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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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unters Kinn greife -- Warum nicht, lie-
ber Vater? Ein Eheweib darf nichts enteh-
rendes finden, als ein Schelmstück, und da
sey Gott für! -- -- Wahrlich eine gewisse
unzeitige Schaam hat unser Geschlecht un-
ter dem Vorwande, es zu heben, so herun-
ter gebracht, daß die wenigsten wissen, was
sie thun.

Dem guten Vater fällt oft was auf die
Nerven, was andere keinen Augenblick an-
hält --

Ehrenthalber, sagt mein Mann, ist
der unausstehlichste Ausdruck, den ich kenne,
und beym Kratzfuß des alten Herrn pflegt' er
zu sagen: warum verstellst du deine Ge-
berde?
--

Der alte Herr ist, so oft er kommt, ein
mir sehr lieber Gast! Was mir das leid
thut, daß er am Hochzeittage am kleinen Tisch
saß! So oft er kommt, muß er mir: Ich
hab mein Sach Gott heimge-
stelt
etc. spielen und da sing ich es denn
so herzlich, daß ich ihn noch jedesmahl wei-
nen gesehen! Auch ich weine! Es ist ein
Regenlied.

Mein Mann beschuldigt mich, daß ich zu
spitzig bin. Noch hab ich keinem, als mir

selbst,
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unters Kinn greife — Warum nicht, lie-
ber Vater? Ein Eheweib darf nichts enteh-
rendes finden, als ein Schelmſtuͤck, und da
ſey Gott fuͤr! — — Wahrlich eine gewiſſe
unzeitige Schaam hat unſer Geſchlecht un-
ter dem Vorwande, es zu heben, ſo herun-
ter gebracht, daß die wenigſten wiſſen, was
ſie thun.

Dem guten Vater faͤllt oft was auf die
Nerven, was andere keinen Augenblick an-
haͤlt —

Ehrenthalber, ſagt mein Mann, iſt
der unausſtehlichſte Ausdruck, den ich kenne,
und beym Kratzfuß des alten Herrn pflegt’ er
zu ſagen: warum verſtellſt du deine Ge-
berde?

Der alte Herr iſt, ſo oft er kommt, ein
mir ſehr lieber Gaſt! Was mir das leid
thut, daß er am Hochzeittage am kleinen Tiſch
ſaß! So oft er kommt, muß er mir: Ich
hab mein Sach Gott heimge-
ſtelt
ꝛc. ſpielen und da ſing ich es denn
ſo herzlich, daß ich ihn noch jedesmahl wei-
nen geſehen! Auch ich weine! Es iſt ein
Regenlied.

Mein Mann beſchuldigt mich, daß ich zu
ſpitzig bin. Noch hab ich keinem, als mir

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[547/0557] unters Kinn greife — Warum nicht, lie- ber Vater? Ein Eheweib darf nichts enteh- rendes finden, als ein Schelmſtuͤck, und da ſey Gott fuͤr! — — Wahrlich eine gewiſſe unzeitige Schaam hat unſer Geſchlecht un- ter dem Vorwande, es zu heben, ſo herun- ter gebracht, daß die wenigſten wiſſen, was ſie thun. Dem guten Vater faͤllt oft was auf die Nerven, was andere keinen Augenblick an- haͤlt — Ehrenthalber, ſagt mein Mann, iſt der unausſtehlichſte Ausdruck, den ich kenne, und beym Kratzfuß des alten Herrn pflegt’ er zu ſagen: warum verſtellſt du deine Ge- berde? — Der alte Herr iſt, ſo oft er kommt, ein mir ſehr lieber Gaſt! Was mir das leid thut, daß er am Hochzeittage am kleinen Tiſch ſaß! So oft er kommt, muß er mir: Ich hab mein Sach Gott heimge- ſtelt ꝛc. ſpielen und da ſing ich es denn ſo herzlich, daß ich ihn noch jedesmahl wei- nen geſehen! Auch ich weine! Es iſt ein Regenlied. Mein Mann beſchuldigt mich, daß ich zu ſpitzig bin. Noch hab ich keinem, als mir ſelbſt, M m 2

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/557>, abgerufen am 18.05.2024.