Prediger. Ich, fuhr er fort, habe noch nie bey dieser heiligen Handlung den Wein ge- schmeckt. Viele der Herren von Adel schicken den Tag zuvor ein Fläschgen aus ihrem Kel- ler; unser Graf nicht also, obgleich sein Rheinwein sich nicht gewaschen hat. Wir fassen länger als gewöhnlich bey Tisch. Heut, sagte der Prediger, fröhlich mit den Fröhli- chen! Wir waren traurig mit den Trauri- gen; wir sind es noch, sagte Gretchen, und dachte so rührend an Minen, ohne sie zu nen- nen, daß alles an sie dachte. Der Prediger belebte diesen Gedanken durch ein paar rüh- rende Worte. Wer seiner Todten nicht denkt, wenn er vergnügt ist, bedenkt nicht, daß auch sie lebten, und daß auch er sterben wird. Das war das Gerippe, das er auf gut ägyptisch aufstellte! Wahrlich es war nicht fürchterlich. Sie hat ihren Myrtentag nicht erlebt, sagte Gretchen, und lies eine Thräne fallen. Ra- thanael küßte sie herzlich. Wer es weiß, wie schön es sey, ein Mädchen in solchen Thränen zu küssen, denke sich die Wonne dieses Paa- res. Ohne Thränen giebts keine Trunken- heit der Liebe. Diese Ehe, sagte die Predi- gerin, hat der Tod gerathen; was er räth, ist wohl gerathen. -- Die Dorfältesten schlossen
diese
Prediger. Ich, fuhr er fort, habe noch nie bey dieſer heiligen Handlung den Wein ge- ſchmeckt. Viele der Herren von Adel ſchicken den Tag zuvor ein Flaͤſchgen aus ihrem Kel- ler; unſer Graf nicht alſo, obgleich ſein Rheinwein ſich nicht gewaſchen hat. Wir faſſen laͤnger als gewoͤhnlich bey Tiſch. Heut, ſagte der Prediger, froͤhlich mit den Froͤhli- chen! Wir waren traurig mit den Trauri- gen; wir ſind es noch, ſagte Gretchen, und dachte ſo ruͤhrend an Minen, ohne ſie zu nen- nen, daß alles an ſie dachte. Der Prediger belebte dieſen Gedanken durch ein paar ruͤh- rende Worte. Wer ſeiner Todten nicht denkt, wenn er vergnuͤgt iſt, bedenkt nicht, daß auch ſie lebten, und daß auch er ſterben wird. Das war das Gerippe, das er auf gut aͤgyptiſch aufſtellte! Wahrlich es war nicht fuͤrchterlich. Sie hat ihren Myrtentag nicht erlebt, ſagte Gretchen, und lies eine Thraͤne fallen. Ra- thanael kuͤßte ſie herzlich. Wer es weiß, wie ſchoͤn es ſey, ein Maͤdchen in ſolchen Thraͤnen zu kuͤſſen, denke ſich die Wonne dieſes Paa- res. Ohne Thraͤnen giebts keine Trunken- heit der Liebe. Dieſe Ehe, ſagte die Predi- gerin, hat der Tod gerathen; was er raͤth, iſt wohl gerathen. — Die Dorfaͤlteſten ſchloſſen
dieſe
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Prediger. Ich, fuhr er fort, habe noch nie
bey dieſer heiligen Handlung den Wein ge-
ſchmeckt. Viele der Herren von Adel ſchicken
den Tag zuvor ein Flaͤſchgen aus ihrem Kel-
ler; unſer Graf nicht alſo, obgleich ſein
Rheinwein ſich nicht gewaſchen hat. Wir
faſſen laͤnger als gewoͤhnlich bey Tiſch. Heut,
ſagte der Prediger, froͤhlich mit den Froͤhli-
chen! Wir waren traurig mit den Trauri-
gen; wir ſind es noch, ſagte Gretchen, und
dachte ſo ruͤhrend an Minen, ohne ſie zu nen-
nen, daß alles an ſie dachte. Der Prediger
belebte dieſen Gedanken durch ein paar ruͤh-
rende Worte. Wer ſeiner Todten nicht denkt,
wenn er vergnuͤgt iſt, bedenkt nicht, daß auch
ſie lebten, und daß auch er ſterben wird. Das
war das Gerippe, das er auf gut aͤgyptiſch
aufſtellte! Wahrlich es war nicht fuͤrchterlich.
Sie hat ihren Myrtentag nicht erlebt, ſagte
Gretchen, und lies eine Thraͤne fallen. Ra-
thanael kuͤßte ſie herzlich. Wer es weiß, wie
ſchoͤn es ſey, ein Maͤdchen in ſolchen Thraͤnen
zu kuͤſſen, denke ſich die Wonne dieſes Paa-
res. Ohne Thraͤnen giebts keine Trunken-
heit der Liebe. Dieſe Ehe, ſagte die Predi-
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wohl gerathen. — Die Dorfaͤlteſten ſchloſſen
dieſe
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/353>, abgerufen am 25.11.2024.
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