Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hobrecht, James: Über die Vorbildung für den Besuch des Polytechnikums. Berlin, 1878.

Bild:
<< vorherige Seite

in seinem gesammten geistigen und ethischen Vermögen zu steigern
vermag.

Ihnen also, die Sie in den Thätigkeitsgebieten unseres Berufs
fast nur das künstlerische Moment anerkennen wollen, rufe ich zu,
dass unsere Bestrebungen niemals die Ihrigen kreuzen können, dass
unsere gesteigerten wissenschaftlichen Anforderungen aber auch
Ihren Schülern zu Gute kommen werden.

Fast könnte man sich schämen, den Gemeinplatz auszusprechen,
dass die Bildung den Menschen veredelt, da niemand daran zweifeln
wird, aber ich hoffe, es wird auch niemand daran zweifeln, dass
das wirkliche künstlerische Vermögen eines Menschen, ich meine
das unlehrbare, nur durch eine Gesammtveredelung des Menschen
gesteigert werden kann. Und so werden auch Sie mir zustimmen,
wenn ich die Forderung aufstelle, unsere allgemeine wissenschaft¬
liche Ausbildung nicht herabzudrücken, sondern ver¬
mehren
.

Ich komme nun zu der Frage, ob die neue Gewerbeschule
im Verhältniss zu Gymnasium und Realschule I. Ordnung einen
Rückgang in der allgemeinen wissenschaftlichen Ausbildung bedeutet
oder nicht, und ob unser Stand, welcher neben der rein künstleri¬
schen Richtung, den Tiefbau, das Bauingenieurwesen, das Maschinen¬
bauwesen, das ganze Baubeamtenthum in sich schliesst, einen Rück¬
gang vertragen könne.

Nicht die grössere oder geringere Fülle von solchen Kennt¬
nissen, deren Besitz an sich keinen nachweisbaren Einfluss auf das
menschliche Gemüth ausübt, schafft Bildung.

Zu wissen, dass Kochsalz Chlornatrium ist, dass die Fort¬
pflanzungsorgane der Sagitta so und so beschaffen sind, dass im
Herzen von Afrika der Tanganyika-See liegt, ist werthvoll vom
Standpunkt einer praktischen Verwerthung aus; der letzte Zweck
unseres Lebens aber, die Verschönerung unseres gesammten
inneren Menschen
, wird damit nicht erreicht; man legt, wie
Sie wissen, mehr und mehr Gewicht auf die Naturgeschichte, --
wie aber kommt es, dass dabei das weitaus interessanteste Object
der Naturforschung, der menschliche Geist, seine Entwickelung,
seine Geschichte, seine Kultivirung von fast thierischer Rohheit zu
jenen lichtvollen Höhen, die er in verschiedenen Völkern und
zu verschiedenen Zeiten erklommen, in den Hintergrund gedrängt

in seinem gesammten geistigen und ethischen Vermögen zu steigern
vermag.

Ihnen also, die Sie in den Thätigkeitsgebieten unseres Berufs
fast nur das künstlerische Moment anerkennen wollen, rufe ich zu,
dass unsere Bestrebungen niemals die Ihrigen kreuzen können, dass
unsere gesteigerten wissenschaftlichen Anforderungen aber auch
Ihren Schülern zu Gute kommen werden.

Fast könnte man sich schämen, den Gemeinplatz auszusprechen,
dass die Bildung den Menschen veredelt, da niemand daran zweifeln
wird, aber ich hoffe, es wird auch niemand daran zweifeln, dass
das wirkliche künstlerische Vermögen eines Menschen, ich meine
das unlehrbare, nur durch eine Gesammtveredelung des Menschen
gesteigert werden kann. Und so werden auch Sie mir zustimmen,
wenn ich die Forderung aufstelle, unsere allgemeine wissenschaft¬
liche Ausbildung nicht herabzudrücken, sondern ver¬
mehren
.

Ich komme nun zu der Frage, ob die neue Gewerbeschule
im Verhältniss zu Gymnasium und Realschule I. Ordnung einen
Rückgang in der allgemeinen wissenschaftlichen Ausbildung bedeutet
oder nicht, und ob unser Stand, welcher neben der rein künstleri¬
schen Richtung, den Tiefbau, das Bauingenieurwesen, das Maschinen¬
bauwesen, das ganze Baubeamtenthum in sich schliesst, einen Rück¬
gang vertragen könne.

Nicht die grössere oder geringere Fülle von solchen Kennt¬
nissen, deren Besitz an sich keinen nachweisbaren Einfluss auf das
menschliche Gemüth ausübt, schafft Bildung.

Zu wissen, dass Kochsalz Chlornatrium ist, dass die Fort¬
pflanzungsorgane der Sagitta so und so beschaffen sind, dass im
Herzen von Afrika der Tanganyika-See liegt, ist werthvoll vom
Standpunkt einer praktischen Verwerthung aus; der letzte Zweck
unseres Lebens aber, die Verschönerung unseres gesammten
inneren Menschen
, wird damit nicht erreicht; man legt, wie
Sie wissen, mehr und mehr Gewicht auf die Naturgeschichte, —
wie aber kommt es, dass dabei das weitaus interessanteste Object
der Naturforschung, der menschliche Geist, seine Entwickelung,
seine Geschichte, seine Kultivirung von fast thierischer Rohheit zu
jenen lichtvollen Höhen, die er in verschiedenen Völkern und
zu verschiedenen Zeiten erklommen, in den Hintergrund gedrängt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0014" n="10"/>
in seinem gesammten geistigen und ethischen Vermögen zu steigern<lb/>
vermag.</p><lb/>
        <p>Ihnen also, die Sie in den Thätigkeitsgebieten unseres Berufs<lb/>
fast nur das künstlerische Moment anerkennen wollen, rufe ich zu,<lb/>
dass unsere Bestrebungen niemals die Ihrigen kreuzen können, dass<lb/>
unsere <hi rendition="#g">gesteigerten</hi> wissenschaftlichen Anforderungen aber auch<lb/>
Ihren Schülern zu Gute kommen werden.</p><lb/>
        <p>Fast könnte man sich schämen, den Gemeinplatz auszusprechen,<lb/>
dass die Bildung den Menschen veredelt, da niemand daran zweifeln<lb/>
wird, aber ich hoffe, es wird auch niemand daran zweifeln, dass<lb/>
das wirkliche künstlerische Vermögen eines Menschen, ich meine<lb/>
das <hi rendition="#g">unlehrbare</hi>, nur durch eine Gesammtveredelung des Menschen<lb/>
gesteigert werden kann. Und so werden auch Sie mir zustimmen,<lb/>
wenn ich die Forderung aufstelle, unsere allgemeine wissenschaft¬<lb/>
liche Ausbildung nicht <hi rendition="#g">herabzudrücken</hi>, sondern <hi rendition="#g">ver¬<lb/>
mehren</hi>.</p><lb/>
        <p>Ich komme nun zu der Frage, ob die neue Gewerbeschule<lb/>
im Verhältniss zu Gymnasium und Realschule I. Ordnung einen<lb/>
Rückgang in der allgemeinen wissenschaftlichen Ausbildung bedeutet<lb/>
oder nicht, und ob unser Stand, welcher neben der rein künstleri¬<lb/>
schen Richtung, den Tiefbau, das Bauingenieurwesen, das Maschinen¬<lb/>
bauwesen, das ganze Baubeamtenthum in sich schliesst, einen Rück¬<lb/>
gang vertragen könne.</p><lb/>
        <p>Nicht die grössere oder geringere Fülle von <hi rendition="#g">solchen</hi> Kennt¬<lb/>
nissen, deren Besitz an sich keinen nachweisbaren Einfluss auf das<lb/>
menschliche Gemüth ausübt, schafft Bildung.</p><lb/>
        <p>Zu wissen, dass Kochsalz Chlornatrium ist, dass die Fort¬<lb/>
pflanzungsorgane der Sagitta so und so beschaffen sind, dass im<lb/>
Herzen von Afrika der Tanganyika-See liegt, ist werthvoll vom<lb/>
Standpunkt einer <hi rendition="#g">praktischen</hi> Verwerthung aus; der letzte Zweck<lb/>
unseres Lebens aber, <hi rendition="#g">die Verschönerung unseres gesammten<lb/>
inneren Menschen</hi>, wird damit nicht erreicht; man legt, wie<lb/>
Sie wissen, mehr und mehr Gewicht auf die Naturgeschichte, &#x2014;<lb/>
wie aber kommt es, dass dabei das weitaus interessanteste Object<lb/>
der Naturforschung, der menschliche <hi rendition="#g">Geist</hi>, seine Entwickelung,<lb/>
seine Geschichte, seine Kultivirung von fast thierischer Rohheit zu<lb/>
jenen lichtvollen Höhen, die er in verschiedenen Völkern und<lb/>
zu verschiedenen Zeiten erklommen, in den Hintergrund gedrängt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0014] in seinem gesammten geistigen und ethischen Vermögen zu steigern vermag. Ihnen also, die Sie in den Thätigkeitsgebieten unseres Berufs fast nur das künstlerische Moment anerkennen wollen, rufe ich zu, dass unsere Bestrebungen niemals die Ihrigen kreuzen können, dass unsere gesteigerten wissenschaftlichen Anforderungen aber auch Ihren Schülern zu Gute kommen werden. Fast könnte man sich schämen, den Gemeinplatz auszusprechen, dass die Bildung den Menschen veredelt, da niemand daran zweifeln wird, aber ich hoffe, es wird auch niemand daran zweifeln, dass das wirkliche künstlerische Vermögen eines Menschen, ich meine das unlehrbare, nur durch eine Gesammtveredelung des Menschen gesteigert werden kann. Und so werden auch Sie mir zustimmen, wenn ich die Forderung aufstelle, unsere allgemeine wissenschaft¬ liche Ausbildung nicht herabzudrücken, sondern ver¬ mehren. Ich komme nun zu der Frage, ob die neue Gewerbeschule im Verhältniss zu Gymnasium und Realschule I. Ordnung einen Rückgang in der allgemeinen wissenschaftlichen Ausbildung bedeutet oder nicht, und ob unser Stand, welcher neben der rein künstleri¬ schen Richtung, den Tiefbau, das Bauingenieurwesen, das Maschinen¬ bauwesen, das ganze Baubeamtenthum in sich schliesst, einen Rück¬ gang vertragen könne. Nicht die grössere oder geringere Fülle von solchen Kennt¬ nissen, deren Besitz an sich keinen nachweisbaren Einfluss auf das menschliche Gemüth ausübt, schafft Bildung. Zu wissen, dass Kochsalz Chlornatrium ist, dass die Fort¬ pflanzungsorgane der Sagitta so und so beschaffen sind, dass im Herzen von Afrika der Tanganyika-See liegt, ist werthvoll vom Standpunkt einer praktischen Verwerthung aus; der letzte Zweck unseres Lebens aber, die Verschönerung unseres gesammten inneren Menschen, wird damit nicht erreicht; man legt, wie Sie wissen, mehr und mehr Gewicht auf die Naturgeschichte, — wie aber kommt es, dass dabei das weitaus interessanteste Object der Naturforschung, der menschliche Geist, seine Entwickelung, seine Geschichte, seine Kultivirung von fast thierischer Rohheit zu jenen lichtvollen Höhen, die er in verschiedenen Völkern und zu verschiedenen Zeiten erklommen, in den Hintergrund gedrängt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hobrecht_polytechnikum_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hobrecht_polytechnikum_1878/14
Zitationshilfe: Hobrecht, James: Über die Vorbildung für den Besuch des Polytechnikums. Berlin, 1878, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hobrecht_polytechnikum_1878/14>, abgerufen am 03.12.2024.