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Hobrecht, James: Über die Vorbildung für den Besuch des Polytechnikums. Berlin, 1878.

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Ich lasse es unerörtert, wie gross denn thatsächlich der Raum
ist, den diese ausschliessliche Richtung in unserem gemeinsamen
Berufsleben in Rücksicht auf unsere Armuth und auf die Entwicke¬
lung der übrigen freien Künste beanspruchen kann; ich lasse den
Widerspruch unerörtert, der gerade darin liegt, dass Männer dieser
Richtung einerseits die Bildung des nivellirenden Polytechnikums
forderten, andererseits dieselben Männer oder ihnen Nahestehende
in Erwägung zogen, ob es nicht rathsam sei, die eigentlichen
Schönbauer ganz von unserem Bildungsgange abzutrennen und sie
hinüber zu führen in die Akademie der Künste, wo der Schönbau
als freie Kunst neben Malerei und Skulptur gelehrt werden sollte;
darauf aber möchte ich hinweisen, dass, wenn bei unseren Schön¬
bauern selbst eine Unzufriedenheit mit den bezüglichen Leistungen
besteht, und wenn sie den Grund von ungenügenden Leistungen in
dem zu viel Lernen nach der einen und dem zu wenig Lernen nach
der anderen Seite erkennen, sie, m. H., darin irren, wenn sie glauben,
das eigentlich Entscheidende, das eigentlich Bedeutende für und in
ihrer Leistung könne überhaupt erlernt werden; Talent kann nicht
gelehrt werden, und kein Lehrer schafft die Genies; die künstlerische
Leistung ist der Gesammtausdruck des von der Natur allein ver¬
liehenen geistigen und ethischen Vermögens; Hülfswissenschaften,
Schattenconstruction und Perspective, Anatomie und Farbenmischung
kann man lehren, aber wer alles dieses am Schnürchen wüsste, wie
ein akademischer Professor es nur kann, hat sich darum auch noch
nicht um eines Haares Breite des Vermögens bemächtigt, Schönes
darzustellen. Wenn er es gelernt hat, Richtiges zu schaffen, so
kann er dies auch auf dem Polytechnikum erreichen, eines Besuchs
der Kunstakademie bedarf es dazu nicht.

Für die Aufgabe einer Steigerung des künstlerischen Vermögens
kenne ich nur einen Weg, der ein gewisses, wenn auch nur be¬
scheidenes Resultat verspricht; das ist nicht die Kunstakademie,
auch nicht das Polytechnikum, das ist die Atelierausbildung.

Wirklich zu den Füssen eines Meisters sitzen, an seinen Leiden
und Freuden theilnehmen, seinen Stolz und seinen Kummer mit
empfinden, sein erstes naives Urtheil über Kunstleistungen be¬
lauschen, im Gespräch, mit der Ehrfurcht des Schülers, die Ansichten
des Meisters über alle göttlichen und menschlichen Dinge vernehmen,
das kann fördern, weil es bis zu einem gewissen Grade den Schüler

Ich lasse es unerörtert, wie gross denn thatsächlich der Raum
ist, den diese ausschliessliche Richtung in unserem gemeinsamen
Berufsleben in Rücksicht auf unsere Armuth und auf die Entwicke¬
lung der übrigen freien Künste beanspruchen kann; ich lasse den
Widerspruch unerörtert, der gerade darin liegt, dass Männer dieser
Richtung einerseits die Bildung des nivellirenden Polytechnikums
forderten, andererseits dieselben Männer oder ihnen Nahestehende
in Erwägung zogen, ob es nicht rathsam sei, die eigentlichen
Schönbauer ganz von unserem Bildungsgange abzutrennen und sie
hinüber zu führen in die Akademie der Künste, wo der Schönbau
als freie Kunst neben Malerei und Skulptur gelehrt werden sollte;
darauf aber möchte ich hinweisen, dass, wenn bei unseren Schön¬
bauern selbst eine Unzufriedenheit mit den bezüglichen Leistungen
besteht, und wenn sie den Grund von ungenügenden Leistungen in
dem zu viel Lernen nach der einen und dem zu wenig Lernen nach
der anderen Seite erkennen, sie, m. H., darin irren, wenn sie glauben,
das eigentlich Entscheidende, das eigentlich Bedeutende für und in
ihrer Leistung könne überhaupt erlernt werden; Talent kann nicht
gelehrt werden, und kein Lehrer schafft die Genies; die künstlerische
Leistung ist der Gesammtausdruck des von der Natur allein ver¬
liehenen geistigen und ethischen Vermögens; Hülfswissenschaften,
Schattenconstruction und Perspective, Anatomie und Farbenmischung
kann man lehren, aber wer alles dieses am Schnürchen wüsste, wie
ein akademischer Professor es nur kann, hat sich darum auch noch
nicht um eines Haares Breite des Vermögens bemächtigt, Schönes
darzustellen. Wenn er es gelernt hat, Richtiges zu schaffen, so
kann er dies auch auf dem Polytechnikum erreichen, eines Besuchs
der Kunstakademie bedarf es dazu nicht.

Für die Aufgabe einer Steigerung des künstlerischen Vermögens
kenne ich nur einen Weg, der ein gewisses, wenn auch nur be¬
scheidenes Resultat verspricht; das ist nicht die Kunstakademie,
auch nicht das Polytechnikum, das ist die Atelierausbildung.

Wirklich zu den Füssen eines Meisters sitzen, an seinen Leiden
und Freuden theilnehmen, seinen Stolz und seinen Kummer mit
empfinden, sein erstes naïves Urtheil über Kunstleistungen be¬
lauschen, im Gespräch, mit der Ehrfurcht des Schülers, die Ansichten
des Meisters über alle göttlichen und menschlichen Dinge vernehmen,
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[9/0013] Ich lasse es unerörtert, wie gross denn thatsächlich der Raum ist, den diese ausschliessliche Richtung in unserem gemeinsamen Berufsleben in Rücksicht auf unsere Armuth und auf die Entwicke¬ lung der übrigen freien Künste beanspruchen kann; ich lasse den Widerspruch unerörtert, der gerade darin liegt, dass Männer dieser Richtung einerseits die Bildung des nivellirenden Polytechnikums forderten, andererseits dieselben Männer oder ihnen Nahestehende in Erwägung zogen, ob es nicht rathsam sei, die eigentlichen Schönbauer ganz von unserem Bildungsgange abzutrennen und sie hinüber zu führen in die Akademie der Künste, wo der Schönbau als freie Kunst neben Malerei und Skulptur gelehrt werden sollte; darauf aber möchte ich hinweisen, dass, wenn bei unseren Schön¬ bauern selbst eine Unzufriedenheit mit den bezüglichen Leistungen besteht, und wenn sie den Grund von ungenügenden Leistungen in dem zu viel Lernen nach der einen und dem zu wenig Lernen nach der anderen Seite erkennen, sie, m. H., darin irren, wenn sie glauben, das eigentlich Entscheidende, das eigentlich Bedeutende für und in ihrer Leistung könne überhaupt erlernt werden; Talent kann nicht gelehrt werden, und kein Lehrer schafft die Genies; die künstlerische Leistung ist der Gesammtausdruck des von der Natur allein ver¬ liehenen geistigen und ethischen Vermögens; Hülfswissenschaften, Schattenconstruction und Perspective, Anatomie und Farbenmischung kann man lehren, aber wer alles dieses am Schnürchen wüsste, wie ein akademischer Professor es nur kann, hat sich darum auch noch nicht um eines Haares Breite des Vermögens bemächtigt, Schönes darzustellen. Wenn er es gelernt hat, Richtiges zu schaffen, so kann er dies auch auf dem Polytechnikum erreichen, eines Besuchs der Kunstakademie bedarf es dazu nicht. Für die Aufgabe einer Steigerung des künstlerischen Vermögens kenne ich nur einen Weg, der ein gewisses, wenn auch nur be¬ scheidenes Resultat verspricht; das ist nicht die Kunstakademie, auch nicht das Polytechnikum, das ist die Atelierausbildung. Wirklich zu den Füssen eines Meisters sitzen, an seinen Leiden und Freuden theilnehmen, seinen Stolz und seinen Kummer mit empfinden, sein erstes naïves Urtheil über Kunstleistungen be¬ lauschen, im Gespräch, mit der Ehrfurcht des Schülers, die Ansichten des Meisters über alle göttlichen und menschlichen Dinge vernehmen, das kann fördern, weil es bis zu einem gewissen Grade den Schüler

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Zitationshilfe: Hobrecht, James: Über die Vorbildung für den Besuch des Polytechnikums. Berlin, 1878, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hobrecht_polytechnikum_1878/13>, abgerufen am 10.10.2024.