſachen finden oft mehr Beifall als das Meiſterſtuͤck, denn hierzu gehoͤrt Beurtheilungs- kraft und ein reiner Geſchmack.

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/13>, abgerufen am 24.11.2024.