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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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in meinem Obdach zum erbaulich christlichen
Ende Handgeld beybringen. Kein Jude hat
mir noch das Vergnügen gemacht, in meinem
Hause zu sterben. Mein Haus ist ihm un-
rein, obgleich er selbst so unsauber ist, daß
ich ihn für einen Ciniker halten würde, wenn
er nicht ein Jude wäre. Ich habe zwar nach
Anzahl der fünf Bücher Mosis fünf Juden
sterben gesehen; allein bis auf einen nur ster-
ben gehört, vier starben hebräisch, sie hatten
den Tod auswendig gelernt, und beteten ihn
so her, wie die Nonne den Psalter. Beym
Amen, weg waren sie. Den fünften hab ich
observirt, deßen Aeußeres zwar jüdisch schien,
sein Inwendiges aber war Gottgläubig dei-
stisch, und also gehört er eigentlich nicht in die
Judenclaße. Barba non facit Philosophum.
Der Bart macht keinen Juden. --

Wir kamen einen Sabbatherweg von uns-
rer eigentlichen Straße ab, und ich hatte Ge-
legenheit, von dem jüdischen Volke die Mey-
nung meines Vaters anzubringen. Hat der
göttliche Judenbekehrer dies Volk nicht ein-
lenken können, mußte er seinen Stab sanft
zu den Heiden übersetzen; warum wollen wir
bey einem so schlechten Beyspiel, das wir den
Juden in den meisten Christen darstellen, mehr

erwar-

in meinem Obdach zum erbaulich chriſtlichen
Ende Handgeld beybringen. Kein Jude hat
mir noch das Vergnuͤgen gemacht, in meinem
Hauſe zu ſterben. Mein Haus iſt ihm un-
rein, obgleich er ſelbſt ſo unſauber iſt, daß
ich ihn fuͤr einen Ciniker halten wuͤrde, wenn
er nicht ein Jude waͤre. Ich habe zwar nach
Anzahl der fuͤnf Buͤcher Moſis fuͤnf Juden
ſterben geſehen; allein bis auf einen nur ſter-
ben gehoͤrt, vier ſtarben hebraͤiſch, ſie hatten
den Tod auswendig gelernt, und beteten ihn
ſo her, wie die Nonne den Pſalter. Beym
Amen, weg waren ſie. Den fuͤnften hab ich
obſervirt, deßen Aeußeres zwar juͤdiſch ſchien,
ſein Inwendiges aber war Gottglaͤubig dei-
ſtiſch, und alſo gehoͤrt er eigentlich nicht in die
Judenclaße. Barba non facit Philoſophum.
Der Bart macht keinen Juden. —

Wir kamen einen Sabbatherweg von unſ-
rer eigentlichen Straße ab, und ich hatte Ge-
legenheit, von dem juͤdiſchen Volke die Mey-
nung meines Vaters anzubringen. Hat der
goͤttliche Judenbekehrer dies Volk nicht ein-
lenken koͤnnen, mußte er ſeinen Stab ſanft
zu den Heiden uͤberſetzen; warum wollen wir
bey einem ſo ſchlechten Beyſpiel, das wir den
Juden in den meiſten Chriſten darſtellen, mehr

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[29/0035] in meinem Obdach zum erbaulich chriſtlichen Ende Handgeld beybringen. Kein Jude hat mir noch das Vergnuͤgen gemacht, in meinem Hauſe zu ſterben. Mein Haus iſt ihm un- rein, obgleich er ſelbſt ſo unſauber iſt, daß ich ihn fuͤr einen Ciniker halten wuͤrde, wenn er nicht ein Jude waͤre. Ich habe zwar nach Anzahl der fuͤnf Buͤcher Moſis fuͤnf Juden ſterben geſehen; allein bis auf einen nur ſter- ben gehoͤrt, vier ſtarben hebraͤiſch, ſie hatten den Tod auswendig gelernt, und beteten ihn ſo her, wie die Nonne den Pſalter. Beym Amen, weg waren ſie. Den fuͤnften hab ich obſervirt, deßen Aeußeres zwar juͤdiſch ſchien, ſein Inwendiges aber war Gottglaͤubig dei- ſtiſch, und alſo gehoͤrt er eigentlich nicht in die Judenclaße. Barba non facit Philoſophum. Der Bart macht keinen Juden. — Wir kamen einen Sabbatherweg von unſ- rer eigentlichen Straße ab, und ich hatte Ge- legenheit, von dem juͤdiſchen Volke die Mey- nung meines Vaters anzubringen. Hat der goͤttliche Judenbekehrer dies Volk nicht ein- lenken koͤnnen, mußte er ſeinen Stab ſanft zu den Heiden uͤberſetzen; warum wollen wir bey einem ſo ſchlechten Beyſpiel, das wir den Juden in den meiſten Chriſten darſtellen, mehr erwar-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/35>, abgerufen am 23.11.2024.