er eigentlich nicht geschloßen, sondern zu- gedruckt hatte. Es schien so, als wär der Schlüßel abgedreht. Eine Auferstehung ge- hörte dazu, um diese verschloßenen Augenthü- ren zu öfnen. Alles war dicht zu, auf beyden Wangen. Von der Mitte der Nase an, bis ganz herunter lag ein Strick von Runzel, der sich unten zusammen gab. Er ist sehr verfolgt, der arme Schelm -- sagte der Graf. Sein Tod war sanft, das sah man -- kein Ge- wissensbiß, auch nicht einst in einer Lippe. Ruhe lag über und über und so viel Erge- bung, daß er, wenn Gott gesagt hätte: hör auf, er erwiedert haben würde, dein Wille geschehe! Wahrlich das könnt' ich nicht, be- merkte der Graf, ich würde dem lieben Gott wenn nicht mehr antworten, so doch: aber lieber Gott -- Ich konnte nicht weg von diesem Kopfe. Herr wie du wilst, so hies er. Der Graf erzählte mir viel Verfolgungssce- nen von Geistlichen, und besonders von ei- nem gewissen Consistorial-Präsidenten Cai- phas -- der selbst weder Gott noch Teufel glaubte, der aber von Amtswegen und aus leidigem Präsidentensiolz orthodox schien bis zur Raserey, die überhaupt mit ihm sehr nahe verwandt war. Gott laß dich ruhig hängen,
sagt'
er eigentlich nicht geſchloßen, ſondern zu- gedruckt hatte. Es ſchien ſo, als waͤr der Schluͤßel abgedreht. Eine Auferſtehung ge- hoͤrte dazu, um dieſe verſchloßenen Augenthuͤ- ren zu oͤfnen. Alles war dicht zu, auf beyden Wangen. Von der Mitte der Naſe an, bis ganz herunter lag ein Strick von Runzel, der ſich unten zuſammen gab. Er iſt ſehr verfolgt, der arme Schelm — ſagte der Graf. Sein Tod war ſanft, das ſah man — kein Ge- wiſſensbiß, auch nicht einſt in einer Lippe. Ruhe lag uͤber und uͤber und ſo viel Erge- bung, daß er, wenn Gott geſagt haͤtte: hoͤr auf, er erwiedert haben wuͤrde, dein Wille geſchehe! Wahrlich das koͤnnt’ ich nicht, be- merkte der Graf, ich wuͤrde dem lieben Gott wenn nicht mehr antworten, ſo doch: aber lieber Gott — Ich konnte nicht weg von dieſem Kopfe. Herr wie du wilſt, ſo hies er. Der Graf erzaͤhlte mir viel Verfolgungsſce- nen von Geiſtlichen, und beſonders von ei- nem gewiſſen Conſiſtorial-Praͤſidenten Cai- phas — der ſelbſt weder Gott noch Teufel glaubte, der aber von Amtswegen und aus leidigem Praͤſidentenſiolz orthodox ſchien bis zur Raſerey, die uͤberhaupt mit ihm ſehr nahe verwandt war. Gott laß dich ruhig haͤngen,
ſagt’
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0084"n="78"/>
er eigentlich nicht geſchloßen, ſondern zu-<lb/>
gedruckt hatte. Es ſchien ſo, als waͤr der<lb/>
Schluͤßel abgedreht. Eine Auferſtehung ge-<lb/>
hoͤrte dazu, um dieſe verſchloßenen Augenthuͤ-<lb/>
ren zu oͤfnen. Alles war dicht zu, auf beyden<lb/>
Wangen. Von der Mitte der Naſe an, bis<lb/>
ganz herunter lag ein Strick von Runzel, der<lb/>ſich unten zuſammen gab. Er iſt ſehr verfolgt,<lb/>
der arme Schelm —ſagte der Graf. Sein<lb/>
Tod war ſanft, das ſah man — kein Ge-<lb/>
wiſſensbiß, auch nicht einſt in einer Lippe.<lb/>
Ruhe lag uͤber und uͤber und ſo viel Erge-<lb/>
bung, daß er, wenn Gott geſagt haͤtte: hoͤr<lb/>
auf, er erwiedert haben wuͤrde, dein Wille<lb/>
geſchehe! Wahrlich das koͤnnt’ ich nicht, be-<lb/>
merkte der Graf, ich wuͤrde dem lieben Gott<lb/>
wenn nicht mehr antworten, ſo doch: <hirendition="#fr">aber<lb/>
lieber Gott</hi>— Ich konnte nicht weg von<lb/>
dieſem Kopfe. Herr wie du wilſt, ſo hies er.<lb/>
Der Graf erzaͤhlte mir viel Verfolgungsſce-<lb/>
nen von Geiſtlichen, und beſonders von ei-<lb/>
nem gewiſſen Conſiſtorial-Praͤſidenten Cai-<lb/>
phas — der ſelbſt weder Gott noch Teufel<lb/>
glaubte, der aber von Amtswegen und aus<lb/>
leidigem Praͤſidentenſiolz orthodox ſchien bis<lb/>
zur Raſerey, die uͤberhaupt mit ihm ſehr nahe<lb/>
verwandt war. Gott laß dich ruhig haͤngen,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſagt’</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[78/0084]
er eigentlich nicht geſchloßen, ſondern zu-
gedruckt hatte. Es ſchien ſo, als waͤr der
Schluͤßel abgedreht. Eine Auferſtehung ge-
hoͤrte dazu, um dieſe verſchloßenen Augenthuͤ-
ren zu oͤfnen. Alles war dicht zu, auf beyden
Wangen. Von der Mitte der Naſe an, bis
ganz herunter lag ein Strick von Runzel, der
ſich unten zuſammen gab. Er iſt ſehr verfolgt,
der arme Schelm — ſagte der Graf. Sein
Tod war ſanft, das ſah man — kein Ge-
wiſſensbiß, auch nicht einſt in einer Lippe.
Ruhe lag uͤber und uͤber und ſo viel Erge-
bung, daß er, wenn Gott geſagt haͤtte: hoͤr
auf, er erwiedert haben wuͤrde, dein Wille
geſchehe! Wahrlich das koͤnnt’ ich nicht, be-
merkte der Graf, ich wuͤrde dem lieben Gott
wenn nicht mehr antworten, ſo doch: aber
lieber Gott — Ich konnte nicht weg von
dieſem Kopfe. Herr wie du wilſt, ſo hies er.
Der Graf erzaͤhlte mir viel Verfolgungsſce-
nen von Geiſtlichen, und beſonders von ei-
nem gewiſſen Conſiſtorial-Praͤſidenten Cai-
phas — der ſelbſt weder Gott noch Teufel
glaubte, der aber von Amtswegen und aus
leidigem Praͤſidentenſiolz orthodox ſchien bis
zur Raſerey, die uͤberhaupt mit ihm ſehr nahe
verwandt war. Gott laß dich ruhig haͤngen,
ſagt’
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/84>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.