das Weltrecht, mit dem man so selten zufrie- den ist, daß man fast lieber Unrecht wünscht, um wenigstens laut schelten zu können. Das Weltrecht ist aus dem Codice genommen, der todt an ihm selbst ist. Das rechte Recht aus dem lebendigen Specialfall, der eben vorliegt. -- Ein haarkleiner Unterschied aus der Ur- sache, nicht aus der Würkung, wie ändert er die Sache! Casus in terminis. Welch ein dummdreistes Kunstwort! Ist euch, ihr hoch- verordneten Rechtskauer, das Principium indiscernibilium denn ganz und gar unbekannt, und, um euren Collegen ein lehrreiches Exempel darzustellen, einen würklichen casum in termi- nis, thut der Arzt nicht wenigstens, als ob er dem lebendigen Specialfall, der eben vorliegt, nach dem Leben, nach dem Puls faßt, ob gleich auch er nach dem Corpore Juris Hypocratesiano sein Urtel formt?
Der Graf setzte diese Unterredung, ohne daß ich es ihm nahe legte, fort, ich hoffe, sagte er, die Eltern des Weinenden und Heulenden weichherzig zu machen, und denn hab ich alles aus der ersten Hand, wenn ich sie ausstatten solte, hätt' ichs aus der zweyten, wo nicht gar dritten. Die erste Hand ist mir immer die beste und sicherste. Ich liebe, fuhr der Graf
fort,
das Weltrecht, mit dem man ſo ſelten zufrie- den iſt, daß man faſt lieber Unrecht wuͤnſcht, um wenigſtens laut ſchelten zu koͤnnen. Das Weltrecht iſt aus dem Codice genommen, der todt an ihm ſelbſt iſt. Das rechte Recht aus dem lebendigen Specialfall, der eben vorliegt. — Ein haarkleiner Unterſchied aus der Ur- ſache, nicht aus der Wuͤrkung, wie aͤndert er die Sache! Caſus in terminis. Welch ein dummdreiſtes Kunſtwort! Iſt euch, ihr hoch- verordneten Rechtskauer, das Principium indiſcernibilium denn ganz und gar unbekannt, und, um euren Collegen ein lehrreiches Exempel darzuſtellen, einen wuͤrklichen caſum in termi- nis, thut der Arzt nicht wenigſtens, als ob er dem lebendigen Specialfall, der eben vorliegt, nach dem Leben, nach dem Puls faßt, ob gleich auch er nach dem Corpore Juris Hypocrateſiano ſein Urtel formt?
Der Graf ſetzte dieſe Unterredung, ohne daß ich es ihm nahe legte, fort, ich hoffe, ſagte er, die Eltern des Weinenden und Heulenden weichherzig zu machen, und denn hab ich alles aus der erſten Hand, wenn ich ſie ausſtatten ſolte, haͤtt’ ichs aus der zweyten, wo nicht gar dritten. Die erſte Hand iſt mir immer die beſte und ſicherſte. Ich liebe, fuhr der Graf
fort,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0033"n="27"/>
das Weltrecht, mit dem man ſo ſelten zufrie-<lb/>
den iſt, daß man faſt lieber Unrecht wuͤnſcht,<lb/>
um wenigſtens laut ſchelten zu koͤnnen. Das<lb/>
Weltrecht iſt aus dem Codice genommen, der<lb/>
todt an ihm ſelbſt iſt. Das rechte Recht aus<lb/>
dem lebendigen Specialfall, der eben vorliegt.<lb/>— Ein haarkleiner Unterſchied aus der Ur-<lb/>ſache, nicht aus der Wuͤrkung, wie aͤndert er<lb/>
die Sache! <hirendition="#aq">Caſus in terminis.</hi> Welch ein<lb/>
dummdreiſtes Kunſtwort! Iſt euch, ihr hoch-<lb/>
verordneten Rechtskauer, das Principium<lb/>
indiſcernibilium denn ganz und gar unbekannt,<lb/>
und, um euren Collegen ein lehrreiches Exempel<lb/>
darzuſtellen, einen wuͤrklichen <hirendition="#aq">caſum in termi-<lb/>
nis,</hi> thut der Arzt nicht wenigſtens, als ob er<lb/>
dem lebendigen Specialfall, der eben vorliegt,<lb/>
nach dem Leben, nach dem Puls faßt, ob gleich<lb/>
auch er nach dem <hirendition="#aq">Corpore Juris Hypocrateſiano</hi><lb/>ſein Urtel formt?</p><lb/><p>Der Graf ſetzte dieſe Unterredung, ohne<lb/>
daß ich es ihm nahe legte, fort, ich hoffe, ſagte<lb/>
er, die Eltern des Weinenden und Heulenden<lb/>
weichherzig zu machen, und denn hab ich alles<lb/>
aus der erſten Hand, wenn ich ſie ausſtatten<lb/>ſolte, haͤtt’ ichs aus der zweyten, wo nicht<lb/>
gar dritten. Die erſte Hand iſt mir immer<lb/>
die beſte und ſicherſte. Ich liebe, fuhr der Graf<lb/><fwplace="bottom"type="catch">fort,</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[27/0033]
das Weltrecht, mit dem man ſo ſelten zufrie-
den iſt, daß man faſt lieber Unrecht wuͤnſcht,
um wenigſtens laut ſchelten zu koͤnnen. Das
Weltrecht iſt aus dem Codice genommen, der
todt an ihm ſelbſt iſt. Das rechte Recht aus
dem lebendigen Specialfall, der eben vorliegt.
— Ein haarkleiner Unterſchied aus der Ur-
ſache, nicht aus der Wuͤrkung, wie aͤndert er
die Sache! Caſus in terminis. Welch ein
dummdreiſtes Kunſtwort! Iſt euch, ihr hoch-
verordneten Rechtskauer, das Principium
indiſcernibilium denn ganz und gar unbekannt,
und, um euren Collegen ein lehrreiches Exempel
darzuſtellen, einen wuͤrklichen caſum in termi-
nis, thut der Arzt nicht wenigſtens, als ob er
dem lebendigen Specialfall, der eben vorliegt,
nach dem Leben, nach dem Puls faßt, ob gleich
auch er nach dem Corpore Juris Hypocrateſiano
ſein Urtel formt?
Der Graf ſetzte dieſe Unterredung, ohne
daß ich es ihm nahe legte, fort, ich hoffe, ſagte
er, die Eltern des Weinenden und Heulenden
weichherzig zu machen, und denn hab ich alles
aus der erſten Hand, wenn ich ſie ausſtatten
ſolte, haͤtt’ ichs aus der zweyten, wo nicht
gar dritten. Die erſte Hand iſt mir immer
die beſte und ſicherſte. Ich liebe, fuhr der Graf
fort,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/33>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.