Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.Erster Abschnitt. Aussicht in die Gärten weniger die Wahrheit, als das Anziehende seiner Erzählung, auf seiner Seitehatte. Ich kann es mir vorstellen, wie ein Mann von weniger Talenten und Beob- Indessen *) Nouveaux Memoires sur l'Etat present de China, Tom. I. **) Lettre IV.
Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten weniger die Wahrheit, als das Anziehende ſeiner Erzaͤhlung, auf ſeiner Seitehatte. Ich kann es mir vorſtellen, wie ein Mann von weniger Talenten und Beob- Indeſſen *) Nouveaux Mémoires ſur l’Etat préſent de China, Tom. I. **) Lettre IV.
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Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten
weniger die Wahrheit, als das Anziehende ſeiner Erzaͤhlung, auf ſeiner Seite
hatte.
Ich kann es mir vorſtellen, wie ein Mann von weniger Talenten und Beob-
achtung, als Chambers, in einigen Gegenden von China verleitet werden kann,
da Gaͤrten zu ſehen, wo keine ſind. Nach dem Bericht des Comte *) ſind einige
fruchtbare Provinzen mit anmuthigen Huͤgeln und Canaͤlen erfuͤllt. Die Huͤgel ſind
in verſchiedene Abſaͤtze und Stufen vom Fuße bis zum Gipfel bearbeitet, aber blos
in der Abſicht, damit das Regenwaſſer ſich uͤberall vertheilen und das beſaͤete Erd-
reich mit ſeinen Pflanzen nicht ſo leicht hinabreißen koͤnne. Indeſſen giebt dieſe Ge-
ſtalt, worin die Huͤgel gebildet werden, zumal wenn mehrere in einem Bezirk um-
herliegen, einen reizenden Anblick. Die Canaͤle, welche die Plaͤnen durchſchneiden,
ſind von einer ungemeinen Schoͤnheit, ſowohl des klaren und ſanft dahin fließenden
Waſſers, als auch der Einfaſſungen und Bruͤcken wegen, womit ſie bekleidet ſind.
Sie laufen gemeiniglich zwiſchen kleinen Erhoͤhungen auf beyden Seiten, die mit
Steinen oder groben Marmorſtuͤcken eingefaßt ſind. Die uͤber dieſe Canaͤle gefuͤhrten
Bruͤcken, die zunaͤchſt zur Verbindung der Laͤndereyen dienen, ſind von drey bis ſie-
ben Bogen, wovon der mittelſte oder Hauptbogen ſehr hoch iſt, damit die Fahrzeuge
darunter bequem hinwegfahren koͤnnen. Die Gewoͤlbe ſind von großen Stuͤcken von
Steinen erbauet, die Pfeiler aber ſo ſchmal, daß man in der Ferne glaubt, die Bo-
gen ſchweben in der Luft. Man ſieht ſolche Bruͤcken von einer Strecke zur andern;
und wenn, wie gewoͤhnlich, der Canal gerade iſt, ſo macht dieſe lange Reihe von
Bruͤcken eine Art von Allee, die ein praͤchtiges Anſehen hat. Der Hauptcanal der
Provinz theilt ſich zur Rechten und Linken in verſchiedene kleinere, die ſich wieder in
eine Menge von Baͤchen zerſchneiden, die an Staͤdte und Doͤrfer hinlaufen, zuweilen
Teiche und Seen bilden, wovon die angraͤnzenden Laͤndereyen befruchtet werden.
Dieſes klare Waſſer, hin und wieder in den Plaͤnen vertheilt, mit Bruͤcken verſchoͤ-
nert, mit Fahrzeugen belebt, mit Doͤrfern untermiſcht, durch welche die Baͤche bald
hellſchimmernd bald dunkel beſchattet ihren Lauf verfolgen, macht unſtreitig eins der
heiterſten Gemaͤlde von Landſchaft. Was wuͤrde noch werden, ſagt Comte, **)
wenn die Kunſt, die oft in Frankreich die wildeſten Gegenden durch die Pracht der
Palaͤſte, durch Gaͤrten und Luſthaine verſchoͤnert, in dieſen reichen Gefilden wirkſam
wuͤrde, wo die Natur nichts geſpart hat? — Eine ſolche Landſchaft iſt zwar kein
Garten; wie leicht kann ſie aber nicht von einem Reiſenden, der ſich ganz den Ent-
zuͤckungen des Auges uͤberlaͤßt, dafuͤr angenommen werden?
Indeſſen
*) Nouveaux Mémoires ſur l’Etat préſent de China, Tom. I.
**) Lettre IV.
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