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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Was jene weise Frau zum Feldhauptmann
Joab sagte, da er Abel bestürmte: Vor Zei-
ten sprach man: wer fragen will, der
frage zu Abel, und so giengs wohl aus
,
das galt von meiner Mutter und ihrem Ra-
the, den sie keinem entzog, der ihn begehrte.
Das Pastorat blieb wie gewöhnlich lange er-
ledigt, und meine Mutter hatte also Gelegen-
heit, ihre Gaben in mancherley Art unter die
Kirchspielsleute zu bringen. Da zersprang
ein Felsenherz, welches vieljährige Bosheit
gehärtet hatte; da taute der Frost, wie vom
Märzschein auf, wenn sie ermahnte, wenn
sie lehrte. Zwar hatt' ein benachbarter von
Adel sich über sie gar lustig ausgelaßen, daß
sie ihm wie ein flügellahmer Storch vorkäme,
der den Winter zurückgeblieben; allein dies
war ihr kein Stein des Anstoßes, kein Fels
der Aergernis. Rache war nie ihre Sache,
wie sie sagte. Man fand das kunstlose Al-
terthum, wenn man sie sahe. Ihre sehr
treuherzige Art zog ihr alle Herzen zu. Sie
war keine Blendlaterne, die von allen Seiten
zugezogen ist, sondern eine gläserne Lampe,
die überall Licht zeigt, wo man sieht. -- Eine
Fackel war sie nicht, und wollt' es auch nicht
seyn. Ein Dorfmädchen, das eine Haupt-

dichterin

Was jene weiſe Frau zum Feldhauptmann
Joab ſagte, da er Abel beſtuͤrmte: Vor Zei-
ten ſprach man: wer fragen will, der
frage zu Abel, und ſo giengs wohl aus
,
das galt von meiner Mutter und ihrem Ra-
the, den ſie keinem entzog, der ihn begehrte.
Das Paſtorat blieb wie gewoͤhnlich lange er-
ledigt, und meine Mutter hatte alſo Gelegen-
heit, ihre Gaben in mancherley Art unter die
Kirchſpielsleute zu bringen. Da zerſprang
ein Felſenherz, welches vieljaͤhrige Bosheit
gehaͤrtet hatte; da taute der Froſt, wie vom
Maͤrzſchein auf, wenn ſie ermahnte, wenn
ſie lehrte. Zwar hatt’ ein benachbarter von
Adel ſich uͤber ſie gar luſtig ausgelaßen, daß
ſie ihm wie ein fluͤgellahmer Storch vorkaͤme,
der den Winter zuruͤckgeblieben; allein dies
war ihr kein Stein des Anſtoßes, kein Fels
der Aergernis. Rache war nie ihre Sache,
wie ſie ſagte. Man fand das kunſtloſe Al-
terthum, wenn man ſie ſahe. Ihre ſehr
treuherzige Art zog ihr alle Herzen zu. Sie
war keine Blendlaterne, die von allen Seiten
zugezogen iſt, ſondern eine glaͤſerne Lampe,
die uͤberall Licht zeigt, wo man ſieht. — Eine
Fackel war ſie nicht, und wollt’ es auch nicht
ſeyn. Ein Dorfmaͤdchen, das eine Haupt-

dichterin
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[64/0070] Was jene weiſe Frau zum Feldhauptmann Joab ſagte, da er Abel beſtuͤrmte: Vor Zei- ten ſprach man: wer fragen will, der frage zu Abel, und ſo giengs wohl aus, das galt von meiner Mutter und ihrem Ra- the, den ſie keinem entzog, der ihn begehrte. Das Paſtorat blieb wie gewoͤhnlich lange er- ledigt, und meine Mutter hatte alſo Gelegen- heit, ihre Gaben in mancherley Art unter die Kirchſpielsleute zu bringen. Da zerſprang ein Felſenherz, welches vieljaͤhrige Bosheit gehaͤrtet hatte; da taute der Froſt, wie vom Maͤrzſchein auf, wenn ſie ermahnte, wenn ſie lehrte. Zwar hatt’ ein benachbarter von Adel ſich uͤber ſie gar luſtig ausgelaßen, daß ſie ihm wie ein fluͤgellahmer Storch vorkaͤme, der den Winter zuruͤckgeblieben; allein dies war ihr kein Stein des Anſtoßes, kein Fels der Aergernis. Rache war nie ihre Sache, wie ſie ſagte. Man fand das kunſtloſe Al- terthum, wenn man ſie ſahe. Ihre ſehr treuherzige Art zog ihr alle Herzen zu. Sie war keine Blendlaterne, die von allen Seiten zugezogen iſt, ſondern eine glaͤſerne Lampe, die uͤberall Licht zeigt, wo man ſieht. — Eine Fackel war ſie nicht, und wollt’ es auch nicht ſeyn. Ein Dorfmaͤdchen, das eine Haupt- dichterin

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/70>, abgerufen am 07.05.2024.