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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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nen, und catechisirte alle, die nur hören und
antworten wollten, wogegen ihr nur Dispu-
tationen haltet -- --

Da fiel es ihm ein, daß er mit den Akade-
mien Friede gemacht, und daß Junker Gott-
hard und ich reisefertig wären --

Sokrates hatte an den Sophisten die größ-
ten Feinde. Die Schriftgelehrten hetzten den
Aristophanes wider ihn auf, der ihn in einem
Lustspiel lächerlich machte. Sokrates sahe
sich auf dem Theater; allein dieser große
Selbstkenner kannte sich nicht, obgleich die
Gallerie einmal übers andre bravo! getrof-
fen! rief, und dem Schauspieler klatschte.
Wer im siebenzigsten Jahre durch Urtel und
Recht stirbt, kann mit Wahrheit sagen, daß
eben dies Urtel die Natur schon über die ge-
strenge Herren Richter selbst ausgesprochen
hätte. Unser Leben währet siebenzig Jahre.


Ich würde, geliebter Leser! diese Unterre-
dung gerne unberührt gelassen haben; allein
eben jezt, da ich dieses schreibe, verfolgen mich
ein Paar Sophisten Anytus und Melitus, die
Gevattern von meinem Aristophanes sind.

Ein

nen, und catechiſirte alle, die nur hoͤren und
antworten wollten, wogegen ihr nur Diſpu-
tationen haltet — —

Da fiel es ihm ein, daß er mit den Akade-
mien Friede gemacht, und daß Junker Gott-
hard und ich reiſefertig waͤren —

Sokrates hatte an den Sophiſten die groͤß-
ten Feinde. Die Schriftgelehrten hetzten den
Ariſtophanes wider ihn auf, der ihn in einem
Luſtſpiel laͤcherlich machte. Sokrates ſahe
ſich auf dem Theater; allein dieſer große
Selbſtkenner kannte ſich nicht, obgleich die
Gallerie einmal uͤbers andre bravo! getrof-
fen! rief, und dem Schauſpieler klatſchte.
Wer im ſiebenzigſten Jahre durch Urtel und
Recht ſtirbt, kann mit Wahrheit ſagen, daß
eben dies Urtel die Natur ſchon uͤber die ge-
ſtrenge Herren Richter ſelbſt ausgeſprochen
haͤtte. Unſer Leben waͤhret ſiebenzig Jahre.


Ich wuͤrde, geliebter Leſer! dieſe Unterre-
dung gerne unberuͤhrt gelaſſen haben; allein
eben jezt, da ich dieſes ſchreibe, verfolgen mich
ein Paar Sophiſten Anytus und Melitus, die
Gevattern von meinem Ariſtophanes ſind.

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[267/0273] nen, und catechiſirte alle, die nur hoͤren und antworten wollten, wogegen ihr nur Diſpu- tationen haltet — — Da fiel es ihm ein, daß er mit den Akade- mien Friede gemacht, und daß Junker Gott- hard und ich reiſefertig waͤren — Sokrates hatte an den Sophiſten die groͤß- ten Feinde. Die Schriftgelehrten hetzten den Ariſtophanes wider ihn auf, der ihn in einem Luſtſpiel laͤcherlich machte. Sokrates ſahe ſich auf dem Theater; allein dieſer große Selbſtkenner kannte ſich nicht, obgleich die Gallerie einmal uͤbers andre bravo! getrof- fen! rief, und dem Schauſpieler klatſchte. Wer im ſiebenzigſten Jahre durch Urtel und Recht ſtirbt, kann mit Wahrheit ſagen, daß eben dies Urtel die Natur ſchon uͤber die ge- ſtrenge Herren Richter ſelbſt ausgeſprochen haͤtte. Unſer Leben waͤhret ſiebenzig Jahre. Ich wuͤrde, geliebter Leſer! dieſe Unterre- dung gerne unberuͤhrt gelaſſen haben; allein eben jezt, da ich dieſes ſchreibe, verfolgen mich ein Paar Sophiſten Anytus und Melitus, die Gevattern von meinem Ariſtophanes ſind. Ein

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/273>, abgerufen am 27.11.2024.