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Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792.

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zugehen -- Schon längst hatte man verlernt,
dass die Ehe eine gleiche Gesellschaft sei,
dass die Herrschaft im Ehestande eine beider-
seitige Herrschaft der Eheleute neben einander
bleibe, und dass der Mann sie sich nur durch
einen ausdrücklichen Vertrag zueignen könne?
"Nicht auch durch einen stillschweigenden?"
Ach freilich! hätt' ich doch diese stumme
Sünde beinahe vergessen. Die Geschichte ge-
denkt eines naseweisen Knaben, Papirius, im
Besten, weil er, seine Mutter zu betrügen,
schon in frühen Jahren reif genug befunden
war. Er begleitete, nach damaliger Sitte, sei-
nen Vater, wenn Se. wohlweise Gestrengig-
keit auf das Rathhaus ging; und da seine
Mutter die Debatten des Tages vom Papirius
zu wissen verlangte, so schob er ihr eine baa-
re Unwahrheit unter. "Es wäre, sagte er, die
Frage zur Motion gediehen: Ob es besser sei,
dass ein Mann zwei Weiber, oder ein Weib
zwei Männer habe." -- -- Welch eine Er-
niedrigung, dass eine Mutter bei einem Kna-
ben, und, was noch mehr sagen will, bei ih-
rem leiblichen Sohne, nach den Dekreten ei-

ner

zugehen — Schon längst hatte man verlernt,
daſs die Ehe eine gleiche Gesellschaft sei,
daſs die Herrschaft im Ehestande eine beider-
seitige Herrschaft der Eheleute neben einander
bleibe, und daſs der Mann sie sich nur durch
einen ausdrücklichen Vertrag zueignen könne?
»Nicht auch durch einen stillschweigenden
Ach freilich! hätt’ ich doch diese stumme
Sünde beinahe vergessen. Die Geschichte ge-
denkt eines naseweisen Knaben, Papirius, im
Besten, weil er, seine Mutter zu betrügen,
schon in frühen Jahren reif genug befunden
war. Er begleitete, nach damaliger Sitte, sei-
nen Vater, wenn Se. wohlweise Gestrengig-
keit auf das Rathhaus ging; und da seine
Mutter die Debatten des Tages vom Papirius
zu wissen verlangte, so schob er ihr eine baa-
re Unwahrheit unter. »Es wäre, sagte er, die
Frage zur Motion gediehen: Ob es besser sei,
daſs ein Mann zwei Weiber, oder ein Weib
zwei Männer habe.» — — Welch eine Er-
niedrigung, daſs eine Mutter bei einem Kna-
ben, und, was noch mehr sagen will, bei ih-
rem leiblichen Sohne, nach den Dekreten ei-

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[160/0168] zugehen — Schon längst hatte man verlernt, daſs die Ehe eine gleiche Gesellschaft sei, daſs die Herrschaft im Ehestande eine beider- seitige Herrschaft der Eheleute neben einander bleibe, und daſs der Mann sie sich nur durch einen ausdrücklichen Vertrag zueignen könne? »Nicht auch durch einen stillschweigenden?» Ach freilich! hätt’ ich doch diese stumme Sünde beinahe vergessen. Die Geschichte ge- denkt eines naseweisen Knaben, Papirius, im Besten, weil er, seine Mutter zu betrügen, schon in frühen Jahren reif genug befunden war. Er begleitete, nach damaliger Sitte, sei- nen Vater, wenn Se. wohlweise Gestrengig- keit auf das Rathhaus ging; und da seine Mutter die Debatten des Tages vom Papirius zu wissen verlangte, so schob er ihr eine baa- re Unwahrheit unter. »Es wäre, sagte er, die Frage zur Motion gediehen: Ob es besser sei, daſs ein Mann zwei Weiber, oder ein Weib zwei Männer habe.» — — Welch eine Er- niedrigung, daſs eine Mutter bei einem Kna- ben, und, was noch mehr sagen will, bei ih- rem leiblichen Sohne, nach den Dekreten ei- ner

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/168>, abgerufen am 28.04.2024.