ihm mit ofnen Armen entgegen kamen. Ei- nem Tochtermörder! Grete hatte diese That auf einen andern ausgesagt, der sie über- fallen, und hiebey hatte sie Hansens starke Hand gepriesen, die sie zu retten unermüdet gewesen. Gott, diese Unwahrheit, betete sie im Herzen, vergib sie mir! Die Eltern hatten ihr zugeschworen, Hansen das Gütchen zu laßen, und nun, voll des Danks und der Erkenntlichkeit, kamen sie ihm entgegen, fie- len auf die Blutflecken, die sie an seinem Kleide gewahr wurden, als so viel Beweise seines Edelmuths. Für jede Wunde, die Grete erhalten, umarmten sie ihn! -- Es kostete Hansen kaum so viel Mühe, zu mor- den, als die Eltern zu überreden, daß er Mörder sey. Sie glaubten, er hätt' aus zu großer Liebe den Verstand verlohren. Je gü- tiger Gretchens Eltern gegen ihn thaten, je schrecklicher klagte Hans sich an. Wenn er Gott, und alles, was heilig, zu Zeugen auf- gerufen: er sey der Thäter; so sahen ihn Gretchens Eltern so mühseelig, so beladen an, als wollten sie sagen: der arme Junge, wie ihn Gretens Schicksal übernommen hat! Und wenn er ihnen das Mordmesser zeigte, drückten sie ihm die Hände, weil sie Gretchen
so
ihm mit ofnen Armen entgegen kamen. Ei- nem Tochtermoͤrder! Grete hatte dieſe That auf einen andern ausgeſagt, der ſie uͤber- fallen, und hiebey hatte ſie Hanſens ſtarke Hand geprieſen, die ſie zu retten unermuͤdet geweſen. Gott, dieſe Unwahrheit, betete ſie im Herzen, vergib ſie mir! Die Eltern hatten ihr zugeſchworen, Hanſen das Guͤtchen zu laßen, und nun, voll des Danks und der Erkenntlichkeit, kamen ſie ihm entgegen, fie- len auf die Blutflecken, die ſie an ſeinem Kleide gewahr wurden, als ſo viel Beweiſe ſeines Edelmuths. Fuͤr jede Wunde, die Grete erhalten, umarmten ſie ihn! — Es koſtete Hanſen kaum ſo viel Muͤhe, zu mor- den, als die Eltern zu uͤberreden, daß er Moͤrder ſey. Sie glaubten, er haͤtt’ aus zu großer Liebe den Verſtand verlohren. Je guͤ- tiger Gretchens Eltern gegen ihn thaten, je ſchrecklicher klagte Hans ſich an. Wenn er Gott, und alles, was heilig, zu Zeugen auf- gerufen: er ſey der Thaͤter; ſo ſahen ihn Gretchens Eltern ſo muͤhſeelig, ſo beladen an, als wollten ſie ſagen: der arme Junge, wie ihn Gretens Schickſal uͤbernommen hat! Und wenn er ihnen das Mordmeſſer zeigte, druͤckten ſie ihm die Haͤnde, weil ſie Gretchen
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ihm mit ofnen Armen entgegen kamen. Ei-
nem Tochtermoͤrder! Grete hatte dieſe That
auf einen andern ausgeſagt, der ſie uͤber-
fallen, und hiebey hatte ſie Hanſens ſtarke
Hand geprieſen, die ſie zu retten unermuͤdet
geweſen. Gott, dieſe Unwahrheit, betete ſie
im Herzen, vergib ſie mir! Die Eltern hatten
ihr zugeſchworen, Hanſen das Guͤtchen zu
laßen, und nun, voll des Danks und der
Erkenntlichkeit, kamen ſie ihm entgegen, fie-
len auf die Blutflecken, die ſie an ſeinem
Kleide gewahr wurden, als ſo viel Beweiſe
ſeines Edelmuths. Fuͤr jede Wunde, die
Grete erhalten, umarmten ſie ihn! — Es
koſtete Hanſen kaum ſo viel Muͤhe, zu mor-
den, als die Eltern zu uͤberreden, daß er
Moͤrder ſey. Sie glaubten, er haͤtt’ aus zu
großer Liebe den Verſtand verlohren. Je guͤ-
tiger Gretchens Eltern gegen ihn thaten, je
ſchrecklicher klagte Hans ſich an. Wenn er
Gott, und alles, was heilig, zu Zeugen auf-
gerufen: er ſey der Thaͤter; ſo ſahen ihn
Gretchens Eltern ſo muͤhſeelig, ſo beladen
an, als wollten ſie ſagen: der arme Junge,
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/298>, abgerufen am 22.11.2024.
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