Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

se -- König Friedrich Wilhelm der Erste cha-
rakterisirte seine Gemählde durch die Losung:
in tormentis pinxit. In der That, Voltaire
schrieb hier in ebenderselben Seelenstimmung.
Sonst pflegt das Genie den Dichter über sich
selbst und alle Regeln hinweg zu setzen und
ihm Dinge zu inspiriren, die grösser als er
selbst, die göttlich sind, und die er selbst
nicht umhin kann, mit Ehrfurcht und Bewun-
derung anzustaunen. Wo ist hiervon die
kleinste Spur? Wir sind ehrgebiger, weil
wir ehrsüchtiger sind; und Voltaire war
beides in tausend Fällen, nur hier gewiss
nicht: Sein Instrument, das er sonst mei-
sterlich spielte, ist völlig verstimmt; und
war es bei diesen Umständen Wunder, dass
seine Schmeicheleien Gallicismen wurden, wie
man sie an der Seine täglich zu Tausenden hö-
ren kann? Die Briefe der Kaiserin führen
die Sprache der Natur; nur in Fällen, wenn
sie dem eitlen Voltaire ein Opfer bringen
will, zahlt sie ihm Münze von seinem Geprä-
ge, so wie jener Fürst einem unverschämten
Poeten Verse mit Versen bezahlte. Nur auf

se — König Friedrich Wilhelm der Erste cha-
rakterisirte seine Gemählde durch die Losung:
in tormentis pinxit. In der That, Voltaire
schrieb hier in ebenderselben Seelenstimmung.
Sonst pflegt das Genie den Dichter über sich
selbst und alle Regeln hinweg zu setzen und
ihm Dinge zu inspiriren, die gröſser als er
selbst, die göttlich sind, und die er selbst
nicht umhin kann, mit Ehrfurcht und Bewun-
derung anzustaunen. Wo ist hiervon die
kleinste Spur? Wir sind ehrgebiger, weil
wir ehrsüchtiger sind; und Voltaire war
beides in tausend Fällen, nur hier gewiſs
nicht: Sein Instrument, das er sonst mei-
sterlich spielte, ist völlig verstimmt; und
war es bei diesen Umständen Wunder, daſs
seine Schmeicheleien Gallicismen wurden, wie
man sie an der Seine täglich zu Tausenden hö-
ren kann? Die Briefe der Kaiserin führen
die Sprache der Natur; nur in Fällen, wenn
sie dem eitlen Voltaire ein Opfer bringen
will, zahlt sie ihm Münze von seinem Geprä-
ge, so wie jener Fürst einem unverschämten
Poëten Verse mit Versen bezahlte. Nur auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0069" n="61"/>
se &#x2014; König <hi rendition="#i">Friedrich Wilhelm der Erste</hi> cha-<lb/>
rakterisirte seine Gemählde durch die Losung:<lb/><hi rendition="#i">in tormentis pinxit</hi>. In der That, <hi rendition="#i">Voltaire</hi><lb/>
schrieb hier in ebenderselben Seelenstimmung.<lb/>
Sonst pflegt das Genie den Dichter über sich<lb/>
selbst und alle Regeln hinweg zu setzen und<lb/>
ihm Dinge zu inspiriren, die grö&#x017F;ser als er<lb/>
selbst, die göttlich sind, und die er selbst<lb/>
nicht umhin kann, mit Ehrfurcht und Bewun-<lb/>
derung anzustaunen. Wo ist hiervon die<lb/>
kleinste Spur? Wir sind ehrgebiger, weil<lb/>
wir ehrsüchtiger sind; und <hi rendition="#i">Voltaire</hi> war<lb/>
beides in tausend Fällen, nur hier gewi&#x017F;s<lb/>
nicht: Sein Instrument, das er sonst mei-<lb/>
sterlich spielte, ist völlig verstimmt; und<lb/>
war es bei diesen Umständen Wunder, da&#x017F;s<lb/>
seine Schmeicheleien Gallicismen wurden, wie<lb/>
man sie an der <hi rendition="#i">Seine</hi> täglich zu Tausenden hö-<lb/>
ren kann? Die Briefe <hi rendition="#g"><hi rendition="#k">der Kaiserin</hi></hi> führen<lb/>
die Sprache der Natur; nur in Fällen, wenn<lb/><hi rendition="#g"><hi rendition="#k">sie</hi></hi> dem eitlen <hi rendition="#i">Voltaire</hi> ein Opfer bringen<lb/>
will, zahlt <hi rendition="#g"><hi rendition="#k">sie</hi></hi> ihm Münze von seinem Geprä-<lb/>
ge, so wie jener Fürst einem unverschämten<lb/>
Poëten Verse mit Versen bezahlte. Nur auf<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0069] se — König Friedrich Wilhelm der Erste cha- rakterisirte seine Gemählde durch die Losung: in tormentis pinxit. In der That, Voltaire schrieb hier in ebenderselben Seelenstimmung. Sonst pflegt das Genie den Dichter über sich selbst und alle Regeln hinweg zu setzen und ihm Dinge zu inspiriren, die gröſser als er selbst, die göttlich sind, und die er selbst nicht umhin kann, mit Ehrfurcht und Bewun- derung anzustaunen. Wo ist hiervon die kleinste Spur? Wir sind ehrgebiger, weil wir ehrsüchtiger sind; und Voltaire war beides in tausend Fällen, nur hier gewiſs nicht: Sein Instrument, das er sonst mei- sterlich spielte, ist völlig verstimmt; und war es bei diesen Umständen Wunder, daſs seine Schmeicheleien Gallicismen wurden, wie man sie an der Seine täglich zu Tausenden hö- ren kann? Die Briefe der Kaiserin führen die Sprache der Natur; nur in Fällen, wenn sie dem eitlen Voltaire ein Opfer bringen will, zahlt sie ihm Münze von seinem Geprä- ge, so wie jener Fürst einem unverschämten Poëten Verse mit Versen bezahlte. Nur auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/69
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/69>, abgerufen am 27.04.2024.