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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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dichterin der Gegend war, sagte, daß ihre
Worte die Herzen, wie die Morgensonne die
Blumen, öfnete, daß sie da stünden, wie die
Blumenkelche. -- Seht, so hat die Natur
selbst ihre Kunst. Es ist ein sehr bekanntes
Sprüchwort: wie die Natur spielt!

Einst träumte meiner Mutter, daß Min-
chen sie auf ein himmlisches Vocal-Concert
einladen lies, bey welchem mein Vater, der
wahrlich dißeitig auch selbst nach dem Bran-
de nicht sehr musikalisch war, und nur den
zweyten Diskant versucht hatte, eine Haupt-
stimme übernehmen würde. Ehe sie antwor-
ten konnte, war das Gesicht verschwunden.
Diese Einladung blieb sehr lebhaft in ihrer
Seele. Des Tages auf diesen Traum gieng
meine Mutter, die Seelenbesorgerin! zu einer
Kranken (es war die Mutter des armen klei-
nen Jungen, der seinen Milchtopf zerbrochen
hatte, und dem Minchen aus der Noth half,
indem sie behauptete, daß sie schnell zugegan-
gen, und da wäre der Topf hin gewesen) Sie
hatte eine hitzige Krankheit; ein ländlicher
Universalnamen aller Krankheiten. O meine
Lehrerin, schrie ihr die hitzig kranke zu, ich
bin diese Nacht zu Gaste bey Minchen gebe-
ten, auf ein Gericht Manna, wo ich mit Abra-

ham,
E

dichterin der Gegend war, ſagte, daß ihre
Worte die Herzen, wie die Morgenſonne die
Blumen, oͤfnete, daß ſie da ſtuͤnden, wie die
Blumenkelche. — Seht, ſo hat die Natur
ſelbſt ihre Kunſt. Es iſt ein ſehr bekanntes
Spruͤchwort: wie die Natur ſpielt!

Einſt traͤumte meiner Mutter, daß Min-
chen ſie auf ein himmliſches Vocal-Concert
einladen lies, bey welchem mein Vater, der
wahrlich dißeitig auch ſelbſt nach dem Bran-
de nicht ſehr muſikaliſch war, und nur den
zweyten Diſkant verſucht hatte, eine Haupt-
ſtimme uͤbernehmen wuͤrde. Ehe ſie antwor-
ten konnte, war das Geſicht verſchwunden.
Dieſe Einladung blieb ſehr lebhaft in ihrer
Seele. Des Tages auf dieſen Traum gieng
meine Mutter, die Seelenbeſorgerin! zu einer
Kranken (es war die Mutter des armen klei-
nen Jungen, der ſeinen Milchtopf zerbrochen
hatte, und dem Minchen aus der Noth half,
indem ſie behauptete, daß ſie ſchnell zugegan-
gen, und da waͤre der Topf hin geweſen) Sie
hatte eine hitzige Krankheit; ein laͤndlicher
Univerſalnamen aller Krankheiten. O meine
Lehrerin, ſchrie ihr die hitzig kranke zu, ich
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ten, auf ein Gericht Manna, wo ich mit Abra-

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[65/0071] dichterin der Gegend war, ſagte, daß ihre Worte die Herzen, wie die Morgenſonne die Blumen, oͤfnete, daß ſie da ſtuͤnden, wie die Blumenkelche. — Seht, ſo hat die Natur ſelbſt ihre Kunſt. Es iſt ein ſehr bekanntes Spruͤchwort: wie die Natur ſpielt! Einſt traͤumte meiner Mutter, daß Min- chen ſie auf ein himmliſches Vocal-Concert einladen lies, bey welchem mein Vater, der wahrlich dißeitig auch ſelbſt nach dem Bran- de nicht ſehr muſikaliſch war, und nur den zweyten Diſkant verſucht hatte, eine Haupt- ſtimme uͤbernehmen wuͤrde. Ehe ſie antwor- ten konnte, war das Geſicht verſchwunden. Dieſe Einladung blieb ſehr lebhaft in ihrer Seele. Des Tages auf dieſen Traum gieng meine Mutter, die Seelenbeſorgerin! zu einer Kranken (es war die Mutter des armen klei- nen Jungen, der ſeinen Milchtopf zerbrochen hatte, und dem Minchen aus der Noth half, indem ſie behauptete, daß ſie ſchnell zugegan- gen, und da waͤre der Topf hin geweſen) Sie hatte eine hitzige Krankheit; ein laͤndlicher Univerſalnamen aller Krankheiten. O meine Lehrerin, ſchrie ihr die hitzig kranke zu, ich bin dieſe Nacht zu Gaſte bey Minchen gebe- ten, auf ein Gericht Manna, wo ich mit Abra- ham, E

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/71>, abgerufen am 07.05.2024.