Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Liebling. -- Es gehe dir wohl, liebe Seele,
vergiß Minen und ihr Grab nicht!

Ich reisete denselben Tag nach Königs-
berg, und fand bey meiner Ankunft einen
Brief nebst hundert Pistolen. Ich brach den
Brief und fand weiter nichts, als folgende
Devise:
"Für Minchens Verwandten in
Mitau."

Ein Zug, an dem ich den Grafen kannte, ob-
gleich er incognito war und blieb. Aller
Mühe, die ich mir gab, ohnerachtet, konnt
ich ihn nicht herausbringen. Wahrlich dieser
Zug ähnelt ihm! Der Graf, dacht' ich, der
den Sargtischler nicht in Stand setzen wolte,
ein Mädchen zu heyrathen, das keinen andern
Fehler hatte, als den, daß es arm war, der
Graf, der diesen Jüngling für Protektion ar-
beiten und sich das Herz abhobeln lies --
da fiel mir wieder seine strenge Gerechtigkeit
ein. Er war Patron der Kirche und des Ho-
spitals, dem Minchens Anverwandter in L --
den Halbscheid seines Vermögens zugewendet
hatte. Also -- gedankt hätt' ich dem Gra-
fen nicht, wenn gleich ich seines Namens ge-
wiß gewesen wäre. Gott dank ihm! -- Der

dankt

Liebling. — Es gehe dir wohl, liebe Seele,
vergiß Minen und ihr Grab nicht!

Ich reiſete denſelben Tag nach Koͤnigs-
berg, und fand bey meiner Ankunft einen
Brief nebſt hundert Piſtolen. Ich brach den
Brief und fand weiter nichts, als folgende
Deviſe:
„Fuͤr Minchens Verwandten in
Mitau.“

Ein Zug, an dem ich den Grafen kannte, ob-
gleich er incognito war und blieb. Aller
Muͤhe, die ich mir gab, ohnerachtet, konnt
ich ihn nicht herausbringen. Wahrlich dieſer
Zug aͤhnelt ihm! Der Graf, dacht’ ich, der
den Sargtiſchler nicht in Stand ſetzen wolte,
ein Maͤdchen zu heyrathen, das keinen andern
Fehler hatte, als den, daß es arm war, der
Graf, der dieſen Juͤngling fuͤr Protektion ar-
beiten und ſich das Herz abhobeln lies —
da fiel mir wieder ſeine ſtrenge Gerechtigkeit
ein. Er war Patron der Kirche und des Ho-
ſpitals, dem Minchens Anverwandter in L —
den Halbſcheid ſeines Vermoͤgens zugewendet
hatte. Alſo — gedankt haͤtt’ ich dem Gra-
fen nicht, wenn gleich ich ſeines Namens ge-
wiß geweſen waͤre. Gott dank ihm! — Der

dankt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0366" n="358"/>
Liebling. &#x2014; Es gehe dir wohl, liebe Seele,<lb/>
vergiß Minen und ihr Grab nicht!</p><lb/>
        <p>Ich rei&#x017F;ete den&#x017F;elben Tag nach Ko&#x0364;nigs-<lb/>
berg, und fand bey meiner Ankunft einen<lb/>
Brief neb&#x017F;t hundert Pi&#x017F;tolen. Ich brach den<lb/>
Brief und fand weiter nichts, als folgende<lb/>
Devi&#x017F;e:<lb/><hi rendition="#et"><hi rendition="#fr">&#x201E;Fu&#x0364;r Minchens Verwandten in<lb/>
Mitau.&#x201C;</hi></hi><lb/>
Ein Zug, an dem ich den Grafen kannte, ob-<lb/>
gleich er incognito war und blieb. Aller<lb/>
Mu&#x0364;he, die ich mir gab, ohnerachtet, konnt<lb/>
ich ihn nicht herausbringen. Wahrlich die&#x017F;er<lb/>
Zug a&#x0364;hnelt ihm! Der Graf, dacht&#x2019; ich, der<lb/>
den Sargti&#x017F;chler nicht in Stand &#x017F;etzen wolte,<lb/>
ein Ma&#x0364;dchen zu heyrathen, das keinen andern<lb/>
Fehler hatte, als den, daß es arm war, der<lb/>
Graf, der die&#x017F;en Ju&#x0364;ngling fu&#x0364;r Protektion ar-<lb/>
beiten und &#x017F;ich das Herz abhobeln lies &#x2014;<lb/>
da fiel mir wieder &#x017F;eine &#x017F;trenge Gerechtigkeit<lb/>
ein. Er war Patron der Kirche und des Ho-<lb/>
&#x017F;pitals, dem Minchens Anverwandter in L &#x2014;<lb/>
den Halb&#x017F;cheid &#x017F;eines Vermo&#x0364;gens zugewendet<lb/>
hatte. Al&#x017F;o &#x2014; gedankt ha&#x0364;tt&#x2019; ich dem Gra-<lb/>
fen nicht, wenn gleich ich &#x017F;eines Namens ge-<lb/>
wiß gewe&#x017F;en wa&#x0364;re. Gott dank ihm! &#x2014; Der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dankt</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[358/0366] Liebling. — Es gehe dir wohl, liebe Seele, vergiß Minen und ihr Grab nicht! Ich reiſete denſelben Tag nach Koͤnigs- berg, und fand bey meiner Ankunft einen Brief nebſt hundert Piſtolen. Ich brach den Brief und fand weiter nichts, als folgende Deviſe: „Fuͤr Minchens Verwandten in Mitau.“ Ein Zug, an dem ich den Grafen kannte, ob- gleich er incognito war und blieb. Aller Muͤhe, die ich mir gab, ohnerachtet, konnt ich ihn nicht herausbringen. Wahrlich dieſer Zug aͤhnelt ihm! Der Graf, dacht’ ich, der den Sargtiſchler nicht in Stand ſetzen wolte, ein Maͤdchen zu heyrathen, das keinen andern Fehler hatte, als den, daß es arm war, der Graf, der dieſen Juͤngling fuͤr Protektion ar- beiten und ſich das Herz abhobeln lies — da fiel mir wieder ſeine ſtrenge Gerechtigkeit ein. Er war Patron der Kirche und des Ho- ſpitals, dem Minchens Anverwandter in L — den Halbſcheid ſeines Vermoͤgens zugewendet hatte. Alſo — gedankt haͤtt’ ich dem Gra- fen nicht, wenn gleich ich ſeines Namens ge- wiß geweſen waͤre. Gott dank ihm! — Der dankt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/366
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/366>, abgerufen am 22.07.2024.