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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Vierter Abschnitt. Von der Bestimmung


Vierter Abschnitt.
Von der Bestimmung und Würde der Gärten.

Gärten sind die Plätze, auf welchen der Mensch alle Vortheile des Landlebens,
alle Annehmlichkeiten der Jahreszeiten mit Bequemlichkeit, mit Ruhe genie-
ßen kann. So viel Vortheile und Ergötzungen die Natur ihrem empfindsamen
Freunde aufbewahret, so viel kann er in dem Umfang eines ausgebreiteten, wohl an-
gelegten Gartens finden. Ja, diese Vortheile und Ergötzungen erhöhen und ver-
vielfältigen sich hier in eben dem Grade, in welchem Vernunft und Geschmack bemü-
het sind, einen Garten durch die Reize der Cultur über eine sich selbst überlassene Ge-
gend zu erheben.

Wer kennt nicht diese von den Dichtern aller Jahrhunderte besungenen, von
den Philosophen oft gepriesenen, oft sich selbst gewünschten Freuden, diese von dem
zum Genuß seines Daseyns noch nicht verstimmten Menschen so gern empfundenen
Freuden des Landes? Freuden, die selbst Bacon für die reinsten aller menschlichen
Ergötzungen hielt; die Addison so würdig fand, daß er den Geschmack an ihnen für
eine tugendhafte Gewohnheit des Gemüths erklärte. Man würde beschreiben, was
mehr empfunden werden kann, empfehlen wollen, was jeder gerne liebt, wenn man
es wagte, noch einmal von ihnen ein ausführliches Gemälde aufzustellen. Von die-
sem süßen Genuß der Freyheit, der Aussichten, der Spaziergänge, der Luft, der
Kühlung, des Wohlgeruchs mit ihren Vortheilen für den Geist und für die Gesund-
heit; von diesen frohen Umherirrungen und Zerstreuungen, diesen Belustigungen
aller Sinne, dieser ruhigen Behagung des Herzens an den ländlichen Scenen der
Natur, diesem angenehmen Vergessen aller Sorgen und Unruhen der Welt, diesen
stillen Betrachtungen des Geistes zu seinem und aller Wesen Urheber hinauf; von
diesem zaubervollen Dahinschwärmen der Phantasie über Schönheit, Größe, Man-
nigfaltigkeit, über Leben, Bewegung und Wonne der Schöpfung -- und alles
dieses mit einer unverstellten Wahrheit der Empfindung, mit einer Unschuld, worauf
selbst der Vater der Natur mit Wohlgefallen herablächelt. In der That ist ein
Garten nicht blos bestimmt, ein Aufenthalt des Vergnügens zu seyn, obgleich die
Gartenkunst zuerst von diesem Vergnügen ausgeht. Er soll die Wohnung der Er-
quickung nach dem Kummer, der Ruhe aller Leidenschaften, der Erholung von der
Mühe, der heitersten Beschäftigung des Menschen seyn. Er soll die Lieblingsscene
der Betrachtung der Natur seyn, der Zufluchtsort der Philosophie, der Tempel der
Anbetung der höchsten Weisheit.

Die
Vierter Abſchnitt. Von der Beſtimmung


Vierter Abſchnitt.
Von der Beſtimmung und Wuͤrde der Gaͤrten.

Gaͤrten ſind die Plaͤtze, auf welchen der Menſch alle Vortheile des Landlebens,
alle Annehmlichkeiten der Jahreszeiten mit Bequemlichkeit, mit Ruhe genie-
ßen kann. So viel Vortheile und Ergoͤtzungen die Natur ihrem empfindſamen
Freunde aufbewahret, ſo viel kann er in dem Umfang eines ausgebreiteten, wohl an-
gelegten Gartens finden. Ja, dieſe Vortheile und Ergoͤtzungen erhoͤhen und ver-
vielfaͤltigen ſich hier in eben dem Grade, in welchem Vernunft und Geſchmack bemuͤ-
het ſind, einen Garten durch die Reize der Cultur uͤber eine ſich ſelbſt uͤberlaſſene Ge-
gend zu erheben.

Wer kennt nicht dieſe von den Dichtern aller Jahrhunderte beſungenen, von
den Philoſophen oft geprieſenen, oft ſich ſelbſt gewuͤnſchten Freuden, dieſe von dem
zum Genuß ſeines Daſeyns noch nicht verſtimmten Menſchen ſo gern empfundenen
Freuden des Landes? Freuden, die ſelbſt Bacon fuͤr die reinſten aller menſchlichen
Ergoͤtzungen hielt; die Addiſon ſo wuͤrdig fand, daß er den Geſchmack an ihnen fuͤr
eine tugendhafte Gewohnheit des Gemuͤths erklaͤrte. Man wuͤrde beſchreiben, was
mehr empfunden werden kann, empfehlen wollen, was jeder gerne liebt, wenn man
es wagte, noch einmal von ihnen ein ausfuͤhrliches Gemaͤlde aufzuſtellen. Von die-
ſem ſuͤßen Genuß der Freyheit, der Ausſichten, der Spaziergaͤnge, der Luft, der
Kuͤhlung, des Wohlgeruchs mit ihren Vortheilen fuͤr den Geiſt und fuͤr die Geſund-
heit; von dieſen frohen Umherirrungen und Zerſtreuungen, dieſen Beluſtigungen
aller Sinne, dieſer ruhigen Behagung des Herzens an den laͤndlichen Scenen der
Natur, dieſem angenehmen Vergeſſen aller Sorgen und Unruhen der Welt, dieſen
ſtillen Betrachtungen des Geiſtes zu ſeinem und aller Weſen Urheber hinauf; von
dieſem zaubervollen Dahinſchwaͤrmen der Phantaſie uͤber Schoͤnheit, Groͤße, Man-
nigfaltigkeit, uͤber Leben, Bewegung und Wonne der Schoͤpfung — und alles
dieſes mit einer unverſtellten Wahrheit der Empfindung, mit einer Unſchuld, worauf
ſelbſt der Vater der Natur mit Wohlgefallen herablaͤchelt. In der That iſt ein
Garten nicht blos beſtimmt, ein Aufenthalt des Vergnuͤgens zu ſeyn, obgleich die
Gartenkunſt zuerſt von dieſem Vergnuͤgen ausgeht. Er ſoll die Wohnung der Er-
quickung nach dem Kummer, der Ruhe aller Leidenſchaften, der Erholung von der
Muͤhe, der heiterſten Beſchaͤftigung des Menſchen ſeyn. Er ſoll die Lieblingsſcene
der Betrachtung der Natur ſeyn, der Zufluchtsort der Philoſophie, der Tempel der
Anbetung der hoͤchſten Weisheit.

Die
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[154/0168] Vierter Abſchnitt. Von der Beſtimmung Vierter Abſchnitt. Von der Beſtimmung und Wuͤrde der Gaͤrten. Gaͤrten ſind die Plaͤtze, auf welchen der Menſch alle Vortheile des Landlebens, alle Annehmlichkeiten der Jahreszeiten mit Bequemlichkeit, mit Ruhe genie- ßen kann. So viel Vortheile und Ergoͤtzungen die Natur ihrem empfindſamen Freunde aufbewahret, ſo viel kann er in dem Umfang eines ausgebreiteten, wohl an- gelegten Gartens finden. Ja, dieſe Vortheile und Ergoͤtzungen erhoͤhen und ver- vielfaͤltigen ſich hier in eben dem Grade, in welchem Vernunft und Geſchmack bemuͤ- het ſind, einen Garten durch die Reize der Cultur uͤber eine ſich ſelbſt uͤberlaſſene Ge- gend zu erheben. Wer kennt nicht dieſe von den Dichtern aller Jahrhunderte beſungenen, von den Philoſophen oft geprieſenen, oft ſich ſelbſt gewuͤnſchten Freuden, dieſe von dem zum Genuß ſeines Daſeyns noch nicht verſtimmten Menſchen ſo gern empfundenen Freuden des Landes? Freuden, die ſelbſt Bacon fuͤr die reinſten aller menſchlichen Ergoͤtzungen hielt; die Addiſon ſo wuͤrdig fand, daß er den Geſchmack an ihnen fuͤr eine tugendhafte Gewohnheit des Gemuͤths erklaͤrte. Man wuͤrde beſchreiben, was mehr empfunden werden kann, empfehlen wollen, was jeder gerne liebt, wenn man es wagte, noch einmal von ihnen ein ausfuͤhrliches Gemaͤlde aufzuſtellen. Von die- ſem ſuͤßen Genuß der Freyheit, der Ausſichten, der Spaziergaͤnge, der Luft, der Kuͤhlung, des Wohlgeruchs mit ihren Vortheilen fuͤr den Geiſt und fuͤr die Geſund- heit; von dieſen frohen Umherirrungen und Zerſtreuungen, dieſen Beluſtigungen aller Sinne, dieſer ruhigen Behagung des Herzens an den laͤndlichen Scenen der Natur, dieſem angenehmen Vergeſſen aller Sorgen und Unruhen der Welt, dieſen ſtillen Betrachtungen des Geiſtes zu ſeinem und aller Weſen Urheber hinauf; von dieſem zaubervollen Dahinſchwaͤrmen der Phantaſie uͤber Schoͤnheit, Groͤße, Man- nigfaltigkeit, uͤber Leben, Bewegung und Wonne der Schoͤpfung — und alles dieſes mit einer unverſtellten Wahrheit der Empfindung, mit einer Unſchuld, worauf ſelbſt der Vater der Natur mit Wohlgefallen herablaͤchelt. In der That iſt ein Garten nicht blos beſtimmt, ein Aufenthalt des Vergnuͤgens zu ſeyn, obgleich die Gartenkunſt zuerſt von dieſem Vergnuͤgen ausgeht. Er ſoll die Wohnung der Er- quickung nach dem Kummer, der Ruhe aller Leidenſchaften, der Erholung von der Muͤhe, der heiterſten Beſchaͤftigung des Menſchen ſeyn. Er ſoll die Lieblingsſcene der Betrachtung der Natur ſeyn, der Zufluchtsort der Philoſophie, der Tempel der Anbetung der hoͤchſten Weisheit. Die

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/168>, abgerufen am 19.04.2024.