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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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Sie verstehen die Kunst sehr gut, wie es
scheint, aus den Briefen Jhrer Freunde sogleich
die Antwort herzunehmen. Das Ding ist sehr
leicht. Wenn ich es eben so machte, und eine
Stelle Jhres Briefes wörtlich Jhnen zurück
schickte, würden Sie mir es verzeihen?

"Die Harmonie unserer Seelenkräfte klingt
"im Akkorde, wenn eine andere außer uns die-
"selben Schwingungen macht. Jn dem gros-
"sen Akkorde der Schöpfung sind mehrere un-
"tergeordnete, die aber alle im Einklange zu-
"sammen stimmen sollen, das heißt, ein jeder
"Ton hat seine eigene reine Stimmung für
"sich, tönt allein in einfacher Konsonanz, er-
"höhet aber den Reiz der Harmonie des Gan-
"zen. Der Mensch gehört vorzüglich zu die-
"sem Ganzen, der Stolz kennte ihn vielleicht
"den dominirenden Ton nennen. Warum
"ist denn aber seine eigene Stimmung so
"sehr unrein? ist die Saite so, daß sie keine
"Stimmung aushält? oder sind es Stümper
"die daran pfuschen? -- Dies Freund sagen
"Sie mir. Jch bin geneigt das Letztere zu
"behaupten; mein eigenes Geschlecht kann
"mir die Beweise dazu hergehen. Unsere


Sie verſtehen die Kunſt ſehr gut, wie es
ſcheint, aus den Briefen Jhrer Freunde ſogleich
die Antwort herzunehmen. Das Ding iſt ſehr
leicht. Wenn ich es eben ſo machte, und eine
Stelle Jhres Briefes woͤrtlich Jhnen zuruͤck
ſchickte, wuͤrden Sie mir es verzeihen?

„Die Harmonie unſerer Seelenkraͤfte klingt
„im Akkorde, wenn eine andere außer uns die-
„ſelben Schwingungen macht. Jn dem groſ-
„ſen Akkorde der Schoͤpfung ſind mehrere un-
„tergeordnete, die aber alle im Einklange zu-
„ſammen ſtimmen ſollen, das heißt, ein jeder
„Ton hat ſeine eigene reine Stimmung fuͤr
„ſich, toͤnt allein in einfacher Konſonanz, er-
„hoͤhet aber den Reiz der Harmonie des Gan-
„zen. Der Menſch gehoͤrt vorzuͤglich zu die-
„ſem Ganzen, der Stolz kennte ihn vielleicht
„den dominirenden Ton nennen. Warum
„iſt denn aber ſeine eigene Stimmung ſo
„ſehr unrein? iſt die Saite ſo, daß ſie keine
„Stimmung aushaͤlt? oder ſind es Stuͤmper
„die daran pfuſchen? — Dies Freund ſagen
„Sie mir. Jch bin geneigt das Letztere zu
„behaupten; mein eigenes Geſchlecht kann
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[11/0011] Am 28ten des Octobers. Sie verſtehen die Kunſt ſehr gut, wie es ſcheint, aus den Briefen Jhrer Freunde ſogleich die Antwort herzunehmen. Das Ding iſt ſehr leicht. Wenn ich es eben ſo machte, und eine Stelle Jhres Briefes woͤrtlich Jhnen zuruͤck ſchickte, wuͤrden Sie mir es verzeihen? „Die Harmonie unſerer Seelenkraͤfte klingt „im Akkorde, wenn eine andere außer uns die- „ſelben Schwingungen macht. Jn dem groſ- „ſen Akkorde der Schoͤpfung ſind mehrere un- „tergeordnete, die aber alle im Einklange zu- „ſammen ſtimmen ſollen, das heißt, ein jeder „Ton hat ſeine eigene reine Stimmung fuͤr „ſich, toͤnt allein in einfacher Konſonanz, er- „hoͤhet aber den Reiz der Harmonie des Gan- „zen. Der Menſch gehoͤrt vorzuͤglich zu die- „ſem Ganzen, der Stolz kennte ihn vielleicht „den dominirenden Ton nennen. Warum „iſt denn aber ſeine eigene Stimmung ſo „ſehr unrein? iſt die Saite ſo, daß ſie keine „Stimmung aushaͤlt? oder ſind es Stuͤmper „die daran pfuſchen? — Dies Freund ſagen „Sie mir. Jch bin geneigt das Letztere zu „behaupten; mein eigenes Geſchlecht kann „mir die Beweiſe dazu hergehen. Unſere

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/11>, abgerufen am 28.03.2024.