Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

druck. Auge und Sprache sind Ein Herz und
Eine Seele, und Weiber haben nicht nur in
ihrem Blick, in ihrem Auge und auf ihrer
Zunge Hölle und Himmel, Leben und Tod,
Wohl und Wehe; sondern selbst ihr Hören
ist von der äussersten Bedeutung -- Sie hören
anders als wir; und wer kann den Einfluss
leugnen, den das Gehör auf unsere Rede be-
hauptet? -- Ich kenne einen schwer beamte-
ten vornehmen Mann, der in dem Rufe steht,
dass er alle Menschen höre; auch hört er
wirklich Alles, was sich in seinem Vorzimmer
hören lassen will: und doch klagt alle Welt,
dass er nicht höre; -- entweder ist er zer-
streuet oder unfähig zu verstehen. Es giebt
eine moralische Taubheit bei dem besten phy-
sischen Gehör -- Man kann gütig und ge-
recht, unfreundlich und zuvorkommend hö-
ren -- Der schüchterne bescheidene Jüng-
ling zieht aus dem geneigten Gehör seines
Beschützers Muth und Leben, und man kann
abhören, anhören, aufhören, aushören und
beim Hören in eine Art von Horchen fallen,
welches durch das Ohrenspitzen in Verlegen-

druck. Auge und Sprache sind Ein Herz und
Eine Seele, und Weiber haben nicht nur in
ihrem Blick, in ihrem Auge und auf ihrer
Zunge Hölle und Himmel, Leben und Tod,
Wohl und Wehe; sondern selbst ihr Hören
ist von der äuſsersten Bedeutung — Sie hören
anders als wir; und wer kann den Einfluſs
leugnen, den das Gehör auf unsere Rede be-
hauptet? — Ich kenne einen schwer beamte-
ten vornehmen Mann, der in dem Rufe steht,
daſs er alle Menschen höre; auch hört er
wirklich Alles, was sich in seinem Vorzimmer
hören lassen will: und doch klagt alle Welt,
daſs er nicht höre; — entweder ist er zer-
streuet oder unfähig zu verstehen. Es giebt
eine moralische Taubheit bei dem besten phy-
sischen Gehör — Man kann gütig und ge-
recht, unfreundlich und zuvorkommend hö-
ren — Der schüchterne bescheidene Jüng-
ling zieht aus dem geneigten Gehör seines
Beschützers Muth und Leben, und man kann
abhören, anhören, aufhören, aushören und
beim Hören in eine Art von Horchen fallen,
welches durch das Ohrenspitzen in Verlegen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0260" n="252"/>
druck. Auge und Sprache sind Ein Herz und<lb/>
Eine Seele, und Weiber haben nicht nur in<lb/>
ihrem Blick, in ihrem Auge und auf ihrer<lb/>
Zunge Hölle und Himmel, Leben und Tod,<lb/>
Wohl und Wehe; sondern selbst ihr Hören<lb/>
ist von der äu&#x017F;sersten Bedeutung &#x2014; Sie hören<lb/>
anders als wir; und wer kann den Einflu&#x017F;s<lb/>
leugnen, den das Gehör auf unsere Rede be-<lb/>
hauptet? &#x2014; Ich kenne einen schwer beamte-<lb/>
ten vornehmen Mann, der in dem Rufe steht,<lb/>
da&#x017F;s er alle Menschen höre; auch hört er<lb/>
wirklich Alles, was sich in seinem Vorzimmer<lb/>
hören lassen will: und doch klagt alle Welt,<lb/>
da&#x017F;s er nicht höre; &#x2014; entweder ist er zer-<lb/>
streuet oder unfähig zu verstehen. Es giebt<lb/>
eine moralische Taubheit bei dem besten phy-<lb/>
sischen Gehör &#x2014; Man kann gütig und ge-<lb/>
recht, unfreundlich und zuvorkommend hö-<lb/>
ren &#x2014; Der schüchterne bescheidene Jüng-<lb/>
ling zieht aus dem geneigten Gehör seines<lb/>
Beschützers Muth und Leben, und man kann<lb/>
abhören, anhören, aufhören, aushören und<lb/>
beim Hören in eine Art von Horchen fallen,<lb/>
welches durch das Ohrenspitzen in Verlegen-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0260] druck. Auge und Sprache sind Ein Herz und Eine Seele, und Weiber haben nicht nur in ihrem Blick, in ihrem Auge und auf ihrer Zunge Hölle und Himmel, Leben und Tod, Wohl und Wehe; sondern selbst ihr Hören ist von der äuſsersten Bedeutung — Sie hören anders als wir; und wer kann den Einfluſs leugnen, den das Gehör auf unsere Rede be- hauptet? — Ich kenne einen schwer beamte- ten vornehmen Mann, der in dem Rufe steht, daſs er alle Menschen höre; auch hört er wirklich Alles, was sich in seinem Vorzimmer hören lassen will: und doch klagt alle Welt, daſs er nicht höre; — entweder ist er zer- streuet oder unfähig zu verstehen. Es giebt eine moralische Taubheit bei dem besten phy- sischen Gehör — Man kann gütig und ge- recht, unfreundlich und zuvorkommend hö- ren — Der schüchterne bescheidene Jüng- ling zieht aus dem geneigten Gehör seines Beschützers Muth und Leben, und man kann abhören, anhören, aufhören, aushören und beim Hören in eine Art von Horchen fallen, welches durch das Ohrenspitzen in Verlegen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/260
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/260>, abgerufen am 13.05.2024.