weil die Gelübde nicht gehalten werden, nicht zu halten sind? nur da gehalten werden dür- fen, wo die Natur in speciellen Fällen mit- wirkt? Ei, Lieber! wer hält seinen Amtseid? und wird dieser Eid erlassen? Der grössten Versuchungen zu falschen Aussagen ungeach- tet, findet der Richter, oder -- was mehr sa- gen will -- der Gesetzgeber keine Bedenklich- keit, Eiden auszuweichen; und geht denn wirklich das Versprechen der ehelichen Treue, auf welchem die Würde, Sicherheit und Wohl- fahrt des Staates, das Glück des häuslichen Standes, (des angenehmsten und tröstlichsten im menschlichen Leben) und aller Fleiss, alle Betriebsamkeit beruhen, über das Vermögen der Menschen? Hast du nicht liebe getreue Ehegenossen gekannt? Ein menschliches Schau- spiel, das Engel zu sehen gelüsten könnte! Unglücklicher! was ist dir die Menschheit werth, wenn sie so tief gesunken wäre! Ich suche den Grund dieser, von unseren eiderei- chen Vorfahren auf uns gleich eidgierige Nach- kommen gebrachten, denkwürdigen Gewohn- heit in der Befürchtung, dass man Eide einer
weil die Gelübde nicht gehalten werden, nicht zu halten sind? nur da gehalten werden dür- fen, wo die Natur in speciellen Fällen mit- wirkt? Ei, Lieber! wer hält seinen Amtseid? und wird dieser Eid erlassen? Der gröſsten Versuchungen zu falschen Aussagen ungeach- tet, findet der Richter, oder — was mehr sa- gen will — der Gesetzgeber keine Bedenklich- keit, Eiden auszuweichen; und geht denn wirklich das Versprechen der ehelichen Treue, auf welchem die Würde, Sicherheit und Wohl- fahrt des Staates, das Glück des häuslichen Standes, (des angenehmsten und tröstlichsten im menschlichen Leben) und aller Fleiſs, alle Betriebsamkeit beruhen, über das Vermögen der Menschen? Hast du nicht liebe getreue Ehegenossen gekannt? Ein menschliches Schau- spiel, das Engel zu sehen gelüsten könnte! Unglücklicher! was ist dir die Menschheit werth, wenn sie so tief gesunken wäre! Ich suche den Grund dieser, von unseren eiderei- chen Vorfahren auf uns gleich eidgierige Nach- kommen gebrachten, denkwürdigen Gewohn- heit in der Befürchtung, daſs man Eide einer
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0116"n="108"/>
weil die Gelübde nicht gehalten werden, nicht<lb/>
zu halten sind? nur da gehalten werden dür-<lb/>
fen, wo die Natur in speciellen Fällen mit-<lb/>
wirkt? Ei, Lieber! wer hält seinen Amtseid?<lb/>
und wird dieser Eid erlassen? Der gröſsten<lb/>
Versuchungen zu falschen Aussagen ungeach-<lb/>
tet, findet der Richter, oder — was mehr sa-<lb/>
gen will — der Gesetzgeber keine Bedenklich-<lb/>
keit, Eiden auszuweichen; und geht denn<lb/>
wirklich das Versprechen der ehelichen Treue,<lb/>
auf welchem die Würde, Sicherheit und Wohl-<lb/>
fahrt des Staates, das Glück des häuslichen<lb/>
Standes, (des angenehmsten und tröstlichsten<lb/>
im menschlichen Leben) und aller Fleiſs, alle<lb/>
Betriebsamkeit beruhen, über das Vermögen<lb/>
der Menschen? Hast du nicht liebe getreue<lb/>
Ehegenossen gekannt? Ein menschliches Schau-<lb/>
spiel, das Engel zu sehen gelüsten könnte!<lb/>
Unglücklicher! was ist dir die Menschheit<lb/>
werth, wenn sie so tief gesunken wäre! Ich<lb/>
suche den Grund dieser, von unseren eiderei-<lb/>
chen Vorfahren auf uns gleich eidgierige Nach-<lb/>
kommen gebrachten, denkwürdigen Gewohn-<lb/>
heit in der Befürchtung, daſs man Eide einer<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[108/0116]
weil die Gelübde nicht gehalten werden, nicht
zu halten sind? nur da gehalten werden dür-
fen, wo die Natur in speciellen Fällen mit-
wirkt? Ei, Lieber! wer hält seinen Amtseid?
und wird dieser Eid erlassen? Der gröſsten
Versuchungen zu falschen Aussagen ungeach-
tet, findet der Richter, oder — was mehr sa-
gen will — der Gesetzgeber keine Bedenklich-
keit, Eiden auszuweichen; und geht denn
wirklich das Versprechen der ehelichen Treue,
auf welchem die Würde, Sicherheit und Wohl-
fahrt des Staates, das Glück des häuslichen
Standes, (des angenehmsten und tröstlichsten
im menschlichen Leben) und aller Fleiſs, alle
Betriebsamkeit beruhen, über das Vermögen
der Menschen? Hast du nicht liebe getreue
Ehegenossen gekannt? Ein menschliches Schau-
spiel, das Engel zu sehen gelüsten könnte!
Unglücklicher! was ist dir die Menschheit
werth, wenn sie so tief gesunken wäre! Ich
suche den Grund dieser, von unseren eiderei-
chen Vorfahren auf uns gleich eidgierige Nach-
kommen gebrachten, denkwürdigen Gewohn-
heit in der Befürchtung, daſs man Eide einer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/116>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.