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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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gestöhrt, keinem seinen Catechismus im Spiel
abgenommen, keinem geschwindes Witz- oder
langsam wirkendes Verstandsgift eingegeben,
keinem in seinem Thun und Laßen einen Stein
des Anstoßes in Weg gelegt. Ich hielt viel
für Gotteslästerung, was andere für Gottes-
verehrung hielten -- ich -- besonders war
es, bemerkte der Graf, das er das ich unend-
lich oft und viel aussprach, und mit seinem
ich hinten und vorn war. Er blieb auch im
ich. -- Er sties sich das Herz daran ab. Mit
dem lieben ich! -- Die Herren Naturalisten
im guten Sinn, dabey bleib' ich, fuhr der
Graf fort, halten sich selbst für kein Kleines.
Ihre Seele wenigstens ist ihnen ein Stücklein
lieber Gott, wie wir Christen denn auch drin
nicht ganz in Abrede sind, allein wie? --
Man könnte die Deisten Seelenverehrer nen-
nen, bald hätt' ich Seelenabgötter gesagt;
allein seht nur die Miene des Gestorbenen!
Ist da wohl Abgötterey drinn -- ich mag
keinen Stein aufheben wider ihn, weder ei-
nen großen, wie wider den Stephanus,
noch einen kleinen, wie wider Goliath --
ich nicht. Noch ein Deist mit mehr Stirn-
unbeladenheit, allein mehr Lebensmühsee-
ligkeit über den geschloßenen Augen, die

er

geſtoͤhrt, keinem ſeinen Catechismus im Spiel
abgenommen, keinem geſchwindes Witz- oder
langſam wirkendes Verſtandsgift eingegeben,
keinem in ſeinem Thun und Laßen einen Stein
des Anſtoßes in Weg gelegt. Ich hielt viel
fuͤr Gotteslaͤſterung, was andere fuͤr Gottes-
verehrung hielten — ich — beſonders war
es, bemerkte der Graf, das er das ich unend-
lich oft und viel ausſprach, und mit ſeinem
ich hinten und vorn war. Er blieb auch im
ich. — Er ſties ſich das Herz daran ab. Mit
dem lieben ich! — Die Herren Naturaliſten
im guten Sinn, dabey bleib’ ich, fuhr der
Graf fort, halten ſich ſelbſt fuͤr kein Kleines.
Ihre Seele wenigſtens iſt ihnen ein Stuͤcklein
lieber Gott, wie wir Chriſten denn auch drin
nicht ganz in Abrede ſind, allein wie? —
Man koͤnnte die Deiſten Seelenverehrer nen-
nen, bald haͤtt’ ich Seelenabgoͤtter geſagt;
allein ſeht nur die Miene des Geſtorbenen!
Iſt da wohl Abgoͤtterey drinn — ich mag
keinen Stein aufheben wider ihn, weder ei-
nen großen, wie wider den Stephanus,
noch einen kleinen, wie wider Goliath —
ich nicht. Noch ein Deiſt mit mehr Stirn-
unbeladenheit, allein mehr Lebensmuͤhſee-
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[77/0083] geſtoͤhrt, keinem ſeinen Catechismus im Spiel abgenommen, keinem geſchwindes Witz- oder langſam wirkendes Verſtandsgift eingegeben, keinem in ſeinem Thun und Laßen einen Stein des Anſtoßes in Weg gelegt. Ich hielt viel fuͤr Gotteslaͤſterung, was andere fuͤr Gottes- verehrung hielten — ich — beſonders war es, bemerkte der Graf, das er das ich unend- lich oft und viel ausſprach, und mit ſeinem ich hinten und vorn war. Er blieb auch im ich. — Er ſties ſich das Herz daran ab. Mit dem lieben ich! — Die Herren Naturaliſten im guten Sinn, dabey bleib’ ich, fuhr der Graf fort, halten ſich ſelbſt fuͤr kein Kleines. Ihre Seele wenigſtens iſt ihnen ein Stuͤcklein lieber Gott, wie wir Chriſten denn auch drin nicht ganz in Abrede ſind, allein wie? — Man koͤnnte die Deiſten Seelenverehrer nen- nen, bald haͤtt’ ich Seelenabgoͤtter geſagt; allein ſeht nur die Miene des Geſtorbenen! Iſt da wohl Abgoͤtterey drinn — ich mag keinen Stein aufheben wider ihn, weder ei- nen großen, wie wider den Stephanus, noch einen kleinen, wie wider Goliath — ich nicht. Noch ein Deiſt mit mehr Stirn- unbeladenheit, allein mehr Lebensmuͤhſee- ligkeit uͤber den geſchloßenen Augen, die er

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/83>, abgerufen am 23.11.2024.