wider den heiligen Geist erzählen, und war so froh, daß er sein Seelenkind so gut, wie Gretchen, angebracht! Ein wahrer Natha- nael vom Verleger, sagte der Prediger, und feyerte ein doppeltes Hochzeitfest. Gretchen und ihre Mutter nahmen wie gewöhnlich kei- nen Theil an diesem Seelenkinde. Natha- nael indessen muste wegen der in schwarz Cor- duan eingebundenen Exemplare sein Ohr zu dieser Unterredung neigen. Da er Gretchen hatte, war ihm schon vieles von diesem Eh- renwerk entfallen, das er, als angehender Bräutigam, fast wörtlich wußte. Gretchens Mutter war selbst so heiter, als wäre sie gar nicht lindenkrank, als wäre der Lindenbaum, der so alt wie sie war, und der in ihren lezten Wochen ausgieng, wieder zu Kräften gekom- men. Der Organist, so erkenntlich gegen mich, wegen des Schaustücks, daß ich nicht aus dem Bücken heraus kam, und so ehrer- bietig gegen den Hochedelgebohrnen Herrn Justitzrath, daß ich immer besorgte, er würde wieder etwas aus dem Hute lesen, obschon er nur auf Begräbnisreden fundirt war. Der Amtmann so ins Vergnügen verstrickt, daß er den goldbesponnenen Knopf vergeßen hatte. Wahrlich, man kann auch ohne gold-
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wider den heiligen Geiſt erzaͤhlen, und war ſo froh, daß er ſein Seelenkind ſo gut, wie Gretchen, angebracht! Ein wahrer Natha- nael vom Verleger, ſagte der Prediger, und feyerte ein doppeltes Hochzeitfeſt. Gretchen und ihre Mutter nahmen wie gewoͤhnlich kei- nen Theil an dieſem Seelenkinde. Natha- nael indeſſen muſte wegen der in ſchwarz Cor- duan eingebundenen Exemplare ſein Ohr zu dieſer Unterredung neigen. Da er Gretchen hatte, war ihm ſchon vieles von dieſem Eh- renwerk entfallen, das er, als angehender Braͤutigam, faſt woͤrtlich wußte. Gretchens Mutter war ſelbſt ſo heiter, als waͤre ſie gar nicht lindenkrank, als waͤre der Lindenbaum, der ſo alt wie ſie war, und der in ihren lezten Wochen ausgieng, wieder zu Kraͤften gekom- men. Der Organiſt, ſo erkenntlich gegen mich, wegen des Schauſtuͤcks, daß ich nicht aus dem Buͤcken heraus kam, und ſo ehrer- bietig gegen den Hochedelgebohrnen Herrn Juſtitzrath, daß ich immer beſorgte, er wuͤrde wieder etwas aus dem Hute leſen, obſchon er nur auf Begraͤbnisreden fundirt war. Der Amtmann ſo ins Vergnuͤgen verſtrickt, daß er den goldbeſponnenen Knopf vergeßen hatte. Wahrlich, man kann auch ohne gold-
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wider den heiligen Geiſt erzaͤhlen, und war ſo
froh, daß er ſein Seelenkind ſo gut, wie
Gretchen, angebracht! Ein wahrer Natha-
nael vom Verleger, ſagte der Prediger, und
feyerte ein doppeltes Hochzeitfeſt. Gretchen
und ihre Mutter nahmen wie gewoͤhnlich kei-
nen Theil an dieſem Seelenkinde. Natha-
nael indeſſen muſte wegen der in ſchwarz Cor-
duan eingebundenen Exemplare ſein Ohr zu
dieſer Unterredung neigen. Da er Gretchen
hatte, war ihm ſchon vieles von dieſem Eh-
renwerk entfallen, das er, als angehender
Braͤutigam, faſt woͤrtlich wußte. Gretchens
Mutter war ſelbſt ſo heiter, als waͤre ſie gar
nicht lindenkrank, als waͤre der Lindenbaum,
der ſo alt wie ſie war, und der in ihren lezten
Wochen ausgieng, wieder zu Kraͤften gekom-
men. Der Organiſt, ſo erkenntlich gegen
mich, wegen des Schauſtuͤcks, daß ich nicht
aus dem Buͤcken heraus kam, und ſo ehrer-
bietig gegen den Hochedelgebohrnen Herrn
Juſtitzrath, daß ich immer beſorgte, er wuͤrde
wieder etwas aus dem Hute leſen, obſchon er
nur auf Begraͤbnisreden fundirt war. Der
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/351>, abgerufen am 22.11.2024.
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