Wer nicht zuweilen Himmel und Erde in Eins gefühlt hat, Seel und Leib in Einer Person -- Wer nicht Muth gehabt, im di- cken Walde, die heiligen Schauer, aus sei- nem Grabe herausgestiegen, zu empfinden, und die Stimme der menschenfeindlichen Ei- che verstanden: aus mir wird einst dein Sarg geschnitten! muß freylich ganze Bogen dieses Buchs unausstehlich finden. Wer aber die- ses Gefühl kennt, das sich nicht untersteht, einen Ausdruck zu wagen, damit ihn nicht ein Bote Gottes ungewählt fände! Mit dem geh' ich zusammen. Hebt sich dein Herz, wird dein Busen entzündet, komm in Charlottens Laube! und wo du sonst willst, hier ist meine Hand! --
Ein Mensch, der zu empfinden weiß, daß er nicht mehr brauche, als zu leben, daß alle Reichthümer Schätze sind, die Motten und Rost fressen, und wornach Diebe gra- ben, um sie zu stehlen, erhält eine gewisse edle Art, ein wahres Geniegefühl, das allen Hoch- und Hochwohlgebohrnen Zwang ver- schmäht, sich entsattelt, und den Reuter ver- achtet, der sich ihm aufbürden will! -- Das ist ein Genie! --
Muttermähler der Sinnlichkeit und Schönpflästerchen sind so unterschieden, als
ein
Wer nicht zuweilen Himmel und Erde in Eins gefuͤhlt hat, Seel und Leib in Einer Perſon — Wer nicht Muth gehabt, im di- cken Walde, die heiligen Schauer, aus ſei- nem Grabe herausgeſtiegen, zu empfinden, und die Stimme der menſchenfeindlichen Ei- che verſtanden: aus mir wird einſt dein Sarg geſchnitten! muß freylich ganze Bogen dieſes Buchs unausſtehlich finden. Wer aber die- ſes Gefuͤhl kennt, das ſich nicht unterſteht, einen Ausdruck zu wagen, damit ihn nicht ein Bote Gottes ungewaͤhlt faͤnde! Mit dem geh’ ich zuſammen. Hebt ſich dein Herz, wird dein Buſen entzuͤndet, komm in Charlottens Laube! und wo du ſonſt willſt, hier iſt meine Hand! —
Ein Menſch, der zu empfinden weiß, daß er nicht mehr brauche, als zu leben, daß alle Reichthuͤmer Schaͤtze ſind, die Motten und Roſt freſſen, und wornach Diebe gra- ben, um ſie zu ſtehlen, erhaͤlt eine gewiſſe edle Art, ein wahres Geniegefuͤhl, das allen Hoch- und Hochwohlgebohrnen Zwang ver- ſchmaͤht, ſich entſattelt, und den Reuter ver- achtet, der ſich ihm aufbuͤrden will! — Das iſt ein Genie! —
Muttermaͤhler der Sinnlichkeit und Schoͤnpflaͤſterchen ſind ſo unterſchieden, als
ein
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0592"n="582"/><p>Wer nicht zuweilen Himmel und Erde in<lb/>
Eins gefuͤhlt hat, Seel und Leib in Einer<lb/>
Perſon — Wer nicht Muth gehabt, im di-<lb/>
cken Walde, die heiligen Schauer, aus ſei-<lb/>
nem Grabe herausgeſtiegen, zu empfinden,<lb/>
und die Stimme der menſchenfeindlichen Ei-<lb/>
che verſtanden: aus mir wird einſt dein Sarg<lb/>
geſchnitten! muß freylich ganze Bogen dieſes<lb/>
Buchs unausſtehlich finden. Wer aber die-<lb/>ſes Gefuͤhl kennt, das ſich nicht unterſteht,<lb/>
einen Ausdruck zu wagen, damit ihn nicht ein<lb/>
Bote Gottes ungewaͤhlt faͤnde! Mit dem geh’<lb/>
ich zuſammen. Hebt ſich dein Herz, wird dein<lb/>
Buſen entzuͤndet, komm in Charlottens Laube!<lb/>
und wo du ſonſt willſt, hier iſt meine Hand! —</p><lb/><p>Ein Menſch, der zu empfinden weiß, daß<lb/>
er nicht mehr brauche, als zu leben, daß<lb/>
alle Reichthuͤmer Schaͤtze ſind, die Motten<lb/>
und Roſt freſſen, und wornach Diebe gra-<lb/>
ben, um ſie zu ſtehlen, erhaͤlt eine gewiſſe<lb/>
edle Art, ein wahres Geniegefuͤhl, das allen<lb/>
Hoch- und Hochwohlgebohrnen Zwang ver-<lb/>ſchmaͤht, ſich entſattelt, und den Reuter ver-<lb/>
achtet, der ſich ihm aufbuͤrden will! — Das<lb/>
iſt ein Genie! —</p><lb/><p>Muttermaͤhler der Sinnlichkeit und<lb/>
Schoͤnpflaͤſterchen ſind ſo unterſchieden, als<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ein</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[582/0592]
Wer nicht zuweilen Himmel und Erde in
Eins gefuͤhlt hat, Seel und Leib in Einer
Perſon — Wer nicht Muth gehabt, im di-
cken Walde, die heiligen Schauer, aus ſei-
nem Grabe herausgeſtiegen, zu empfinden,
und die Stimme der menſchenfeindlichen Ei-
che verſtanden: aus mir wird einſt dein Sarg
geſchnitten! muß freylich ganze Bogen dieſes
Buchs unausſtehlich finden. Wer aber die-
ſes Gefuͤhl kennt, das ſich nicht unterſteht,
einen Ausdruck zu wagen, damit ihn nicht ein
Bote Gottes ungewaͤhlt faͤnde! Mit dem geh’
ich zuſammen. Hebt ſich dein Herz, wird dein
Buſen entzuͤndet, komm in Charlottens Laube!
und wo du ſonſt willſt, hier iſt meine Hand! —
Ein Menſch, der zu empfinden weiß, daß
er nicht mehr brauche, als zu leben, daß
alle Reichthuͤmer Schaͤtze ſind, die Motten
und Roſt freſſen, und wornach Diebe gra-
ben, um ſie zu ſtehlen, erhaͤlt eine gewiſſe
edle Art, ein wahres Geniegefuͤhl, das allen
Hoch- und Hochwohlgebohrnen Zwang ver-
ſchmaͤht, ſich entſattelt, und den Reuter ver-
achtet, der ſich ihm aufbuͤrden will! — Das
iſt ein Genie! —
Muttermaͤhler der Sinnlichkeit und
Schoͤnpflaͤſterchen ſind ſo unterſchieden, als
ein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/592>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.