Sittsamkeit und Enthaltung weniger Reitze hätte. Die Keuschheit des Körpers ist mit der Keuschheit der Seele und der Sprache in genauer Verbindung -- Weiber kennen so wenig die Regeln als die Gränzen der Spra- che, überschreiten die ersteren, und erweitern die letzteren -- Wie manche glückliche Be- reicherung hat die Sprache ihnen mittelbar und unmittelbar zu danken! Das Mittelmä- ssige kann im Geschlechte gar nicht aufkom- men; was sich unterscheidet, ist vorzüglich -- Sie reden zwar noch, wenn sie schweigen; keiner ihrer Blicke ist sprachlos; ihre unarti- culirten Ausdrücke der Leidenschaften, wo- durch Menschen tief in das Herz der Men- schen dringen, sind unüberwindlich --: allein, wer ist beredter als sie, wenn sie wirklich sprechen! -- Jene sprachlose Beredsamkeit kann weiter Niemand als sie auf Worte brin- gen und übersetzen. Männer sagen oft nichts, wenn sie zu viel sagen, so wie man nichts beweiset, wenn man zu viel bewiesen hat. In den Worten der Weiber, auch wenn sie überfliessen, liegt Absicht, Gewicht und Nach-
Sittsamkeit und Enthaltung weniger Reitze hätte. Die Keuschheit des Körpers ist mit der Keuschheit der Seele und der Sprache in genauer Verbindung — Weiber kennen so wenig die Regeln als die Gränzen der Spra- che, überschreiten die ersteren, und erweitern die letzteren — Wie manche glückliche Be- reicherung hat die Sprache ihnen mittelbar und unmittelbar zu danken! Das Mittelmä- ſsige kann im Geschlechte gar nicht aufkom- men; was sich unterscheidet, ist vorzüglich — Sie reden zwar noch, wenn sie schweigen; keiner ihrer Blicke ist sprachlos; ihre unarti- culirten Ausdrücke der Leidenschaften, wo- durch Menschen tief in das Herz der Men- schen dringen, sind unüberwindlich —: allein, wer ist beredter als sie, wenn sie wirklich sprechen! — Jene sprachlose Beredsamkeit kann weiter Niemand als sie auf Worte brin- gen und übersetzen. Männer sagen oft nichts, wenn sie zu viel sagen, so wie man nichts beweiset, wenn man zu viel bewiesen hat. In den Worten der Weiber, auch wenn sie überflieſsen, liegt Absicht, Gewicht und Nach-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0259"n="251"/>
Sittsamkeit und Enthaltung weniger Reitze<lb/>
hätte. Die Keuschheit des Körpers ist mit<lb/>
der Keuschheit der Seele und der Sprache in<lb/>
genauer Verbindung — Weiber kennen so<lb/>
wenig die Regeln als die Gränzen der Spra-<lb/>
che, überschreiten die ersteren, und erweitern<lb/>
die letzteren — Wie manche glückliche Be-<lb/>
reicherung hat die Sprache ihnen mittelbar<lb/>
und unmittelbar zu danken! Das Mittelmä-<lb/>ſsige kann im Geschlechte gar nicht aufkom-<lb/>
men; was sich unterscheidet, ist vorzüglich —<lb/>
Sie reden zwar noch, wenn sie schweigen;<lb/>
keiner ihrer Blicke ist sprachlos; ihre unarti-<lb/>
culirten Ausdrücke der Leidenschaften, wo-<lb/>
durch Menschen tief in das Herz der Men-<lb/>
schen dringen, sind unüberwindlich —: allein,<lb/>
wer ist beredter als sie, wenn sie wirklich<lb/>
sprechen! — Jene sprachlose Beredsamkeit<lb/>
kann weiter Niemand als sie auf Worte brin-<lb/>
gen und übersetzen. Männer sagen oft nichts,<lb/>
wenn sie zu viel sagen, so wie man nichts<lb/>
beweiset, wenn man zu viel bewiesen hat.<lb/>
In den Worten der Weiber, auch wenn sie<lb/>
überflieſsen, liegt Absicht, Gewicht und Nach-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[251/0259]
Sittsamkeit und Enthaltung weniger Reitze
hätte. Die Keuschheit des Körpers ist mit
der Keuschheit der Seele und der Sprache in
genauer Verbindung — Weiber kennen so
wenig die Regeln als die Gränzen der Spra-
che, überschreiten die ersteren, und erweitern
die letzteren — Wie manche glückliche Be-
reicherung hat die Sprache ihnen mittelbar
und unmittelbar zu danken! Das Mittelmä-
ſsige kann im Geschlechte gar nicht aufkom-
men; was sich unterscheidet, ist vorzüglich —
Sie reden zwar noch, wenn sie schweigen;
keiner ihrer Blicke ist sprachlos; ihre unarti-
culirten Ausdrücke der Leidenschaften, wo-
durch Menschen tief in das Herz der Men-
schen dringen, sind unüberwindlich —: allein,
wer ist beredter als sie, wenn sie wirklich
sprechen! — Jene sprachlose Beredsamkeit
kann weiter Niemand als sie auf Worte brin-
gen und übersetzen. Männer sagen oft nichts,
wenn sie zu viel sagen, so wie man nichts
beweiset, wenn man zu viel bewiesen hat.
In den Worten der Weiber, auch wenn sie
überflieſsen, liegt Absicht, Gewicht und Nach-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/259>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.