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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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der Alten und der Neuen.

Indessen ist dies eben nicht der Fall, worin sich Chambers befindet. Er
versichert, daß er sich bey den Chinesern sorgfältig nach den Grundsätzen erkundigt
habe, denen sie bey der Anlage ihrer Gärten folgen. Er nennt besonders einen chi-
nesischen
Maler Lepqua, aus dessen Erzählung er geschöpft. Wenn wir nicht glau-
ben, daß er sich von falschen Nachrichten der Chineser hat blenden lassen, die so gern
übertreiben, so gern alles, was ihre Nation betrifft, vergrößern; so läßt sich ein an-
derer Ausweg zur Erklärung dieser Sache entdecken.

Chambers hatte in seinem Vaterlande bemerkt, daß man theils noch zu sehr
der alten Manier anhieng, theils bey den neuen Versuchen in Dürftigkeit an Erfin-
dung und in manche Ausschweifungen verfiel. Er sah es mit Verdruß, daß, da
jede andere der schönen Künste so viele Lehrer hätte, die Gartenkunst allein verwaiset
zurückblieb, daß kein Mann für sie aufstand, der sie in ihre Rechte einsetzte. Er
fand in seinem Verstande und in seiner Einbildungskraft Ideen, die er der Natur
und Bestimmung der Gärten eigenthümlicher hielt, als die gewöhnlichen sind, denen
man täglich folgte. Er glaubte, daß diese Ideen mehr Aufmerksamkeit erregen,
mehr Aufnahme finden müßten, wenn sie einer entfernten Nation untergeschoben wür-
den, die schon eine wirkliche Anwendung davon gemacht hätte. Er hatte Klugheit
genug, unter diese Ideen Zusätze zu mischen, die dem Nationalgeist der Chineser
eigen sind. Kurz, er pflanzte brittische Ideen auf chinesischen Boden, um ihnen
ein mehr auffallendes Ansehen zu geben, und sie eindringender zu machen.

Diese Vermuthung wird weniger gewagt scheinen, wenn man außer allem dem,
was oben von den Chinesern angeführt worden, und woraus man keine vortheilhafte
Begriffe von ihren Gärten zu ziehen veranlaßt wird, noch die Beschreibung des
Chambers selbst etwas näher betrachtet.

Er sagt nicht, wo die herrlichen Gärten, die er schildert, liegen; auch sagt er
nicht, daß es Gärten des Kaisers oder dieser und jener Großen sind. Er nennt sie
ganz allgemein chinesische Gärten, und scheint uns überreden zu wollen, daß es
Gärten der Nation wären, Gärten, die eben so gewöhnlich in China angetroffen
würden, als die französischen in Europa. Ja, er gesteht selbst in seinem ersten
Berichte, daß die Gärten, die er in China gesehen, nur sehr klein gewesen; und
doch paßt die ganze Beschreibung blos auf große Gärten.

Demnächst erklärt er sich ausdrücklich, daß er weder mit der künstlichen, noch
mit der simpeln Manier in der Gartenkunst zufrieden sey. Jene weiche zu ausschwei-
fend von der Natur ab, diese hingegen sey eine zu gewissenhafte Anhängerinn derselben.
Eine mit Beurtheilung unternommene Vereinigung beyder Manieren würde eine dritte

hervor-
N 2
der Alten und der Neuen.

Indeſſen iſt dies eben nicht der Fall, worin ſich Chambers befindet. Er
verſichert, daß er ſich bey den Chineſern ſorgfaͤltig nach den Grundſaͤtzen erkundigt
habe, denen ſie bey der Anlage ihrer Gaͤrten folgen. Er nennt beſonders einen chi-
neſiſchen
Maler Lepqua, aus deſſen Erzaͤhlung er geſchoͤpft. Wenn wir nicht glau-
ben, daß er ſich von falſchen Nachrichten der Chineſer hat blenden laſſen, die ſo gern
uͤbertreiben, ſo gern alles, was ihre Nation betrifft, vergroͤßern; ſo laͤßt ſich ein an-
derer Ausweg zur Erklaͤrung dieſer Sache entdecken.

Chambers hatte in ſeinem Vaterlande bemerkt, daß man theils noch zu ſehr
der alten Manier anhieng, theils bey den neuen Verſuchen in Duͤrftigkeit an Erfin-
dung und in manche Ausſchweifungen verfiel. Er ſah es mit Verdruß, daß, da
jede andere der ſchoͤnen Kuͤnſte ſo viele Lehrer haͤtte, die Gartenkunſt allein verwaiſet
zuruͤckblieb, daß kein Mann fuͤr ſie aufſtand, der ſie in ihre Rechte einſetzte. Er
fand in ſeinem Verſtande und in ſeiner Einbildungskraft Ideen, die er der Natur
und Beſtimmung der Gaͤrten eigenthuͤmlicher hielt, als die gewoͤhnlichen ſind, denen
man taͤglich folgte. Er glaubte, daß dieſe Ideen mehr Aufmerkſamkeit erregen,
mehr Aufnahme finden muͤßten, wenn ſie einer entfernten Nation untergeſchoben wuͤr-
den, die ſchon eine wirkliche Anwendung davon gemacht haͤtte. Er hatte Klugheit
genug, unter dieſe Ideen Zuſaͤtze zu miſchen, die dem Nationalgeiſt der Chineſer
eigen ſind. Kurz, er pflanzte brittiſche Ideen auf chineſiſchen Boden, um ihnen
ein mehr auffallendes Anſehen zu geben, und ſie eindringender zu machen.

Dieſe Vermuthung wird weniger gewagt ſcheinen, wenn man außer allem dem,
was oben von den Chineſern angefuͤhrt worden, und woraus man keine vortheilhafte
Begriffe von ihren Gaͤrten zu ziehen veranlaßt wird, noch die Beſchreibung des
Chambers ſelbſt etwas naͤher betrachtet.

Er ſagt nicht, wo die herrlichen Gaͤrten, die er ſchildert, liegen; auch ſagt er
nicht, daß es Gaͤrten des Kaiſers oder dieſer und jener Großen ſind. Er nennt ſie
ganz allgemein chineſiſche Gaͤrten, und ſcheint uns uͤberreden zu wollen, daß es
Gaͤrten der Nation waͤren, Gaͤrten, die eben ſo gewoͤhnlich in China angetroffen
wuͤrden, als die franzoͤſiſchen in Europa. Ja, er geſteht ſelbſt in ſeinem erſten
Berichte, daß die Gaͤrten, die er in China geſehen, nur ſehr klein geweſen; und
doch paßt die ganze Beſchreibung blos auf große Gaͤrten.

Demnaͤchſt erklaͤrt er ſich ausdruͤcklich, daß er weder mit der kuͤnſtlichen, noch
mit der ſimpeln Manier in der Gartenkunſt zufrieden ſey. Jene weiche zu ausſchwei-
fend von der Natur ab, dieſe hingegen ſey eine zu gewiſſenhafte Anhaͤngerinn derſelben.
Eine mit Beurtheilung unternommene Vereinigung beyder Manieren wuͤrde eine dritte

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[99/0113] der Alten und der Neuen. Indeſſen iſt dies eben nicht der Fall, worin ſich Chambers befindet. Er verſichert, daß er ſich bey den Chineſern ſorgfaͤltig nach den Grundſaͤtzen erkundigt habe, denen ſie bey der Anlage ihrer Gaͤrten folgen. Er nennt beſonders einen chi- neſiſchen Maler Lepqua, aus deſſen Erzaͤhlung er geſchoͤpft. Wenn wir nicht glau- ben, daß er ſich von falſchen Nachrichten der Chineſer hat blenden laſſen, die ſo gern uͤbertreiben, ſo gern alles, was ihre Nation betrifft, vergroͤßern; ſo laͤßt ſich ein an- derer Ausweg zur Erklaͤrung dieſer Sache entdecken. Chambers hatte in ſeinem Vaterlande bemerkt, daß man theils noch zu ſehr der alten Manier anhieng, theils bey den neuen Verſuchen in Duͤrftigkeit an Erfin- dung und in manche Ausſchweifungen verfiel. Er ſah es mit Verdruß, daß, da jede andere der ſchoͤnen Kuͤnſte ſo viele Lehrer haͤtte, die Gartenkunſt allein verwaiſet zuruͤckblieb, daß kein Mann fuͤr ſie aufſtand, der ſie in ihre Rechte einſetzte. Er fand in ſeinem Verſtande und in ſeiner Einbildungskraft Ideen, die er der Natur und Beſtimmung der Gaͤrten eigenthuͤmlicher hielt, als die gewoͤhnlichen ſind, denen man taͤglich folgte. Er glaubte, daß dieſe Ideen mehr Aufmerkſamkeit erregen, mehr Aufnahme finden muͤßten, wenn ſie einer entfernten Nation untergeſchoben wuͤr- den, die ſchon eine wirkliche Anwendung davon gemacht haͤtte. Er hatte Klugheit genug, unter dieſe Ideen Zuſaͤtze zu miſchen, die dem Nationalgeiſt der Chineſer eigen ſind. Kurz, er pflanzte brittiſche Ideen auf chineſiſchen Boden, um ihnen ein mehr auffallendes Anſehen zu geben, und ſie eindringender zu machen. Dieſe Vermuthung wird weniger gewagt ſcheinen, wenn man außer allem dem, was oben von den Chineſern angefuͤhrt worden, und woraus man keine vortheilhafte Begriffe von ihren Gaͤrten zu ziehen veranlaßt wird, noch die Beſchreibung des Chambers ſelbſt etwas naͤher betrachtet. Er ſagt nicht, wo die herrlichen Gaͤrten, die er ſchildert, liegen; auch ſagt er nicht, daß es Gaͤrten des Kaiſers oder dieſer und jener Großen ſind. Er nennt ſie ganz allgemein chineſiſche Gaͤrten, und ſcheint uns uͤberreden zu wollen, daß es Gaͤrten der Nation waͤren, Gaͤrten, die eben ſo gewoͤhnlich in China angetroffen wuͤrden, als die franzoͤſiſchen in Europa. Ja, er geſteht ſelbſt in ſeinem erſten Berichte, daß die Gaͤrten, die er in China geſehen, nur ſehr klein geweſen; und doch paßt die ganze Beſchreibung blos auf große Gaͤrten. Demnaͤchſt erklaͤrt er ſich ausdruͤcklich, daß er weder mit der kuͤnſtlichen, noch mit der ſimpeln Manier in der Gartenkunſt zufrieden ſey. Jene weiche zu ausſchwei- fend von der Natur ab, dieſe hingegen ſey eine zu gewiſſenhafte Anhaͤngerinn derſelben. Eine mit Beurtheilung unternommene Vereinigung beyder Manieren wuͤrde eine dritte hervor- N 2

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/113>, abgerufen am 22.11.2024.